Ein literarischer Drahtseilakt zwischen Leben und Tod, Ende und Neuanfang

Der autobiografische Roman des schwedischen Autors Tom Malmquist seziert auf hypnotische Weise die Dramatik des menschlichen Lebens

Von Barbara TumfartRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Tumfart

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tom Malmquists Debütroman In jedem Augenblick unseres Lebens zögert nicht lange mit ausschweifenden Details, sondern stellt den Leser gleich im ersten Satz vor die nüchterne Realität der Krankenhausatmosphäre: „Der Oberarzt tritt den Kipphebel an Karins Patientenbett fest“. Brutal, jäh wird man in das Leben der Patientin Karin hineinkatapultiert. Karin und Tom erwarten ihr erstes gemeinsames Kind, als Karin plötzlich schwer krank wird, kollabiert und per Notarzt ins Krankenhaus gebracht wird. Es stellt sich heraus, dass die Schwangere an akuter Leukämie leidet, die auch das Leben ihres ungeborenen Kindes bedroht. In einer Notoperation muss das Baby per Kaiserschnitt geholt werden, Karin fällt dabei ins Koma.

Die nun folgenden Ereignisse sind höchst dramatischer Natur. Für die im Koma liegende junge Mutter geht der Kampf ums Überleben weiter, das kleine neugeborene Mädchen muss auf die Frühgeburtenstation und ebenfalls intensiv behandelt werden. So pendelt Tom tagelang, ja wochenlang zwischen den verschiedenen Krankenstationen hin und her und wird von einem Arzt zum nächsten weiterverwiesen. Inmitten dieser aufwühlenden Ereignisse schafft es der in seinem Innersten zutiefst erschütterte Mann und junge Vater nur durch eine möglichst pragmatische und nüchterne Vorgehensweise handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben und nicht zusammenzubrechen. So hält er beispielsweise alle medizinischen Diagnosen und Prognosen nüchtern und minutiös in einem eigens dafür angeschafften Notizbuch schriftlich fest, kapselt sich innerlich auch von der eigenen Familie und den Angehörigen Karins ab, um seine eigene „Funktionalität“ nicht zu verlieren. Im zweiten Drittel des Buches stirbt Karin und Tom kann mit seiner Tochter nach Hause. Doch auch dieses Heimkommen entpuppt sich für den schwer traumatisierten Mann als eine einzige kräfteraubende Herausforderung. So gilt es neben der Organisation der Begräbnisfeierlichkeiten, den Alltag mit dem neugeborenen Kind zu bewältigen. Erschwerend kommt noch die Tatsache hinzu, dass Karin und Tom nicht verheiratet waren und der junge Vater nun auch jede Menge bürokratischer Hürden zu bewältigen hat, um auch rein rechtlich für seine Tochter sorgen zu dürfen.

Malmquists autobiografisches Buch ist sowohl die tragische Thematik als auch den Schreibstil betreffend etwas gewöhnungsbedürftig. So gibt es in der Erzählung keine Absätze, keine wörtliche Rede, Erzählperspektiven und zeitliche Ebenen der Geschichte werden ständig und in rascher Abfolge gewechselt, was das Lesen mitunter ein wenig erschwert. Der nüchterne, emotionslose Erzählstil ist bewusst gewählt, um die innere Leere der Hauptperson widerzuspiegeln und aufzuzeigen, dass ein Mensch wie Tom in einer derart dramatischen Ausnahmesituation nur wie eine Maschine funktionieren kann und er sich die Möglichkeit eines Zusammenbruchs seiner Tochter zuliebe schlichtweg nicht erlauben kann.

In Schweden war Tom Malmquists Erstlingswerk ein viel beachteter Roman, der sicherlich auch in der deutschen Übersetzung von Gisela Kosubek eine große Resonanz finden wird.

Titelbild

Tom Malmquist: In jedem Augenblick unseres Lebens. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2017.
301 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783608983128

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