Wahlrecht für Hyänen

Antonia Meiners’ Buch „Die Suffragetten“ bietet erste Einblicke in die Geschichte des Kampfes um Frauenrechte

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem der gerühmtesten lyrischen Werke der Weimarer Klassik warnt ein deutscher Nationaldichter angesichts der Französischen Revolution vor der Gefahr, dass „Weiber zu Hyänen“ mutieren, die in mänadenhaftem Emanzipationsrausch die Herzen der hier männlich zu denkenden Menschen mit Zähnen des dionysischen Raubtieres zerreißen. Das misogyne Bild, das aufbegehrende Frauen zu Hyänen vertiert, ist allerdings nicht erst seit Friedrich Schiller und nicht nur im deutschen Sprachraum bekannt. Schon bevor 1799 sein vielstrophiges Gedicht Das Lied von der Glocke erschien, war die frühe Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft von dem britischen Parlamentarier Horace Walpole 4. Earl of Orford als „Hyäne in Unterröcken“ beschimpft worden. Antonia Meiners hat jüngst in ihrem dem Band Die Suffragetten daran erinnert.

Wenig erfreut darüber, dass es heute nicht etwa nur unverbesserliche Herrenrechtler sind, sondern auch junge Frauen, die radikale Feministinnen wie Alice Schwarzer belächeln, stellt sich die Frage, „ob die Frauenbewegung ohne die in äußerster Entschlossenheit vorgebrachten Forderungen Gehör gefunden und Wirkung erzielt hätte“ und diese jungen Frauen „ohne die Beharrlichkeit und Radikalität der Aktivistinnen von einst heute all die Selbstverständlichkeiten in Anspruch nehmen könnten“, die ihre Mütter noch missen mussten. Zur Beantwortung der Frage stellt die Autorin neben der Verfasserin der bekannten Vindication of the Rights of Woman (1792) in dem reich bebilderten Band weitere 25 Frauenrechtlerinnen vor, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert für das Frauenwahlrecht einsetzten und von den Frauenfeinden ihrer Zeit dafür nicht nur beschimpft und belacht wurden, sondern teilweise sogar ihr Leben ließen. Dabei wird deutlich, dass es den streitbaren Frauen nicht alleine um das Wahlrecht ging. Frauenbildung etwa war ein zweites großes Thema. In Deutschland spielte außerdem das im Bürgerlichen Gesetzbuch festzulegende Eherecht eine wichtige Rolle. Zu den weiteren zentralen Themen zählten die von der feministischen Mutterrechtlerin Helene Stöcker propagierte „Neue Ethik“ und der Abolitionismus, der eines der großen Kampfgebiete etwa von Gertrude Guillaume-Schack, die 1880 den Kulturbund zur Abschaffung der behördlich konzessionierten Prostitution gründete und Lida Gustava Heymann war, die den Senat der Hansestadt Hamburg wegen Zuhälterei verklagte. Sie alle werden in dem Buch vorgestellt. Zudem legt Meiners die Unterschiede und Kontroversen zwischen der radikalen, gemäßigten und sozialistischen Frauenbewegung dar. Überraschenderweise entspricht diese Dreiteilung nicht der des Buches, das sich in die Abschnitte „Frauen der ersten Stunde“, „Die Sozialistinnen“ und „Die Radikalen“ gliedert.

Jedem der drei Kapitel ist eine kleine Einleitung vorangestellt. Zwar finden sich dort und in den Porträts zuweilen gewisse Redundanzen. Allerdings ist das Buch wohl kaum dazu gedacht, von der ersten bis zur letzten Seite durchgelesen zu werden. Vielmehr ist es so angelegt, dass Interessierte mal dieses, mal jenes Porträt aufschlagen können, um sich über die dort vorgestellte Feministin zu informieren. Einigen Porträts sind Auszüge aus Werken der Frauen, die nicht selten auch Schriftstellerinnen waren, beigefügt.

Die Verteilung der Frauen auf die einzelnen Kapitel überzeugt nicht immer. Nun lassen sich gemäßigte und eher konservative Frauenrechtlerinnen wie Helene Lange zwar schwerlich unter die Radikalen oder Sozialistinnen subsumieren. Die 1873 geborene Gertrud Bäumer aber den Frauen der ersten Stunde zuzuschlagen, scheint auch nicht eben gerechtfertigt. Und Sylvia Pankhurst war zwar sicher radikal und wird daher aus gutem Grund unter der einschlägigen Rubrik vorgestellt, doch war sie auch eine Sozialistin. Aber Rubrizierungen sind ja immer so eine Sache und werden den Rubrizierten nie ganz gerecht. Im Falle Sylvia Pankhursts kommt hinzu, dass sie gemeinsam mit ihrer Schwester Christabel vorgestellt wird, die keineswegs zu den Sozialistinnen gehörte. Auch wäre durchaus vertretbar gewesen, wenn Meiners den Schwestern als Dritte noch deren Mutter Emmeline Pankhurst hinzugesellt hätte, die allerdings separat gewürdigt wird. Nicht nur das Geschwisterpaar wird gemeinsam porträtiert, sondern auch die amerikanischen Frauenrechtlerinnen Elisabeth Cady Stanton und Susan Brownell Anthony sowie Anita Augspurg und Lyda Gustava Heymann vom radikalen Flügel der deutschen Frauenbewegung. Nicht jedoch Helene Lange und Gertrud Bäumer, die den Counterpart auf dem Flügel der Gemäßigten bildeten. Auch die noch immer viel zu wenig beachtete erste Präsidentschaftskandidatin in den USA und unvergleichliche Querleberin Victoria Woodhull wird mit einem Porträt gewürdigt, ebenso die Grande Dame des österreichischen Feminismus Rosa Mayreder und die scharfzüngige „Wegbereiterin der Radikalen in Deutschland“ Hedwig Dohm , aus deren „ungemein angriffslustigen und ungemein sarkastischen“ Texten der Band einen (allzu) kurzen Auszug bietet. Aber vielleicht regt er ja zur weiteren Lektüre der Autorin an, von der auch heute noch etliche Romane und Essays im Buchhandel zu bekommen sind.

Zwar fokussiert der vorliegende Band auf „die Entstehung der Frauenbewegung im westlichen Europa sowie in den USA“, doch hat Meiners auch die russische Kommunistin Alexandra Kollontai aufgenommen. Eröffnet werden die Porträts jedoch mit der französischen Revolutionärin Olympe de Gouges, einer Literatin, die „nicht nur poetisch fühlte, sondern auch politisch dachte“ und schon früh „für das Recht der Frau, den Vater ihrer unehelichen Kinder zu benennen und gerichtlich zu belangen“ plädierte. „Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Rednerbühne zu betreten“, zitiert Meiners eine ihrer bekanntesten Sentenzen aus der Zeit der Französischen Revolution. Die Herren Jacobiner mochten ihr aber nur ersteres gewähren und richteten sie für ihre Forderung nach vollumfänglicher Gleichstellung der Frauen auf der Guillotine hin.

Auch die englische Suffragette Emily Wilding Davison, mit deren Porträt der Band endet, ließ nach einem langem und mutigen Kampf für die Frauenrechte ihr Leben. Sie trat als erste der ins Gefängnis geworfenen Suffragetten in den Hungerstreik und wurde – ebenfalls als erste – grausam zwangsernährt. 1913 stellte sie sich während eines Pferderennens dem Pferd des Königs in den Weg, um ein Transparent der Suffragetten hochzuhalten. Sie wurde zu Tode getrampelt. Ihre Protestaktion als „selbstmörderische Tat“ zu denunzieren, ist allerdings ein Missgriff. Immerhin räumt Meiners ein, dass „sich die Historikerinnen bis heute nicht einig“ sind, ob Wilding Davidson „sterben wollte“.

Mag man vielleicht auch nicht mit allen Bewertungen der Autorin d’accord gehen, so sind faktische Irrtümer nur selten zu beklagen. Und diese wenigen sind nicht von großem Belang. So verließen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann Deutschland nicht etwa, wie Meiners schreibt, „nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933“. Vielmehr verbrachten sie zu diesem Zeitpunkt gerade ihren Urlaub auf Mallorca und kehrten klugerweise nicht mehr in ihre Heimat zurück.

Neben kleineren Fehlinformationen dieser Art gibt es noch eine weitere Misslichkeit. Die von der Autorin getroffene Auswahl der Porträtierten wirkt sich nicht immer positiv auf die Darstellung der Entwicklung des Kampfes um das Frauenstimmrecht aus. So etwa im Falle der US-amerikanischen Suffragetten-Bewegung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Wie Meiners schreibt, habe der Kampf ums Frauenwahlrecht in diesem Zeitraum „an politischer Schlagkraft“ verloren, „weil angesichts der international angespannten Lage vor dem ersten Weltkrieg mit Jane Addams die Friedenspolitik der Frauen ins Zentrum gerückt war“. Hätte Meiners jedoch statt der während des Krieges mit dem Amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson konferierenden Vorsitzenden des Internationalen Frauenkomitees für dauernden Frieden die nach wie vor kämpferischen Suffragetten Alice Paul oder Lucy Burns vorgestellt, die für ihren kompromisslosen Kampf während des Ersten Weltkriegs von Wilson ins Gefängnis geworfen und brutal zwangsernährt wurden, wäre zweifellos ein anderer Eindruck entstanden. Zwar plädierte auch Addams 1915 in einem Artikel für das Frauenwahlrecht. Ihre Begründung aber ist ernüchternd, meinte sie doch, nur so könnten Frauen sich „ihr Zuhause in vollem Umfang bewahren“. Denn ihre „grundlegende Aufgabe“ sei es, „ihr Haus sauber und ordentlich zu halten und ihre Kinder mit gesundem Essen satt zu machen“.

Kritik an den von ihr vorgestellten Frauen übt Meiners kaum einmal. Das ist aber sicherlich auch nicht die Aufgabe eines solchen Bandes. Im Falle der militanten englischen Suffragetten kann Meiners sich allerdings nicht enthalten, anzumerken, deren Kämpfe hätten im Laufe der Zeit „eine Eigendynamik entwickelt, bei der das anfängliche Ziel aus den Augen zu geraten drohte“. Ein Vorwurf, der nicht nachvollziehbar ist. Denn ihr Ziel, das Frauenwahlrecht zu erstreiten, hatten die englischen Suffragetten stets fest im Blick.

Angebrachter wäre hingegen ein kritisches Wort zu Gertrud Bäumers (frauen-)politischer Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus gewesen. Deren Porträt aber endet damit, dass sie mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ihren Posten als Ministerialrätin im Reichsministerium des Innern verlor, ohne zu erwähnen, dass sie auch nach 1933 publizistisch tätig sein konnte. Trotz der Gleichschaltung der einst feministischen Zeitschrift Die Frau fungierte sie noch bis 1936 als deren Herausgeberin und vertrat (frauen-)politische Positionen nicht unähnlich denen der Nationalsozialisten. Nach 1945 war sie Gründungsmitglied der CSU. Des Weiteren ist es irreführend, wenn Meiners schreibt, Bäumer sei „nicht Pazifistin genug“ gewesen, um sich daran zu stören, dass Frauen während des Ersten Weltkriegs in der Rüstungsindustrie tätig waren. Tatsächlich war Bäumer zu dieser Zeit alles andere als eine Pazifistin, auch wenn sie 1931 zu den Erstunterzeichnerinnen der von Constanze Hallgarten gegründeten deutschen Sektion des Weltfriedensbunds der Mütter und Erzieherinnen zählte. Während des Ersten Weltkrieges aber setzte sie sich aktiv und von ganzem Herzen für den militärischen Sieg Deutschlands ein.

Doch unbenommen solcher ‑ nicht sehr zahlreichen ‑ Mängel bietet der Band eine empfehlenswerte Lektüre für alle, die sich erste Einblicke in die Geschichte der Suffragettenbewegung und der Entwicklung des Kampfes um Frauenrechte verschaffen wollen.

Titelbild

Antonia Meiners (Hg.): Die Suffragetten. Sie wollten wählen – und wurden ausgelacht.
Elisabeth Sandmann Verlag, München 2016.
176 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783945543139

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