Wär doch lustig, oder nicht?

Eine etwas andere Rezension zu Jean Baudrillards "Intelligenz des Bösen" - zu Händen von Johannes B. Kerner

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sehr verehrter Herr Kerner,

ich möchte diese Rezension zum Anlass nehmen, Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich habe für diese Website das Buch "Die Intelligenz des Bösen" von Jean Baudrillard gelesen.

Baudrillard ist - ich nehme jetzt einfach mal an, dass Sie nicht viel über den Herrn wissen, obwohl das vermutlich nicht stimmt - Baudrillard also ist einer der führenden Kritiker und Theoretiker der jüngst vergangenen Epoche "Postmoderne". Einer seiner berühmtesten Ansätze befasst sich mit mit den Begriffen Simulation und Simulacrum, in der er behauptet, dass die Bilder der Medien mächtiger und wirklicher geworden sind, als die Wirklichkeit selbst, die Medien also eine Art Hyperrealität produzieren, die nichts mehr mit der wirklichen Wirklichkeit zu tun hat.

Keine Sorge, Herr Kerner! Dies soll keine Kritik an ihrer Sendung werden, ich bitte Sie um ein wenig Geduld, während ich versuche, mein Anliegen sorgfältig darzulegen.

Baudrillards Buch "Simulation und Simulacrum" erschien 1981 und 1999 aus naheliegenden Gründen auch in dem Film "Matrix". Sie können sich denken, Herr Kerner, das Baudrillards Theorien mit dem, was euphemistisch gerne als "Siegeszug des Internets" oder neuerdings als auch web 2.0 bezeichnet wird, dringend eines Updates bedürfen. Dieses Update nun - ich verkürze hier erheblich, ich bitte um Verzeihung - hat Herr Baudrillard mit dem Buch "Die Intelligenz des Bösen" vorgelegt. Man kann das Buch ruhigen Gewissens als ein Spätwerk bezeichnen. Als Professor an der Sorbonne ist Herr Baudrillard mit 77 Jahren mittlerweile emeritiert. Nichtsdestoweniger werden Herrn Baudrillards Theorien an den cooleren unter den geisteswissenschaftlichen Fakultäten unvermindert gelehrt. Es sind dies dieselben geisteswissenschaftlichen Fakultäten, in deren Raucherecken immer wieder das Werk des Peter Licht empfohlen und auch diskutiert wird. Vielleicht haben Sie von Herrn Licht schon gehört, er ist Musiker, und sein jüngst erschienenes Album "Lieder vom Ende des Kapitalismus" avancierte zum Feuilletonliebling.

Es wäre mein Vorschlag an Sie, Herrn Baudrillard und Herrn Licht zu einem Streitgespräch einzuladen, das selbstverständlich Sie moderieren müssten. Sowohl "Die Intelligenz des Bösen" als auch die "Lieder vom Ende des Kapitalismus" sind dieses Jahr erschienen und wären willkommene, also aktuelle Anlässe, die beiden in ihrer, nennen wir es mal Show zu haben.

Beide beschäftigen sich auf ihre Weise mit unserer Zeit und sind große Kritiker des Hier und Jetzt. Um Sie, Herr Kerner, endgültig davon zu überzeugen, darf ich kurz einige Thesen der beiden umreißen.

Peter Licht singt in seinem Lied "Kopf zwischen Sterne": "Du kannst nicht mehrere Leben führen / auf mehrere Schiffe gehen / das schenkt uns die treue Realität / und der Rest ist Hobby"

Baudrillards Buch "Die Intelligenz des Bösen" nun basiert nicht mehr auf seinem Konzept der Hyperrealität, gleich eingangs entwickelt er den Begriff der "Integralen Realität": "Als integrale Realität bezeichne ich die auf die Welt zielende Durchführung eines grenzenlosen operationalen Projekts: alles soll real, alles soll sichtbar und transparent werden, alles soll "befreit" werden, alles soll Erfüllung finden und einen Sinn haben (nun besteht das Eigentümliche der Bedeutung doch gerade darin, dass nicht alles eine Bedeutung hat). Es soll nichts mehr geben, von dem sich nichts sagen ließe."

Weiter führt er aus, dass gerade diese integrale Realität einen Verlust an Wirklichkeit bedeute. Folgt man Baudrillard, verhält es sich also so, dass die Realität alles andere als treu ist, und wir alle andauernd mehrere Leben führen, die allesamt nichts sind als Hobby. Sie sehen, Herr Kerner, es ist einiges an Streitpunkten vorhanden. Dennoch könnten Herr Licht und Herr Baudrillard sich vermutlich auf einige Punkte einigen. "Es gibt einen geraden Weg", sagt Herr Licht, und Baudrillard: "Dadurch, durch das Ausräumen sämtlicher Hindernisse zwischen dem Bild und dem Blick, gelangt man zur Buchstäblichkeit, zur materiellen Imagination der Welt".

Zu beiden wäre noch einiges zu sagen, besonders zu Herrn Baudrillards Konzepten zur bildenden Kunst, die in ihrer Selbstreferenz "erstickt" sei, wie auch zu seinen Thesen, dass die politische Klasse jegliche politische Macht verliert.

Auch hier jedenfalls böten sich Diskussionsthemen an, denn auch zum endgültigen Sterben des Wohlfahrtsstaates und des Kapitalismus hätte Herr Licht einiges zu sagen. Sie sehen also, Herr Kerner, auch politisch könnten die beiden diskutieren.

Sowieso erscheint Herr Baudrillard in "Die Intelligenz des Bösen" als eine Art Universalgelehrter, der Politik, Soziologie, Semiologie, Medientheorie und bildende Kunst zur einer fröhlichen Gemengelage verbindet, immer wieder überraschende und definitiv gemeinte Aussagen über alles an sich trifft, gerne auch gewürzt mit Beispielen aus der Literatur. Man könnte dabei fast sagen, dass jeder Satz wieder eine kleine Überraschung ist, Baudrillard hält sich selten mit akkuraten Nachweisen und langen Reden auf, weil, wie er behauptet, sich seine Thesen sowieso nicht nachweisen ließen, sie seien eher Glaubenssache. Herr Baudrillard stellt sich durch seinen Stil auch als ungeduldiger Polemiker dar, der selten einen knackigen Satz auslässt. Dazu ist er begnadeter Stilist, der, so scheint es, den Pathos als ein Art Heimat seiner Sprache adoptiert hat, aber merkwürdigerweise selten ins Lächerliche abdriftet. Das mag daran liegen, dass er weiß, was er tut, oder das wenigstens erfolgreicht simuliert.

Sie sehen also, Herr Kerner, auch hier wäre er wieder ein idealer Diskussionspartner, vor allem für Herrn Licht, der als Texter von Musikstücken gewohnt ist, wichtiges kurz und gut rüberzubringen.

Eine Diskussion zwischen den beiden wäre doch eine lustige Sache.

Ich möchte sie also bitten, Herr Kerner, meinen Vorschlag zu überdenken und auszuführen, und darf mit einem Satz von Peter Licht schließen, den sie deuten mögen, wie Sie wollen: "Das ist unsere Zeit / und sie leuchtet / lass sie leuchten".

Ich verbleibe, Herr Kerner, mit ergebenstem Gruß,

Ihr

Jan Fischer


Titelbild

Jean Baudrillard: Die Intelligenz des Bösen.
Herausgegeben von Peter Engelmann.
Übersetzt aus dem Französischen von Christian Winterhalter.
Passagen Verlag, Wien 2006.
194 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3851657454

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