Ausweg Kunst

In dem Hörbuch „Für immer“ lässt Klaus Sander Peter Kurzeck noch einmal von seinem Schreiben erzählen

Von Carina BergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carina Berg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Peter Kurzecks Schreiben war schon immer ein Schreiben gegen die Zeit, gegen das Vergessen. Ewig knapp war ihm die Zeit und zu groß das zu bewältigende Material, denn sein Material war nichts Geringeres als die Welt selbst. Doch gerade diese Erfahrung der Machtlosigkeit gegenüber der unweigerlich verstreichenden Zeit fungierte als Motor seines Schreibens. Kurzeck war ein obsessiver Erzähler, für den das Erzählen eine existenzielle Notwendigkeit hatte. Sowohl seine autobiographisch-poetischen Romane als auch seine mehr oder weniger frei eingesprochenen Hörbücher legen Zeugnis davon ab, dass er nicht anders konnte, als „die ganze Gegend, die Zeit“ zu erzählen. Dass nun auch noch der Autor scheinbar aus dem Jenseits zu uns spricht, grenzt an Zauberei.

Hinter dieser Zauberei steckt der Hörbuch-Verlag supposé von Klaus Sander, der schon bereits vier andere Hör-CDs mit Peter Kurzeck realisiert hat. Das Material, aus dem Für immer zusammengeschnitten wurde, ist Teil der Aufnahmen, die Sander 2007 für Ein Sommer, der bleibt gemacht hat. Interessanterweise vermag jedoch weder das Wissen um das Alter der Aufnahmen noch das Bewusstsein der Montage des Materials der unmittelbaren Präsenz der Autorenstimme beim Hören der CD etwas anhaben: Peter Kurzecks weiche, leicht singende Erzählstimme und seine eigentümliche Artikulation ziehen den Hörer in den Bann. Gesprochene Sprache fungiert hier als Authentizitätsträger. Und dabei ist es gar nicht selbstverständlich, dass ein Autor qua Beruf auch zum mündlichen Erzählen befähigt ist – Kurzeck gelingt beides, wie Für immer erneut beweist.

Der Autor nimmt den Hörer mit auf eine Poetikvorlesung der anderen Art. „Während ich schreibe, ist immer jetzt“, heißt es an einer Stelle. Das gleiche gilt für sein mündliches Erzählen: Vordergründig erzählt Kurzeck seinen Arbeitsalltag in seinem selbstgewählten Schreibexil in Südfrankreich, doch ufert das Erzählen immer wieder aus; eine Beobachtung erinnert an Vergangenes, welches er im Stande ist, behutsam tastend und um den Gegenstand kreisend heraufzubeschwören und zu einem Bild der Jetztzeit zu formen. Unentwegt tun sich Bezüge zu seinem Romanwerk auf. Die Mündlichkeit, das Nicht-Lineare und Redundante, die dem Alten Jahrhundert eignen, treten scheinbar im Akt des freien Erzählens in ihrer ursprünglichen Form zu Tage.

Kurzeck gelingt es, von sich zu erzählen, ohne in eine unangenehme Ich-Schau zu verfallen oder Mitleid erregen zu wollen, was bei seinem Lebenslauf, um den er nie ein Geheimnis gemacht hat, eigentlich verwundern muss. Schon als Kind sei ihm klar gewesen, dass er Dichter sein wollte, sein Werdegang als Schriftsteller ist ein stetes Ringen mit widrigen Umständen einer lese- und kunstfeindlichen dörflichen Welt. Neben der notwendigen Lohnarbeit schreibt er die Nächte hindurch, lange Zeit für die Schublade, bis das Geschriebene die Form hat, die man nun als den spezifischen Kurzeck-Sound kennt. Er kündigt sogar 1971 seinen sicheren Job bei der US Army, um selbstbestimmt schreiben zu können. Diese Entscheidung, die aus einer zweckrational-bürgerlichen Perspektive naiv bis wahnsinnig klingt, hat sich schlussendlich als Glücksfall für die deutsche Gegenwartsliteratur erwiesen. Kurzeck inszeniert sich als ein zwanghaft Schreibender, ein Mensch, der nur im Modus des Schreibens und Erzählens existieren kann.

Das Schreiben ist bei Kurzeck therapeutisch, seine persönliche Fluchterfahrung beschreibt er als den Grund seines Erinnerungszwanges. Die Rechnung ist so simpel wie gefährlich: Alles, an das man sich nicht erinnert, geht verloren. Der Autor ist also vor allem auch Archivar. Ähnlich wie bei Shelley sieht er sich als verkannter Hüter der Welt, denn einer muss ja nach dem Rechten sehen und sicher stellen, dass die Welt „in Gang bleibt und dass nichts schief geht, weil ja unentwegt alles schief geht offenbar“. Das kostet den Schriftsteller natürlich schlaflose Nächte. Was nach kauzigem Größenwahn klingen mag, meint Kurzeck aber ernst. Dabei verharrt er jedoch nicht bei einem simplen Abschreiben der Welt, sonst wäre der Autor bloß ein verrückter Lagerverwalter, der auflistet und sortiert. Kurzeck hat ein Auge und Ohr für das Alltägliche, das Schon-zu-oft-Gesehene, aber auch das Nie-Bemerkte. Er schafft poetische Bilder aus Alltagsszenen – in Schrift und gesprochener Sprache – die nachklingen. Kurzecks Ausweg aus der Mühle des zwanghaften Erinnerns ist die Kunst.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Peter Kurzeck: Für immer. Peter Kurzeck erzählt sein Schreiben. 1 CD.
Supposé Verlag, Berlin 2016.
71 Minuten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783863850142

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