Ein genervter Erzähler und eine ehemalige große Liebe

Navid Kermani langweilt mit seinem Roman „Sozusagen Paris“

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„So etwas nervt mich ja total“, beschwert sich der Erzähler, „um das wenigstens im Roman, den ich schreiben werde, so offen zu sagen, dieses Festschreiben des Fremden auf seine Fremdartigkeit, ganz gleich, ob es auf Ausgrenzung hinausläuft oder wie in Juttas und meiner Generation so oft auf Paternalismus.“ Ja, das Alter Ego von Navid Kermani hat’s nicht leicht. Nun ist es einmal ein bisschen fremd und wird deshalb auch noch als gänzlich Fremder gesehen. „Dichtung, Musik, Malerei und am explizitesten die Romanschreiberei: nicht zwängt sie den Menschen in eine Schablone, sondern fängt das Unerschöpfliche, auch Widersprüchliche, Unzusammenhängende und damit Einzigartige einer jeden Persönlichkeit ein.“ So denkt der Protagonist in Sozusagen Paris in einer etwas seltsamen Grammatik vor sich hin und schließt: „Gut, nachts um eins sollte ich keiner Frau der Welt mit einer Kritik des identitären Denkens kommen.“

Die Frau, mit der er diskutiert, ist Jutta, die er auf einer Lesung getroffen hat, in der er aus der Großen Liebe aus längst vergangenen Teenagertagen vorgetragen hatte. Jutta ist inzwischen Bürgermeisterin eines kleinen Orts und Tantra-Lehrerin. Und sie ist genau diese große Liebe mit der Zahnlücke, von der er damals immer fantasiert hatte. Der Erzähler geht mit ihr nach Hause, die halbe Nacht reden sie miteinander, während ihr Mann nebenan arbeitet und erst spät zu ihnen stößt.

Um die Liebe geht es natürlich in diesem Roman, um Sex, die Ehe und ihre Probleme und die Literatur. Auch um die Extase, um die Momente, in denen man ewig lebt, „meinetwegen beim Sex oder weniger sensationell das Kind, das ins Spiel versunken ist, als Erwachsener im Konzert, bei Schubert oder Neil Young oder was weiß ich, auch am Meer, in den Bergen, wenn dich die Schönheit einer Landschaft überwältigt, oder unterm Sternenhimmel“.

Dummer- und langweilenderweise erzählt der Roman aber keine Geschichte, sondern hemmt sich immer wieder selber (siehe oben) durch ausufernde Exkurse und mit ellenlangen Zitaten von Gustave Flaubert, Marcel Proust, Stendhal, Émile Zola, Honoré de Balzac, Theodor W. Adorno und Georges Bernanos. Und damit nicht genug, versucht sich Kermani im Roman gleichzeitig an einer Theorie des Romans, argumentiert mit dem Lektor, richtet sich an den Leser: „Daß du mir über so viele Seiten hinweg deine Aufmerksamkeit schenkst, kann ich mir ohne – ich will nicht sagen: Liebe – aber ohne alle Narrheit auch nicht erklären. Immer frage ich mich, wer du bist“. Und an den Rezensenten, vor allem an Wolfram Schütte: „Und Sie glauben nicht, was für ein Fest es für mich war zu entdecken, daß auch Sie meine Literatur – ich wage wieder nicht zu sagen: lieben –, aber mit Aufmerksamkeit verfolgen – das ist viel wichtiger – und darauf reagieren.“

Das ist einerseits zu viel für einen Roman (es sei denn, man kann essayistisch und gleichzeitig erzählend schreiben wie Robert Musil), denn er ist ungeordnet vollgestopft wie eine Rumpelkammer mit Literaturgeschichte, Bildertheorie, Interpretationen und Zitaten und an den Haaren herbeigezogener Intertextualität. Und zu wenig, denn Kermani erzählt nicht, sondern schwallt.

Sprachlich schafft der Autor es nie, auch nur ansatzweise an seine großartigen Bücher wie beispielsweise Das Buch der von Neil Young Getöteten heranzukommen, er verrät früh, dass nichts Spektakuläres passieren wird und es passiert auch nichts. Aber es wird auch die Langeweile nicht so beschrieben, dass sie spannend wäre wie etwa in Iwan Gontscharows Oblomow. Die Personen bleiben so holzschnittartig, die Sprache so holprig, dass es fast weh tut: Damit „kehre ich zum Biographischen zurück, das für den Leser wenigstens kursorisch abgehandelt werden muss“, heißt es einmal, oder: „Im Übrigen spricht sie ihr Geschlechtsleben auf Bundesebene ebenfalls ganz offen an“.

Titelbild

Navid Kermani: Sozusagen Paris. Roman.
Hanser Berlin, Berlin 2016.
284 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783446252769

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