Beiträge über den literarischen Grenzgänger Georges-Arthur Goldschmidt zu seinem 90. Geburtstag – herausgegeben von Barbara Mahlmann-Bauer und Patrick Suter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 2. Mai 1928 in einer ursprünglich jüdischen Familie geboren, die schon im 19. Jahrhundert zum Protestantismus konvertiert war, musste Georges-Arthur Goldschmidt 1938 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen. In einem französischen Kinderheim in Megève (Haute-Savoie) konnte er sich vor den Nazi-Okkupatoren verstecken. In seinen autobiographischen Erzählungen und Essays schildert Goldschmidt, wechselweise auf Deutsch und auf Französisch, seine Ängste, Selbstzweifel und Sinnsuche. Die absurden Situationen, verfolgt zu sein, seine Muttersprache zu verleugnen, grundlos bestraft zu werden und für den nötigen Schutz den französischen Helferinnen Dank zu bekunden, schrieben sich seinem Körpergedächtnis ein. Die Notwendigkeit, die feindliche Umwelt, ohne sie verstehen zu können, hinzunehmen, weckte später den Wunsch, sich das Empfinden und Denken von damals verständlich zu machen.

Zu seinem 90. Geburtstag erscheint ein von Barbara Mahlmann-Bauer und Patrick Suter herausgegebener Band, der auf dieses Leben und Werk mit unterschiedlichen Gesichtspunkten eingeht – in Beiträgen der Herausgeber sowie von Gesine L. Schiewer, Peter Schnyder und Thomas Anz. Sie präsentieren Goldschmidt als Schriftsteller, den die Notwendigkeit zu überleben schulte, geographische und sprachliche Grenzen zu überschreiten. Und sie tragen dazu bei, einen in dem Band abgedruckten Essay von Georges-Arthur Goldschmidt über die Hermeneutik des Übersetzens literaturwissenschaftlich auszuleuchten.

Der daran anschließende Teil des Bandes widmet sich dem Bericht von Goldschmidts Vater Arthur aus dem Jahr 1946 über seine Tätigkeit als protestantischer Seelsorger in Theresienstadt von 1943 bis 1945. Er ist hier nachgedruckt und umfassend  historisch kommentiert. Georges-Arthur und sein Vater Arthur Goldschmidt haben die Nazi-Verfolgung überlebt, der Junge im savoyischen Versteck, der Vater in Theresienstadt. Die zwei Teile des Bandes werfen neues Licht auf Gemeinsamkeiten des Vaters und des Sohnes, des Malers, der den Sohn zu sehen lehrte, und des Schriftstellers, der mit Worten malt. Gemeinsam dokumentieren sie Zeitgeschichte und entlarven ihre Verfolger. Arthur Goldschmidts Theresienstadt-Zeichnungen sind in dieser Hinsicht dem literarischen Werk des Sohnes ebenbürtig. Peter Handke löst mit seiner dem Band beigelegten Würdigung des nüchternen, aber sachhaltigen Theresienstadt-Berichts Arthur Goldschmidts ein Versprechen ein, das er Georges-Arthur vor Jahren gegeben hat. Er liest den Bericht als eine Novelle, die um eine „unerhörte Begebenheit“ kreist: dass es in Theresienstadt Juden und „Juden“ gab, deren planmäßige Vernichtung die Nationalsozialisten den Häftlingen verheimlichen wollten.

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Titelbild

Barbara Mahlmann-Bauer / Patrick Suter (Hg.): Georges-Arthur Goldschmidt – Überqueren, überleben, übersetzen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018.
312 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835332577

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