Unerwarteter Tod

Über Philip Roths neuen Roman "Jedermann"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Spektrum der Themen ist aus den letzten Büchern Philip Roths schon bekannt: Zeit, Alter, Vergänglichkeit, Lust, Identität, Tod und deren wechselseitige und mögliche Beziehungen. In "Jedermann" schildert er den Lebenslauf eines kreativen Werbefachmanns, seine Beziehungen zu drei Frauen, sein Verhältnis zu seinen Kindern und die mit den Beziehungen verbundenen Trennungen. Dazwischen immer wieder Anmerkungen zur Befindlichkeit der Hauptperson. Nach drei letztendlich gescheiterten Beziehungen ist der Protagonist allein, Krankheit stellt sich ein und Neid auf die unerschütterliche Gesundheit des Bruders. Auf das Arbeitsleben folgt zwar ein entspannter Ruhestand, in dem aber bald die Themen Krankheit, Altern und Verlust die Überhand gewinnen. Unspektakulär endet das Buch mit dem Tod des Protagonisten, der bei seiner siebenten Operation im Krankenhaus stirbt. Die Geschichte von "Jedermann"?

Roth gelingt die Überführung von allgemeingültigen Begriffen in lebendige Personen, denen der Leser einen hohen Grad an Empathie entgegenbringt. Dabei verweist der Titel "Jedermann" auf einen allgemeingültigen Anspruch des Textes. Bemerkenswerterweise ist die einzige Andeutung auf dem Buchtitel das Geschäft "Jedermanns-Schmuckladen", das dem Vater des Protagonisten gehört. Aber dieser vermeintliche Anspruch auf Allgemeingültigkeit steht nicht im Vordergrund. Roth zeichnet Figuren aus Fleisch und Blut, mit individuellen Schicksalen und individuellen Erfahrungen. Trotzdem sind die Erkenntnisse und Wahrheiten, die sich der Hauptperson eröffnen, auf eine erschreckend reale Art allgemeingültig und übertragbar: "[...] während er selbst den Kampf um seine Position als unangreifbarer Mann inzwischen verloren hatte, da sein Körper mit der Zeit zu einem Lagerhaus für künstliche Gerätschaften geworden war, die den endgültigen Zusammenbruch hinauszögern helfen sollten. Noch nie waren mehr Sorgfalt und Schläue erforderlich gewesen, um den Gedanken an sein eigenes Ableben zu zerstreuen."

Die Perspektiven am Ende eines Lebens werden von Roth bestechend scharf skizziert. Von einer einflussreichen Person im Berufsleben wandelt sich der Protagonist in der Eigenperspektive zu einer gesellschaftlichen Randnote, nahe am Rande der Selbstauflösung. Er schreibt von "der ätzenden Verzweiflung eines Mannes, der einst hochgemut im Mittelpunkt von allem gestanden hatte und sich jetzt im Mittelpunkt von nichts befand. Der jetzt selbst ein Nichts war, nichts als eine unbewegliche Null, die zornig auf die Gnade der absoluten Auslöschung wartete." Und auch die Zwischenstadien in dem Prozess der Selbstauflösung, kurz vor dem Tod, werden nicht verschwiegen: "Alle diese Operationen und Krankenhausaufenthalte hatten ihn zu einem entschieden einsameren, weniger zuversichtlichen Mann gemacht, als er es im ersten Jahr seines Ruhestands gewesen war. Frieden und Stille, einst von ihm so geschätzt, schienen sich in eine selbsterzeugte Form von Einzelhaft verwandelt zu haben, und ihn verfolgte das Gefühl, es gehe mit ihm zu Ende."

Neben den chronikartigen Beobachtungen des Zerfalls stellt sich eine gewisse Melancholie in den Beschreibungen ein. Roth lässt seine Hauptfigur den Tod spüren und die Auseinandersetzung damit, dass er ohne den Trost der Religion auskommen muss, ist nicht versöhnlich, sondern brutal und tödlich - und erst durch die Gestaltung des Stoffes in Literatur für den Leser erträglich: "Der Mann, der mit Nancys Mutter durch die Bucht geschwommen war, war an einem Punkt angelangt, an den zu kommen er nicht einmal im Traum gedacht hatte. Es war Zeit, sich über das Vergessenwerden Gedanken zu machen. Die ferne Zukunft war zur Gegenwart geworden." Er fragt sich am Ende des Buchs, ob "das Heer, mit dem er angetreten war, bis auf den letzten Mann aufgerieben war?"

Das Buch endet mit dem siebenten Krankenhausaufenthalt der Hauptperson. Deren anfänglicher Optimismus allerdings völlig unbegründet ist: "Er sank hinunter, fühlte sich aber alles andere als besiegt, ganz und gar nicht dem Untergang geweiht, nur darauf aus, wieder Erfüllung zu erleben, und dennoch wachte er nicht mehr auf. Herzstillstand. Er war nicht mehr, befreit vom Sein, ging er ins Nichts, ohne es auch nur zu merken. Wie er es befürchtet hatte von Anbeginn." Es ist ein Schluss, den ein Erzähler mit den Worten kommentiert: "Tut uns leid, hier endet der Spielfilm, weil der Hauptdarsteller völlig überraschend von Leben zum Tode kam!" Die Hauptperson im "Jedermann" stirbt überraschend. Und damit schafft Roth genau das, was im Leben jedes Einzelnen auch passiert: Der Tod kommt unerwartet, unpassend. Ein wirklich grandioses Buch auf allen Seiten - und nicht erst mit diesem furiosen Schluss.


Titelbild

Philip Roth: Jedermann. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Werner Schmitz.
Carl Hanser Verlag, München 2006.
172 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3446208038

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