Marty’s Mission

Manuel Menrath erzählt in „Mission Sitting Bull“, wie ein Schweizer Mönch die amerikanischen Ureinwohner bekehren wollte

Von Maren DürrschmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maren Dürrschmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Veröffentlichung seiner Dissertation ermöglicht der Schweizer Historiker Manuel Menrath Wissenschaftlern und Laien zugleich einen neuartigen Blick auf ein spezifisches Kapitel europäischer Kolonialgeschichte. Dass die US-amerikanische Westexpansion nicht im Einvernehmen mit der indigenen Bevölkerung verlief, dürfte weithin bekannt sein und ist sicherlich im Zuge der Proteste von Standing Rock im Erscheinungsjahr der Monografie weltweit in Erinnerung gerufen worden. Widererwartend handelt es sich bei der mit dem hoch dotierten Opus Primum Preis der Volkswagenstiftung ausgezeichneten Publikation Mission Sitting Bull nicht um eine weitere Biographie zum wohl bekanntesten Sioux. Die sechs Kapitel beschäftigen sich überwiegend mit dem Leben und Wirken Martin Martys – eines Benediktinermönchs, an dessen Beispiel die Verantwortung europäischer Missionare am desaströsen Ethnozid an der indigenen Bevölkerung exemplarisch untersucht wird.

Der Autor gewährt zunächst einen Einblick in globalgeschichtliche Zusammenhänge und präsentiert die überwiegend eurozentrisch geprägte Rezeptionsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Mit einer „differenzierten Annäherung“ möchte er an die Arbeit des Historikers Leo Schelberts anknüpfen, gesteht aber, dass die Einbeziehung nativ-amerikanischer Quellen die Geschichtsschreibung weiterhin vor Herausforderungen stellt. Indem Menrath „soziale, politische und ökonomische Aspekte“ der ohnehin dynamischen Sioux-Kultur – insbesondere der Lakota – zunächst isoliert betrachtet, wird deutlich, wie maßgeblich die Interaktion mit europäischen Siedlern letztlich sogar Familienstrukturen veränderte. Hervorzuheben sei die „Spiritualität“ der Lakota, die sich grundlegend vom Christentum abgrenze. Mit diesen Erkenntnissen leitet Menrath in die konfliktreiche Expansionsphase über, auf die wiederum die Einrichtung der Reservate folgte. Der sukzessive Verlust ihrer Lebensgrundlage, so der Autor, trieb die Sioux in eine existenzielle Abhängigkeit von der Wohltätigkeit derjenigen, die ihr Land neu besiedelt hatten. Missionare, wie der 1834 in Schwyz geborene Marty, hätten die Assimilierungspolitik, heute als „Friedenspolitik“ tituliert, unterstützt. Sie sollten besonders aus ‚Indianerkindern‘ „rechtschaffende Christen“ machen.

Nachdem Menrath im dritten Kapitel Martys Werdegang detailliert beschreibt, zeigt er im darauffolgenden Abschnitt, wie stark sich die ultramontane Sozialisation auf seine spätere Haltung im Umgang mit den Ureinwohnern Amerikas auswirkte. Auch nach seiner Übersiedlung aus dem schweizerischen Einsiedeln nach St. Meinrad im US-Bundesstaat Indiana im Jahre 1860 sah sich der Mönch mit dem aufkommenden Liberalismus konfrontiert. Ab 1876 widmete er sich der staatlich geförderten ‚Indianermission‘, die er als „göttlichen Auftrag“ verstand. Briefwechsel zwischen Marty und seinen Zeitgenossen heben zum Teil  eigensinnige Charakterzüge des Missionars hervor und zeigen, dass dieser sich auch gegen Widersacher durchzusetzen wusste.

Eine entscheidende Rolle fiel laut Menrath den katholischen Internaten zu, die für die Sioux eine Alternative zu staatlichen Schulen fernab der Reservate darstellten. Da eine systematische Aufarbeitung der Geschichte katholischer Boarding Schools in den USA noch nicht ausreichend stattgefunden hat, stützt er sich diesbezüglich zum Teil auf Mutmaßungen, die es noch zu belegen gilt. Fest steht aber, dass sowohl die Missionierung Heranwachsender, als auch die Bekehrung von Schlüsselfiguren, wie bspw. Sitting Bull, das gesamte Lakota-Volk von der katholischen Lebensweise überzeugen sollte. Zudem erhielten nur kompromissbereite Native Americans Hilfeleistungen von Kirche und Staat. Sitting Bull, der während seiner Zeit im Exil Standhaftigkeit propagierte, riet seinen Stammesleuten später, die Hilfe der Missionare zwar anzunehmen, die eigene Kultur jedoch stets beizubehalten. Im abschließenden Kapitel unterstreicht Menrath nochmals eindrucksvoll das Dilemma, in welchem sich die Sioux aufgrund des „Exklusivitätsanspruchs des Katholizismus“ befanden.

Sein anschauliches Vorgehen, sein flüssiger Schreibstil sowie die zahlreichen Abbildungen der Protagonisten ermöglichen eine unvoreingenommene Betrachtung der globalgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen den im 19. Jahrhundert vorherrschenden Kulturkämpfen in Europa und den Auswirkungen der US-Expansion auf die indigene Bevölkerung. Die Fokussierung auf Marty fungiert als exemplarische Darstellung einer Persönlichkeit, die den Ethnozid nicht nur duldete, sondern ihn auch befürwortete und aktiv vorantrieb. Obwohl der Titel zunächst einen anderen Schwerpunkt vermuten lässt, überzeugt das Werk mit seinem Erkenntnisgewinn bezüglich eines kontroversen Kapitels europäischer und US-amerikanischer Geschichte.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Manuel Menrath: Mission Sitting Bull. Die Geschichte der katholischen Sioux.
Schöningh Verlag, Paderborn 2016.
373 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783506783790

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