Dünnes Eis

Carolyne Larrington untersucht in „Winter is coming“ die mittelalterliche Welt von „Game of Thrones“

Von Stefan TuczekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Tuczek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Buchreihe „A Song of Ice and Fire“ – in der deutschen Übersetzung „Das Lied von Eis und Feuer“ – von George R. R. Martin hat weltweit eine breite Masse an Fans. Der Fantasy-Epos, der seit 1996 erscheint und es mittlerweile auf fünf Bände (in Deutschland aufgeteilt auf zehn Bände) bringt, wobei noch zwei weitere folgen sollen, begeistert seine Leserschaft mit komplexen Intrigen und Machtkämpfen in der mittelalterlichen Welt von Westeros. Adelshäuser, wie Stark, Baratheon und Targaryen, versuchen den Eisernen Thron, der das Symbol der Herrschaft um Westeros ist, mit allen Mitteln zu erobern. Obwohl der Zyklus zum Fantasy-Genre gezählt wird, werden gängige Fantasy-Klischees nur sporadisch eingesetzt, Drachen und untote Nachtfürsten treten eher im Hintergrund auf. Einen viel stärkeren Fokus legt der Autor auf seine Figurenzeichnung und versucht die menschlichen Abgründe auszuloten – die gängigen Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, jede von Martin entworfene Figur hat ihre Licht- und Schattenseiten. Die komplexe Welt besitzt mittlerweile einen Fundus aus über 1000 Figuren, mit jedem Buch werden es mehr, und jede Figur hat ihre eigenen Beweggründe, um auf den Eisernen Thron von Westeros zu gelangen.

Das Ränkespiel um die Herrschaft in Westeros findet nicht nur in den Romanen statt, auch im Fernsehen kann man in der Serie „Game of Thrones“ die Abenteuer von Jon Schnee und Co. verfolgen. Daneben gibt es Karten- und Brettspiele zu „A Song of Ice and Fire“, in diversen Computerspielen kann man in die Haut seiner Lieblingsfiguren schlüpfen oder man stellt sie sich als Actionfigur auf den heimischen Schreibtisch. Graphic Novels illustrieren die Handlungen und in mehreren Handbüchern und Ergänzungsbänden kann man alles zu den Schauplätzen und Hintergründen in Westeros nachlesen. Durch den enormen Erfolg der Buchreihe ist es nicht verwunderlich, dass auch die Wissenschaft auf Martins komplexe Welt aufmerksam geworden ist und die ersten Aufsätze und Monographien zu der Buch- und Fernsehserie vorliegen. Auch Carolyne Larrington versucht in ihrer Untersuchung „Winter is coming“ die von Martin erschaffene Welt einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Dass sich Martin von historischen Gegebenheiten des europäischen Mittelalters, wie beispielsweise den Rosenkriegen, inspirieren ließ, ist allgemein bekannt. Ob es sich bei Larringtons Werk wirklich um eine wegweisende wissenschaftliche Abhandlung über die Welt von „A Song of Ice and Fire“ handelt, wie der Theiss-Verlag, bei dem die Arbeit aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt vorliegt, so vollmundig in diversen Produktvideos im Internet und auch auf dem Buchumschlag verspricht, ist allerdings fraglich.

Schon der Untertitel „Die mittelalterliche Welt von Games of Thrones“ irritiert, denn „Games of Thrones“ ist der Titel der Fernsehserie zu der Buchserie „A Song of Ice and Fire“/„Das Lied von Eis und Feuer“. Man könnte daher annehmen, dass sich die Arbeit ausschließlich mit der Fernsehserie beschäftigt, dies ist aber nicht der Fall, denn sie berücksichtigt beide Formate. Hier wird schon eine Schwachstelle der Untersuchung deutlich: Beide Serien sind nicht identisch miteinander und somit ergeben sich auch Unterschiede in der Bewertung und der Interpretation. Daher kann der Untertitel Erwartungen wecken, die die Arbeit so nicht bedienen kann.

Die Übersetzung von „Winter is coming“ ist ohne Frage gelungen und lesbar, dies liegt an der leichtfüßigen Sprache Jörg Fündlings – er hat sich auch die Mühe gemacht, zusätzliche Nachträge und Verweise einzubauen, so hat er beispielsweise bei Buchtiteln, die die Autorin nennt, überprüft, ob sie auch auf deutsch verfügbar sind. Fündling macht außerdem auf Probleme der Übersetzung hinsichtlich doppelter Wortsinne und dergleichen aufmerksam und versucht eine deutsche Alternative zu geben. Der Übersetzer muss ausdrücklich gelobt werden, nur ein Problem gibt es: Wie schon beschrieben, arbeitet Larrington hauptsächlich mit der Buchserie, wobei sie nie angibt aus welcher englischen Ausgabe sie jeweils zitiert. Genau dieses Manko findet sich auch in der Übersetzung: Alle Zitat sind zwar ins Deutsche übersetzt worden, aber der Leser weiß nicht, aus welcher deutschen Buchausgabe (oder handelt es sich um eigene Übersetzungen Fündlings?) hier zitiert wird. Es gibt auf dem deutschen Markt mittlerweile drei verschiedene Übersetzungen und diverse Buchausgaben. Woher stammen nun die Zitate? Die Antwort bleiben die Ausgaben schuldig. Hier wurde unsauber gearbeitet, sowohl in der englischen als auch in der deutschen Ausgabe. Der Verweis, dass man im Internet in Fan-Wikis nachschauen könne, wo sich die zitierten Passagen finden lassen, ist nicht leserfreundlich und kein Ersatz für wissenschaftliches Arbeiten.

Die Grundidee, das Setting von „A Song of Ice and Fire“/„Game of Thrones“ auf historische Einflüsse zu untersuchen, ist zu begrüßen – die Interviews mit Martin und die dargestellte Welt legen immer wieder nahe, dass es sich um eine vom Mittelalter inspirierte Welt handelt. Obwohl Larrington nicht definiert, was für sie „das Mittelalter“ ist und auch keinen zeitlichen Rahmen für diese Epoche festlegt, wird dieser Frage konsequent nachgegangen. Sie versucht herauszufinden, ob es Entsprechungen in Literatur und Historie für die Phänomene und Ereignisse in „A Song of Ice and Fire“/„Game of Thrones“ gibt. Schon recht schnell fällt auf, dass die gute Grundidee schlecht ausgeführt wird. Dies liegt an mehreren unschönen Faktoren: Larrington macht deutlich, dass Martin sich nicht nur vom englischen Mittelalter hat inspirieren lassen, auch andere europäische Länder und ihre spezifische Sagenwelt und Literatur dienten dem Autor als Quelle – allerdings werden historische Fakten und literarische Texte aufgezählt ohne nachgewiesen zu werden. Larrington behauptet also Dinge und gibt hierfür keine Quellen an. Welche Texte, Bücher und vor allem historische Quellen hat sie benutzt, woher stammen ihre Erkenntnisse? Man sucht in der Arbeit vergeblich danach – die Fußnoten leben von Internetquellen und selbst die Nachbemerkungen mit einigen Literaturhinweisen zeugen nicht von einem profunden Quellenstudium. Dadurch nimmt Larrington dem Leser die Möglichkeit, sich kritisch mit dem Inhalt der Arbeit auseinanderzusetzen und verhindert ein eigenes Quellenstudium. Die Argumentationen der Autorin sind zum Teil nicht stichhaltig: So wird beispielsweise ein Sachverhalt aus „A Song of Ice and Fire“/„Game of Thrones“ resümiert und daneben ein historischen Fakt oder eine – nicht nachgewiesene – literarische Quelle gestellt. Schlüsse, Interpretationen oder kritisch-reflektorischen Umgang mit der Um- und Ausgestaltung den von Martin verwendeten Quellen fehlen. Ein Beispiel: der dreiäugige Rabe, der eine wichtige Rolle in der Handlung spielt, wird als einer der Raben des Göttervaters Odin aus der nordischen Sagenwelt identifiziert, doch was bedeutet das für die von Martin entworfene Welt? Warum der Rabe drei Augen hat und worin seine Bedeutung für die Geschichte liegt wird nicht erklärt. Schlussfolgerungen bleiben dem Leser überlassen.

An die Stelle von Interpretation und Ergebnissen treten überflüssige (ist doch anzunehmen, dass der Leser, der zu dieser Arbeit greift, bereits mit Martins Erzählkosmos vertraut ist), seitenlange Inhaltszusammenfassungen der einzelnen Handlungsstränge aus Buch- und Fernsehserie. Die Handlungsspoiler-Markierungen am Rand sind zwar von der Idee her gut, aber, da von einem mit der Handlung bestens vertrauten Leserkreis ausgegangen werden darf, vermutlich überflüssig.

Larrington ist sehr darum bemüht, herauszustellen, dass die komplette dargestellte Welt mittelalterlich beeinflusst ist, bleibt jedoch den Nachweis häufig schuldig. Warum sind beispielsweise, wie die Autorin konstatiert, die Städte Braavos und Qarth von der venezianischen beziehungsweise chinesischen Darstellung des Mittelalters inspiriert? Larrington gibt hierfür keine hinreichenden Argumente, auch die Beschreibungen in den Büchern und der TV-Serie legen diesen Schluss nicht nahe.

Dass Buch- und Fernsehserie sowohl bei den Schauplätzen als auch bei der Figurendarstellung stellenweise stark differieren, wird von der Autorin nicht hinreichend berücksichtigt. Zwangsläufig unterscheiden sich auch die Einflussquellen je nach Medium – die Macher der Fernsehserie ließen sich von anderen Quellen inspirieren als Martin, darüber hinaus ist der Buchautor nicht für die TV-Umsetzung verantwortlich. Larrington weist zwar ab und an auf die Unterschiede hin, in letzter Konsequenz zieht sie aber für beide Medien die gleichen Schlüsse. Hier hätte der Fokus besser auf eine der beiden Möglichkeiten gesetzt werden sollen.

Für den akademischen Gebrauch ist Larringtons Arbeit leider unbrauchbar. Durch den Verzicht auf Quellenangaben und den fehlenden theoretischen Unterbau begibt sich die Autorin aus wissenschaftlicher Perspektive auf dünnes Eis, so dass es sich allenfalls um eine populärwissenschaftliche Untersuchung handelt. Es bleibt zu hoffen, dass zumindest die Fans der Serie Freude an Larringtons Werk haben werden.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Carolyne Larrington: Winter is coming. Die mittelalterliche Welt von Game of Thrones.
Übersetzt aus dem Englischen von Jörg Fündling.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2016.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783806233506

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