Die zwei Enden einer Epoche

"Klassik und Romantik" in der Reihe "Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein umfangreicher Band zur bildenden Kunst um 1800 verspricht schon unter quantitativen Aspekten wesentliche Beiträge zu einer der interessantesten Zeiten der deutschen Kunstgeschichte. Dabei handelt es sich um eine "Doppelepoche" bzw. um einen Zeitraum, der von den beiden "Epochenbezeichnungen" Klassik und Romantik eingegrenzt wird. Für die Literaturwissenschaft sind sowohl die Klassik als auch die Romantik klar einzugrenzende Epochen. Dies ist in der 0bildenden Kunst nicht ganz so einfach und die definitorischen Grenzen fließend. Daher macht die Ankündigung im Vorwort des Bands neugierig auf die nachfolgende Darstellung: "Der hier vorliegende Band - der als erster in der Reihe der 'Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland' erscheint - entwirft ein Panorama der Kunst in Deutschland in einem ihrer entscheidenden Zeiträume, der von etwa 1750 bis um 1850 reicht."

Der Band ist der erste einer Reihe, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die Forschungsergebnisse der letzten Jahre zusammenzufassen und eine synthetische Darstellung vorzulegen. Der Leser kann sich trotz des komplexen Gegenstands relativ schnell orientieren. Das Band gliedert sich in eine "Einführung" und in die nach Gattungen getrennten Abschnitte: "Architektur", "Skulptur", "Malerei", "Zeichnung und Druckgraphik" und "Kunsthandwerk". Erfreulicherweise hat man jeweils den entsprechenden Katalogteil mit umfangreichen und ordentlich reproduzierten Abbildungen dem jeweiligen Gattungsabschnitt folgen lassen, sodass eine Zuordnung leicht möglich ist. Hinzu kommen die umfänglichen Querverweise, die durch eine übersichtliche Nummerierung der Abbildungen leicht nachvollziehbar sind. Nutzt man das Buch einmal zur Einarbeitung in einen bestimmten Sachzusammenhang, werden einem solche kleinen Details erst auffallen - und man stellt fest, dass man einen wirklich ordentlichen Arbeitsband in Händen hält. Das ist bei kunsthistorischen Nachschlagewerken keine Selbstverständlichkeit und soll hier besonders positiv hervorgehoben werden.

Der Herausgeber Andreas Beyer skizziert in der Einleitung "Klassik und Romantik. Zwei Enden einer Epoche" die Problematik und die Grundlagen, die für die vorliegende Darstellung wichtig waren. Eine "Geschichte der bildenden Kunst" muss vor allem auch die Kulturwissenschaften mit einbeziehen um z. B. Begriffe wie Identität - und hier dann vor allem "deutsche Identität" - in die Darstellung zu integrieren. Dabei zeigt schon der Titel des Bands die Problematik und auch die Möglichkeiten auf, die eine übergreifende Darstellung beider Epochen schaffen kann: "Man hat die Zeitspanne von etwa 1750 bis in die Mitte des 19. Jhs. als ein 'entzweites Jahrhundert' apostrophiert, dessen disparates Erscheinungsbild in den Künsten die herkömmlichen subsumierenden Stilbegriffe obsolet werden ließe oder zu falschen Vereinfachungen verführe. Als Zwillingsformel signalisiert 'Klassik und Romantik' im Titel des Buches die einander bedingenden Kontinuitäten und Brüche, Tradition und Innovation, und versucht so die 'Doppelgesichtigkeit' der Epoche erst Rechnung zu tragen."

Diese Dualität verlieren die Autoren des Bands nicht aus den Augen und damit entsteht ein interessant zu lesendes 'Netz' einer Epoche, dem man eigentlich nur noch die Verknüpfungen zu den angrenzenden 'Kulturfeldern' wünschen würde. Schon allein die personellen Kontakte weisen an den verschiedenen Stellen - etwa bei den Künstlerkolonien in Rom - auf die Verzahnung von Malerei und Literatur, Musik, Skulptur usw. hin. Dies kann dem Band natürlich nicht zum Vorwurf gemacht werden, ist es doch eine auf die bildende Kunst sich beschränkende Darstellung, die in ihrer Komplexität und auf dem modernsten Stand der kunsthistorischen Forschung den Anspruch an ein Standardwerk anmeldet. Sollten die nachfolgenden Bände annähernd so unterhaltsam in der Darstellung sein und das hohe Niveau der mitarbeitenden Fachwissenschaftler halten, wird man mit der 'Geschichte der bildenden Kunst' wohl das aktuellste Nachschlagwerk zur bildenden Kunst in Deutschland haben. Zusammen mit dem gut ausgewählten Bildmaterial ist der Band eine eindrucksvolle Leistung, die nicht nur für den kunstinteressierten Laien, sondern auch für den Kultur-, Literatur und Geschichtswissenschaftler ein Werk zur Verfügung stellt, mit dem er sich schnell über die parallelen Ereignisse in der bildenden Kunst in einem entsprechenden Zeitraum informieren kann. Daher auch noch sehr praktisch für die Handbibliothek. Was kann man mehr erwarten?


Titelbild

Andreas Beyer (Hg.): Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Band 6: Klassik - Romantik.
dtv Verlag, München 2006.
638 Seiten, 80,00 EUR.
ISBN-10: 3423343060

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