Anekdoten vom Allergrößten

Pelés Autobiografie offenbart neben den Fakten einer außergewöhnlichen Karriere die Facetten eines gewöhnlichen Menschen

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Getauft wurde er auf den Namen Edson Arantes do Nascimento, im Kreise seiner Familie wird er bis heute Dico genannt, die Welt aber kennt ihn unter dem Künstlernamen Pelé. Pelé ist der größte Fußballer aller Zeiten. Und wie es sich für einen Superstar der Gegenwart gehört, darf eines nicht fehlen: Die Autobiografie, das literarische Denkmal zu Lebzeiten, das er schlicht "Mein Leben" genannt hat.

Ganz alleine hat Pelé sein Leben jedoch nicht auf's Papier gebracht, geholfen hat ihm der brasilianische Sportjournalist Orlando Duarte. Pelés Co-Autor, dessen Absicht es war, den berühmten Fußballer "zu zeigen, wie er wirklich ist", spart in seiner chronologischen Lebensbeschreibung - vom "Jungen aus Bauru" bis zur "Ikone" keine Seite des Weltstars aus. Alles kommt zur Sprache: "Pelé der Champion, Pelé der Freund, Pelé der Rekordhalter, Pelé der Einzigartige, Pelé der Ewige!". Auch die "Kehrseiten des Ruhms" werden nicht verschwiegen: die Scheidung von der ersten Frau und die finanziellen Probleme, die Pelé schließlich nötigen, bei Cosmos New York in der US-Operettenliga anzuheuern, ihn, der bis dato dem FC Santos treu geblieben war. Dass auch sportlich nicht alles rund lief, trotz dreier Weltmeistertitel und zahlreicher Erfolge auf Vereinsebene, offenbart dem Leser das kurze Bekenntnis zur brasilianischen Blamage bei der WM in England ("Nichts passte 1966 zusammen."). Es könnte für die Superstars geschrieben sein, die bei der jüngsten Weltmeisterschaft vier Jahrzehnte später ebenfalls vieles schuldig blieben.

Sonst entsteht der Eindruck einer erfolgreichen, im Grunde typisch brasilianischen Fußballerkarriere. Der Aufstieg vom Kind aus ärmlichen Verhältnissen zum Weltstar, das Leid des filigranen Technikers angesichts rauer Sitten auf dem Rasen, die Treue zur Heimat und immer wieder Gott. Der Katholik Pelé betrachtet die Entwicklungen seines Lebens als glückliche Fügungen und macht kein Geheimnis aus seinem Glauben.

Duarte bemüht sich erfolgreich, Pelés Leben außerhalb der Stadien als das eines ganz normalen Menschen darzustellen. Das macht den begnadeten Sportler noch sympathischer. Eine Reihe interessanter Details aus dem Leben zeigt die Banalität der Biografie des brasilianischen Ballzauberers, etwa wenn es für ihn nach dem ersten WM-Titel im Oktober 1958 erst einmal zur Armee ging - keine Gnade für den jungen Fußballgott, der wie Millionen andere Jungs "[i]m Stillen hoffte [...], dass sie meinen Geburtstag übersehen würden". Duarte lässt Pelé erzählen, wie es zu dem Namen "Pelé" kam, der eigentlich eine Hänselei bedeutete, die in den Ohren des jungen Fußballers klang "wie portugiesisches Babygeplapper". Er entlockt ihm, dass er als pubertierender Profi Schwierigkeiten hatte, den Rat seines ersten Trainers Waldemar de Brito zu befolgen: "Keine Zigaretten, kein Alkohol, keine Frauengeschichten und keine falsche Gesellschaft." Betont locker enthüllt Pelé die Problematik des Hormonhaushalts, die sich in diesem Lebensabschnitt natürlicherweise einstellt - WM-Vorbereitung hin oder her. Und Duarte lässt ihn von der Freundschaft zu Garrincha erzählen, der Pelé vier Jahre später während der WM 1962 in Chile zur Seite stand, als eine Verletzung seinen Einsatz im Finale verhinderte.

Ergänzt werden die unterhaltsamen, lebendig geschriebenen Schilderungen von zahlreichen Fotos und einer eindrucksvollen Statistik, die alle 1088 Tore, die Pelé in 1114 Pflichtspielen schoss, minutiös dokumentiert.

Wohl dem, der seine Lebenserinnerungen getragen weiß von dem Satz: "Ich kann sagen, dass ich ein glücklicher Mensch bin." Es lohnt sich, an Pelés Erinnerungen teilzuhaben, nicht nur als Fußballfan. Denn neben "Pelé" gab und gibt es "Edson", der für das seelische Gleichgewicht sorgt: "Edson bedeutet Familie, Frieden, Ruhe, das Ländliche." Edson steht für die einfachen Dinge, die Pelé nie ganz vergessen hat. Den Weltbürgerstatus, den die UNO dem Brasilianer am 27. September 1977 verlieh, erwarb er sich denn auch nicht nur für die sportlichen Erfolge, sondern vor allem aufgrund seiner Vorbildfunktion, die er später durch sein bemerkenswertes soziales Engagement als UNICEF- und UNESCO-Botschafter belegte. Was bei Pelé zählt, ist eben nicht nur auf dem Platz.


Titelbild

Pelé: Mein Leben. Mit Orlando Duarte und Alex Bellos.
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner, Nicolai von Schweder-Schreiner und Henning Sohlmann.
Scherz Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
285 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3502180008

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