„Minutengeschichten“ Oskar Maria Grafs über die Revolution von 1918 – aus Zeitungen von 1968

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Mach ma hoit a Revoluzion“, heißt eine der beiden Geschichten Oskar Maria Grafs über die Münchner Revolution von 1918, die 1968 in deutschen Zeitungen veröffentlicht wurden  – gut ein Jahr nach seinem Tod im Juni 1967 in New York. Sie erschien in der Münchner Abendzeitung vom 4. November und beginnt mit den Sätzen „So um dö Augustmittn anno 1918 is’s aa bei üns in Bayern langsam rebellisch wordn. Da damalige Weltkrieg hot z‘lang daurt, und jeda Mensch hot scho hoibwegs gspannt, daß er für uns verlorn is.“ Auch draußen auf dem Land wuchs der Unmut über den Krieg, erzählt Graf, weil „Tog für Tog ausghungerte Leut aus da Stodt rauskemma san“. Doch weiter sei dort nichts passiert. „Ganz anders aba is’s z‘Minka zuaganga. Do is Politik gmacht wordn, und dö hot jetz aa ganz anderst ausgschaugt wia früahrer. Jetz nämli san dö Sozi obnauf kemma, weils in oan furt an Landtog und in ihrer Zeitung verlangt hobn, daß a Friedn gmacht werdn muaß und zwar sofort.“ Graf berichtet dann von Streitigkeiten zwischen der SPD und der „Unabhängigen Sozialistischen Partei“ im Mathäserbräu und wie sein Freund, der „Gstödel-Sepp“, sich lautstark einmischte, als ein Sozialdemokrat sich gegen „Revolution“ und für „Evolution“ aussprach. Mit seinem Aufruf endet die kleine Geschichte: „Mach ma hoit a Revoluzion, daß a Ruah ist …“

Leserinnen und Leser, die des Bayerischen nicht mächtig sind, finden unten eine Übersetzungshilfe. Eine zweite Erinnerung Grafs an die Münchner Revolution, die fünf Tage später, am 9. November 1968 in der Frankfurter Rundschau erschien, bedarf einer solchen Hilfe nicht. Sie wurde in hochdeutscher Sprache veröffentlicht und erzählt vom Münchner „Rat geistiger Arbeiter“ und von einem grotesken Verhör seines Freundes, des Malers Georg Schrimpf, durch einen „Kommissar“, nachdem die Münchner Räterepublik niedergeschlagen worden war.

Beide Revolutionserinnerungen stehen in einer Sammlung von Minutengeschichten Oskar Maria Grafs, die der ausgewiesene Graf-Kenner Wilfried F. Schoeller erstmals 1995 zusammengestellt und in einer erweiterten Neuauflage zu Grafs 50. Todestag vorgelegt hat. Minutengeschichten nennt sie der Herausgeber, weil sie „den Leser nur für wenige Minuten in Anspruch nehmen“. Und in seinem instruktiven Nachwort erläutert er weiter: „Diese Minutengeschichten enthalten trotz ihrer Kürze alle Themen und alle Temperamente des Erzählers Graf. Im Taschenformat, im Dienst des Augenblicks sind sie zu haben. Heiterer Witz und grotesker Humor, traurige Pastelle und Porträts von Sonderlingen, sozialkritische Studien und politische Satiren wechseln einander ab. Sie entstanden in einer Zeitspanne von rund fünfundvierzig Jahren.“

T.A.

Übersetzungshilfen

„So um die Augustmitte des Jahres 1918 ist es auch bei uns in Bayern langsam rebellisch geworden. Der damalige Weltkrieg hat zu lang gedauert, und jeder Mensch hat schon halbwegs gemerkt, dass er für uns verloren ist.“

„Tag für Tag ausgehungerte Leute aus der Stadt gekommen sind“

„Ganz anders aber ist es in München zugegangen. Da ist Politik gemacht worden, und die hat jetzt auch ganz anders ausgesehen als früher. Jetzt nämlich sind die Sozis nach oben gekommen, weil sie in einem fort im Landtag und in ihrer Zeitung verlangt haben, dass ein Frieden gemacht werden muss und zwar sofort.“

Titelbild

Oskar Maria Graf: Minutengeschichten.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Wilfried F. Schoeller.
Ullstein Verlag, Berlin 2017.
330 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783550081460

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