Vom Glück der Normalität

Stephan Lohse erzählt in „Ein fauler Gott“ vom Umgang mit Verlust und Trauer, spürt aber auch einer Kindheit in den 1970er-Jahren nach.

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hamburg im Sommer 1972. Der elfjährige Benjamin lebt mit seiner Mutter Ruth und seinem kleinen Bruder Jonas in einem Vorort, während der Vater mit seiner neuen Frau nach Frankfurt gezogen ist. Ben und Jonas vertreiben sich hier an Sommernachmittagen die Zeit, wie es Kinder in den 1970ern eben tun: Sie spielen im Garten des Reihenhauses, fahren mit den Rädern herum oder gehen ins Schwimmbad.

Doch genau so ein Freibadnachmittag verändert alles auf einen Schlag: Jonas bekommt mitten beim Wettschwimmen einen Krampfanfall. Zwar sind schnelle Helfer zur Stelle, aber im Krankenhaus fällt er ins Koma und stirbt ein paar Tage später. Für Ben und Ruth beginnt eine schlimme Zeit, beide vermissen den Kleinen sehr. Da Ruth sich aber beständig weinend auf die Heizdecke im Schlafzimmer zurückzieht und ansonsten versucht, einfach nur zu funktionieren, fühlt sich Ben ziemlich alleingelassen mit seiner Traurigkeit.

Alleine muss er aber auch mit einer ganzen Menge alterstypischer Ängste und Nöte klarkommen, so etwa den Fragen, ob er cool genug ist für den neuen Freund Chrisse, wie er mit dem rabiaten Rüpel bei den Garagen umgeht und wie man sich beim ersten Kuss mit einem Mädchen verhält. Viele Dinge in Bens Leben sind noch mit einem Fragezeichen versehen, umso mehr, als Jonas’ Tod natürlich neue Fragen aufwirft, wie etwa die, was Gott bloß dazu bewegt, einen Achtjährigen sterben zu lassen oder ob Regenwürmer auch in Gräbern für gute Belüftung sorgen – und wozu? Viele der Dinge, die Ben insgeheim bewegen, kann er mit Kumpel Chrisse diskutieren. Andere, wie die bange Frage, ob ein Kuss unter Jungs was Schlimmes ist, blendet er lieber aus – oder er summt zur Beruhigung. Das bringt ihm zwar bei Lehrern und Mitschülern den Ruf eines Spinners ein, hilft aber dabei, die Klippen des Alltags zu umschiffen.

Über all das kann er mit seiner Mutter auf keinen Fall reden, denn während es für Ben mit der Zeit ganz langsam wieder bergauf geht, verharrt Ruth in emotionaler Erstarrung. Ihr Sohn versucht, sie durch Flötenspiel, kluge Unterhaltungen und möglichst gutes Benehmen wieder ins normale Leben zurückzuholen. Doch all das scheint nichts zu fruchten –. sie bleibt trotz kurzer Momente der Freude wie gelähmt in der schier unerschöpflichen Trauer. Und so reift in ihr der einsame Entschluss heran, für sich selbst und Ben mit alledem Schluss zu machen. Dabei hat sie aber die Rechnung ohne ihren Sohn gemacht, denn er bringt es schließlich doch noch fertig, ihr zu zeigen, welches Glück es ist, einfach nur am Leben zu sein.

Mit großer Sensibilität gelingt es Stephan Lohse in dem Roman Ein fauler Gott, Trauer und Komik in einer ausgefeilten Balance zu halten, die seine Geschichte davor bewahrt, ins Kitschige oder Melodramatische abzugleiten. Dazu trägt auch bei, dass er uns teilhaben lässt an einer Kindheit/Jugend in den 1970er-Jahren, die man förmlich riechen, schmecken und sehen kann, so etwa, wenn die Kinder mit Delial eingeschmiert werden, Ravioli aus der Dose essen und darüber streiten, ob Flipper oder Bonanza besser sei. Wer die Zeit selbst erlebt hat ist wieder mittendrin und spielt Autofahren im abgewrackten Opel Rekord, begeistert sich für Mark Spitz und Winnetou und macht „Disco“ mit Juliane Werding und Rex Gildo.

Vor diesem Hintergrund erlebt der Leser aus wechselnder Sicht von Ben und Ruth die Probleme des Heranwachsens ebenso mit wie die des Erwachsenseins. Ein geistreicher, humorvoller Roman mit Tiefgang, den man nicht aus der Hand legen kann.

Titelbild

Stephan Lohse: Ein fauler Gott. Roman.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017.
330 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783518425879

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