Mehr als nur Rowohlt

Reinhard Klimmt und Patrick Rössler kartografieren das Taschenbuch der frühen Jahre

Von Günther FetzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günther Fetzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Bände mit Schutzumschlag, Großformat von 25 x 28,5 cm, jeweils 544 und 391 Seiten, Schmuckschuber, über 6300 vierfarbige Abbildungen, 6,4 kg Gewicht – das sind die eindrucksvollen Daten einer Dokumentation aller zwischen 1950 und 1959 in der Bundesrepublik, der DDR sowie in Österreich und der Schweiz erschienenen Taschenbücher. Geschaffen haben dieses Riesenkompendium Reinhardt Klimmt, der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker, und der Erfurter Kommunikationssoziologe Patrick Rössler zusammen mit fünf Mitstreitern. Grundlage ist die Sammlung des Bibliomanen Klimmt, der für seine wuchernden Buchbestände eigens eine Scheune anmieten musste.

Der erste der beiden herstellerisch mit feiner Noblesse gefertigten Bände bietet sorgfältig gearbeitete Porträts von Verlagen, die Taschenbuchreihen verlegt haben. Der Schwerpunkt liegt auf Rowohlt, dem ‚Erfinder‘ des Taschenbuchs in Deutschland. Ausführlich sind auch Fischer, List, Goldmann und Ullstein mit dem Vorläufer Bürger dargestellt. Etwas merkwürdig erscheint, dass Herder und Heyne – wohl wegen des gemeinsamen Anfangsbuchstabens – in einem Kapitel zusammengezwungen wurden. Heute kaum noch bekannte Verlage und Reihen wie Lehning und die „Non-Stop-Bücherei“ sind ebenfalls vertreten. Eigene Kapitel sind ferner Genres wie Kriminal- und Abenteuerromanen, aber auch Ratgebern, Sport- und Wissenschaftsreihen, religiösen Taschenbüchern sowie Kinder- und Jugendbüchern gewidmet. Die bundesrepublikanische Taschenbuchszene der 1950er-Jahre wird ergänzt durch die ersten Taschenbuchreihen der DDR wie „bb – billige Bücher“ im Aufbau Verlag und „Roman für alle“ im Verlag der Nation, ebenso durch Taschenbücher aus der Schweiz wie die Scherz-Krimis und Österreich mit der Stiasny-Bücherei.

Besonders verdienstvoll sind die (Werk-)Porträts von Buchgestaltern wie Karl Gröning jr. und Gisela Pferdmenges, die die Rowohlt-Taschenbücher optisch unverwechselbar gemacht haben, von Gerd Grimm und Wolf D. Zimmermann, Werner Rebhuhn und Kurt Hilscher, Hermann Rastorfer und Lothar Reher, dem wohl wichtigsten Buchgestalter der DDR.

Zusammen mit den großformatigen Coverabbildungen entsteht so ein breites Panorama der Taschenbuchlandschaft zu einer Zeit, als diese Publikationsform unter heftigem kulturkritischem Beschuss stand. Der Vorwurf der „Amerikanisierung“ des literarischen Lebens war allgegenwärtig, ebenso jener, die Taschenbücher würden der Verbreitung von Schmutz und Schund Vorschub leisten. Besonders hervorgetan bei der Kritik am Taschenbuch hat sich der junge Hans Magnus Enzensberger, dessen Essay mit dem Titel „Bildung als Konsumgut“ nach einer Zeitschriftenpublikation 1959 im Jahr 1962 paradoxerweise in einem Taschenbuch veröffentlicht wurde.

Der erste Band schließt mit einem Epilog, in dem kurz die in der Anfangszeit angelegten Programmlinien fortgeführt und neue Entwicklungen, etwa die Gründung des Deutschen Taschenbuch Verlags und der Edition Suhrkamp, skizziert werden.

Der zweite Band umfasst ein alphabetisches Verzeichnis der 140 erschienenen Reihen von „Die Abenteuer des Saint“ über die „Courths-Mahler-Taschenbuch-Reihe“ und die „Mitternachtsbücher“ bis zum „Zebra-Buch“, erfasst alle in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwischen 1950 und 1959 erschienenen Taschenbücher bibliografisch einschließlich des Umschlaggestalters und dokumentiert danach die gesamte Produktion von fast 5000 Titeln in einer eindrucksvollen Bildbiografie. Ein Künstlerindex, ein Verzeichnis weiterführender Literatur, ein Autoren- sowie ein Titelregister beschließen den Band.

Diese Aufzählung kann natürlich keinen Eindruck von der Fülle der beiden Bände vermitteln, in allererster Linie von der optischen Opulenz. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die Fülle an Informationen zur Geschichte des Taschenbuchs in dieser Zeit.

Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der bildnerischen Gestaltung der Umschläge, nicht auf der inhaltlichen Programmatik der Verlage. Kurz: Hier wird in Umschlägen die Geschichte der deutschsprachigen Taschenbücher und die ihrer meist in den Hintergrund gedrängten Gestalter erzählt.  Das ist zugleich ein Stück Design- und Schriftgeschichte und so wesentlicher Teil einer noch zu schreibenden Geschmacksgeschichte der Nachkriegszeit. Und schließlich sind die beiden Bände zugleich Dokumentation und Fundgrube für künftige Forschung.

Einziger Diskussionspunkt ist die recht konventionelle Definition des Taschenbuchs, die sich stark am Format orientiert. Das führt dazu, dass die älteste deutsche Taschenbuchreihe, die 1867 gestartete „Universal-Bibliothek“ des Reclam Verlags, ausgespart bleibt. Andere Taschenbuch-Kriterien wie niedriger Ladenpreis, Reihengestaltung und hohe Auflage erfüllen die Reclam-Bändchen zweifellos.

Zu wünschen und zu hoffen ist, dass die reiche Sammlung von Reinhardt Klimmt noch Folgebände in dieser Fülle und Qualität erlauben wird.

Titelbild

Reinhard Klimmt / Patrick Rössler: Reihenweise. Die Taschenbücher der 1950er Jahre und ihre Gestalter.
Achilla Presse Verlag, Butjadingen 2016.
936 Seiten, 249,00 EUR.
ISBN-13: 9783000522345

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