Schwein gehabt

Etgar Keret verabschiedet in „Das Sparschwein“ eine Kindheit

Von Wieland SchwanebeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wieland Schwanebeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Zeiten, da kaum noch jemand sein Geld unterm Kopfkissen aufbewahren dürfte und die Menschheit beim Zahlungsverkehr fröhlich dem bargeldlosen Zeitalter entgegentänzelt, da hat ein Bekenntnis zum Sparschwein geradezu etwas Trotziges. Das Verschenken des Porzellan-Paarhufers an die nächste Generation zum Zwecke einer basalen Investitionsbelehrung riecht geradezu nach Pädagogik des Wilhelm-Busch-Zeitalters; dem Klang der im Schweine-Inneren klingenden Münzen dürfte dennoch schon so mancher am Tag der Kreditkartenabrechnung noch die ein oder andere Träne nachgeweint haben.

Etgar Keret, einer der prominentesten und umtriebigsten Autoren der zeitgenössischen israelischen Literatur, hat dem Sparschwein mit seiner kleinen, gleichnamigen Fabel nun eine Hommage angedeihen lassen, die sich gar nicht erst auf Kindheitsromantik an Großvaters Kachelofen einlässt, sondern die – und das hat sie mit den besten sogenannten ,Kinder‘-Büchern gemein – nicht verschweigt, dass Kindheit eben auch heißt, Schmerz zu erdulden, sich hilflos zu fühlen und die Vergänglichkeit zu erahnen. Dem Vorwort des Autors ist zu entnehmen, dass seine Erzählung einen autobiographischen Kern trägt: Seine kindliche Fassungslosigkeit darüber, ein Porzellanschwein erst mit Geld zu mästen und es dann einfach zu schlachten, hat Keret seinem Erzähler Yoavi vererbt. Diesem verweigert der Vater erst den Kauf einer Bart-Simpson-Figur, um ihm dann eine Lektion angedeihen zu lassen: Yoavi soll sich das Spielzeug vom eigenständig angesparten Geld kaufen dürfen – „Mein Vater sagt, so sei es pädagogisch.“

In Sätzen, die überzeugend Yoavis kindliches Staunen über diesen seltsamen Porzellangefährten (der bald auf den Namen Pessachson getauft wird) spiegeln, ohne dabei in eine retrospektive Altklugheit oder – das andere Extrem – in die altbekannte Kinderbuch-Parataxe zu verfallen, wird geschildert, wie der junge Held Schekel um Schekel für das Austrinken des verhassten Kakaos mit Haut erhält und seinen geliebten Pessachson mit den dafür vom Vater erhaltenen Münzen füttert. Natürlich muss diese unwahrscheinliche Freundschaft auf den Abgrund zusteuern, als der Vater mit dem Hammer anrückt und dem Sohn den männlichen Initiationsritus der Schlachtung abverlangen will – eine Szene, die noch vom Stellenwert des nicht-koscheren Schweins in den kulturellen Koordinaten der jüdischen Welt (und natürlich von antisemitischen Vorurteilen gegenüber der vermeintlichen jüdischen Geldversessenheit) verkompliziert wird.

Um eine Ahnung davon zu gewinnen, dass sich in Yoavis Einblicke in die Grausamkeit der erwachsenen Ökonomie auch die traumatische Vorgeschichte einer vom Holocaust unmittelbar betroffenen Familie mischt, bedürfte es gar nicht Kerets Vorwort, das mit seinem zentralen Gleichnis dennoch berührt. Keret selbst hat seinem Sparschwein irgendwann die Fütterung verweigert, so wie er es selbst seinen Eltern ersparte, darum zu wissen, „wenn das Leben eine Münze der Kränkung oder des Kummers in den Schlitz meines Herzens fallen ließ.“ Dieselbe stimmige Schwermut durchzieht auch die detaillierten Illustrationen von David Polonsky, dessen Stil hiesigen Lesern aus seiner Graphic-Novel-Adaption des Ari-Folman-Films Waltz with Bashir (2009) vertraut sein dürfte. In dieser schattenreichen Kinderwelt bleibt das akut bedrohte, hungrige Sparschwein der einzige Farbtupfer.

Titelbild

Etgar Keret: Das Sparschwein.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Barbara Linner.
Atrium Verlag, Berlin 2016.
40 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783855350087

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