Ausblick im Nebel

„Zwölf Bagatellen“ von Martin Mosebach

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Martin Mosebach hat in diesem Jahr seinen Verlag gewechselt. Statt bei Hanser ist er nun im Programm des Rowohlt Verlages zu finden. Neben dem opulenten Roman Mogador hat der 1951 in Frankfurt am Main geborene Schriftsteller, der mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt von der Kritik häufig kontrovers eingeschätzt wird, bei Rowohlt einen schmalen Band mit zwölf „Stücken“ vorgelegt, die bereits davor in der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Focus und der tageszeitung erschienen. Die Texte, die in vier Dreiergruppen geordnet sind, nennt der Untertitel Bagatellen. Umgangssprachlich meint eine Bagatelle etwas nicht weiter Beachtenswertes. Unter Verwendung verschiedener Textsorten wie Aufsatz, historischer Fantasie, Groteske oder Miniatur-Roman lenkt Mosebach darin den Blick des Lesers auf sonst kaum Beachtetes. Es geht dabei um einfache Dinge (Fahrrad, Pendel) ebenso wie um höchst komplexe (Kunst, Ideen). Jedenfalls macht er deutlich, dass die Bagatellen, so betrachtet, durchaus beachtenswert sind.

Der Schutzumschlag des Bändchens verwendet das Bild The Apple von Josef Sudek, ein Stillleben, das in all seinen symbolischen Anspielungen gut in die „Stücke“ einführt. Da ist Sinnlichkeit, Vergänglichkeit, Rokoko und Barock. In der Erzählung Das Taubenei etwa geht es um den künstlerischen Wert eines ebensolchen. Einer sich vor Tauben ängstigenden Künstlerin („,Das Ei würde ich gerne sehen‘, sagte die Malerin, ,und auch gegen den Anblick von Federn habe ich nichts. Wenn der Vogel tot ist.‘“) geht es um „Augentäuschungen“. Ihr Bild sollte als ersten Impuls „ein Zucken der Hand […], ein Zugreifenwollen“ auslösen. Ihr schwebt eine Mimesis vor, die lebendig macht. Dabei ist sie Martin Mosebach nicht unähnlich, dem es selbst in diesen Miniaturen gelingt, durch „geradezu pedantische Aufreihung und Übereinanderstappelung“ magisch lebendige Bilder hervorzurufen.

Sonst geht es noch um eine Gesangsprobe für den „Don Giovanni“, einen Pariser Friseur, in „Duse – Muse – Heulsue. Eine Übertreibung“ um Harry Graf Kessler, und wozu man eine Zeitung braucht. Kein Text ohne Ironie und Augenzwinkern, aber in einer Art und Weise, die das Beschriebene nicht entblößt, sondern freisetzt und auf Verborgenes aufmersam macht. Das gelingt meines Erachtens am schönsten in den Variationen über das Fahrrad. Hier wird der Diebstahl desselben zum Ausgangspunkt über ein Nachdenken über Besitz im Allgemeinen und das Verhältnis zu Katzen im Besonderen.

Abgeschlossen wird die schmale Sammlung, die man sich durchaus umfangreicher wünschen würde, durch eine autobiografische Notiz mit der Überschrift „Das höchste Feuerwerk der Welt“. Mit dem Vater und einer Kiste Raketen macht sich die Familie auf den Weg auf den Feldberg im Taunus. Dichter Nebel beschränkt die Sicht auf wenige Meter, der Vater verletzt sich die Hand und als Resumee heißt es von ihm: „Ich finde, wir sollten unseren Ausflug nicht zerreden. Bei etwas besserem Wetter hätten wir einen erstaunlichen Ausblick gehabt.“

Ironie, Leichtigkeit und Heiterkeit machen die Zwölf Bagatellen zu einem Podest für einen erstaunlichen Ausblick im Nebel des Alltags.

Titelbild

Martin Mosebach: Das Leben ist kurz. 12 Bagatellen.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2016.
157 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783498042912

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