Erst nach dem Blick zurück die Richtung ändern

Dorthe Nors schreibt in „Rechts blinken, links abbiegen“ über die Midlife-Crisis einer Aufsteigerin

Von Volker HeigenmooserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Heigenmooser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die dänische Autorin Dorthe Nors, Jahrgang 1970, schildert in ihrem gewiss nicht überbordenden Roman Rechts blinken, links abbiegen eine Frau Anfang 40, Sonja, die aus bescheidenen Verhältnissen stammt, ins akademische Milieu aufsteigt und sich dort als Übersetzerin schwedischer Krimis sich verloren vorkommt: „Sie sei die Erste in der Familie, die zur Universität ging. Ihre Schwester sei Krankenpflegerin, und deren Mann arbeite in einer Firma, die Windräder baue. Ihr Vater sei Bauer gewesen, und sie stamme aus einem Dorf im äußersten Westen.“ Die Protagonistin meint beim Rückblick auf ihr bisheriges Leben, dass es der Preis für ihren Aufstieg gewesen sei, dass die früher einmal herzliche Beziehung zu ihrer Schwester und ihren Eltern gekappt ist. Doch auch in ihrem jetzigen Milieu, den bürgerlich-akademischen Kreisen Kopenhagens fühlt sie sich nicht richtig wohl. Die Verschrobenheiten ihrer ins Esoterische abdriftenden Freundinnen versteht die Bauerntochter aus Westjütland im Grunde nicht.

Die allein lebende Übersetzerin hat sich entschlossen, den PKW-Führerschein zu machen, was mit Ytte, ihrer Fahrlehrerin, die sie vor allem volllabert und ihr das Schalten der Gänge abnimmt, nicht ganz einfach ist. Sie lernt bei ihr das Autofahren einfach nicht. Der Führerschein steht hier natürlich auch für den Versuch, Anschluss an den Mainstream zu bekommen. Dem verweigert sich Sonja jedoch, weil sie den toughen Frauen, die so tun, als verstünden sie ihr Leben und die Welt, indem sie allerlei Skurrilitäten nachjagen, mit Misstrauen gegenübersteht. So wie Ellen, ihre Masseurin, die mit einer Freundin für ein Wochenende nach Kalifornien fliegen will: „Sie wollen eine Frau besuchen, die intuitive Medizin anwendet und dafür berühmt ist, dass sie durch bloßes Ansehen eines Menschen erkennen kann, was ihm fehlt. Doch damit nicht genug: Sie erkennt auch, warum der Mensch krank geworden ist. Ihre Spezialität ist das Erkennen psychischer Ursachen von Brustkrebs.“ Sonja spürt, dass das dumm ist, traut sich aber nicht, sich das einzugestehen. Denn ebenso, wie sie zur Welt der Großstadt mit ihren merkwürdigen Riten nicht richtig dazugehört, so ist die Verbindung zu der Welt, aus der sie stammt, gestört. Das liegt auch daran, dass es diese Herkunftswelt gar nicht mehr gibt:

Die Höfe sind so groß geworden. Sie kaufen alles um sich herum auf. Der Hof meiner Eltern wurde von einem Schweinezüchter gekauft, den alle Schweine-Bjarne nennen. Jetzt wohnen meine Eltern in einem Einfamilienhaus in Balling. Meine Schwester auch. Die kleinen Höfe stehen leer, es gibt keine Familien mit Kindern mehr, und wo keine Kinder sind, geht auch keiner in die Schule. Und wo die Schulen schließen, macht alles andere auch dicht.

Wenn man sich schwach fühlt, wie Sonja in ihrer Midlife-Crises, sucht man schnell die Verbindung zur Vergangenheit, um die eigenen Wurzeln zu stärken. Doch Sonjas Versuche zum Beispiel in Briefen an ihre Schwester und ihre Mutter, die sie nicht abschickt, diese Verbindung herzustellen, scheitern. Da kommt – wir befinden uns ja in einem Roman – der Zufall zu Hilfe. Bei einer U-Bahnfahrt mit ihrer etwas abgedrehten Jugendfreundin trifft sie auf Martha, eine ältere Frau, die wie Sonja aus Westjütland stammt. Die beiden scheinen füreinander bestimmt zu sein, für Sonja ist das wie eine Ankunft.

Rechts blinken, links abbiegen von Dorthe Nors erzählt durchaus nüchtern von einer Frau, deren Leben sich im Umbruch befindet. Nicht geschwätzig, sondern oft nur in kurzen Andeutungen. Das gibt dem Roman eine Glaubwürdigkeit, die durchaus angenehm zu lesen ist.

Leider ist die Übersetzung von Frank Zuber nicht gelungen; sie kommt oft ein wenig hölzern daher und zeichnet sich nicht gerade durch idiomatisches Deutsch aus. So haben sich, um nur ein Beispiel zu nennen, in der deutschen Version „Die Höfe einander aufgefressen“, da gibt es auch „Totschläge“ und viele ähnliche Skurrilitäten. Dass der Titel des Originals Spiegel, Schulter, Blinken zu Rechts blinken, links abbiegen wurde, ist wahrscheinlich nicht dem Übersetzer anzulasten. Der deutsche Titel führt jedoch in die Irre und vom Roman weg. Der Blick in den Spiegel und der Blick zurück, beides starke Metaphern für den Roman, sind im Deutschen verlorengegangen.

Titelbild

Dorthe Nors: Rechts blinken, links abbiegen. Roman.
Übersetzt aus dem Dänischen von Frank Zuber.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2016.
192 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783036957470

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