Von guten und schlechten Männern

George Pelecanos schreibt mit „Hard Revolution“ weiter am Sündenregister der Vereinigten Staaten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So wie es ein American Songbook gibt, existiert mittlerweile auch ein Kanon von amerikanischen Texten, der sich mit den Brüchen und Widersprüchen dieser alten Demokratie auseinandersetzt. Dass sie an zwei Erbsünden leidet, ist nicht verwunderlich, und ebensowenig, dass eine von beiden der Umgang mit dem kolonialen Erbe, mit der Sklaverei ist. Deren Nachwirkungen sind bis heute nicht überwunden, wie einige der jüngsten Skandale um den derzeitigen Präsidenten zeigen, der sich nur halbherzig von rassistischen Kundgebungen der extremen Rechten distanzieren wollte. Die Krawalle, die die Schlussphase der Präsidentschaft Obamas prägten, demonstrieren, dass auch ein farbiger Präsident kein Garant dafür ist, dass die strukturelle Benachteiligung von Farbigen in den USA aufhört, wenn man denn nicht von direkter Gewalt sprechen mag.

Es ist außerdem kein Zufall, dass gerade der Kriminalroman in der Aufarbeitung der autokratischen und rassistischen Vergangenheit der USA eine zentrale Rolle spielt. In den letzten Jahren ist dazu eine Reihe von Texten erschienen, die insgesamt vor allem die intensive Auseinandersetzung mit einem Problem zeigen, das die USA einfach nicht loslässt.

Hard Revolution von George Pelecanos setzt diese Reihe fort und muss gleich gegen die enormen Vorschusslorbeeren angehen, die der Verlag dem Buch und seinem Autor mitgibt. Der „beste lebende amerikanische Krimiautor“, soll angeblich Stephen King geäußert haben.

Das Projekt, das sich Pelecanos vornimmt, ist beachtlich. Er steigt in die heiße Phase der Bürgerrechtsbewegung Ende der 1960er-Jahre ein – mit einem Vorspiel zehn Jahre zuvor.

Seine Hauptfigur, die den denkwürdigen Namen Derek Strange führt, wird als Junge bei einem Ladendiebstahl erwischt, bekommt aber eine zweite Chance: Der Diebstahl wird nicht angezeigt, Derek wird Polizist, was als Farbiger Ende der 1960er-Jahre ein Wagnis ist. Von den Kollegen wird er nicht anerkannt und von den eigenen Leuten als Verräter verachtet. Für den Staat zu arbeiten heißt, sich mit der Instanz gemein zu machen, die für die Unterdrückung der Farbigen, für ihre Benachteiligung und auch für die Gewalt gegen sie verantwortlich ist.

Das aber ist nicht Pelecanosʼ Thema. Es geht ihm darum, richtige von falschen Entscheidungen zu unterscheiden. Und jeder, auch der am meisten benachteiligte farbige Junge muss sich entscheiden.

Derek entscheidet sich – vorerst – für das Richtige und steigt auf. Der Vater arbeitet als Küchenhilfe, seine Mutter als Haushaltshilfe, er wird Polizist. Dass man sich auch falsch entscheiden kann, zeigt Dereks Bruder Dennis, der – aus Vietnam zurückgekehrt – nicht wieder Fuß fasst, die Zeit vertrödelt, von der Stütze lebt, ein bisschen dealt und sich mit Halbganoven herumtreibt, die den nächsten Bruch planen. Als er endlich seinem Leben eine Wende geben will, um nicht weiter in die Kriminalität abzusinken – er verrät seine beiden Kumpel, die einen Ladenüberfall planen –, wird er ermordet.

Es wird viel und schnell gestorben in dieser abgehängten Gesellschaft, die voller zorniger junger Männer ist, die weder wissen, woher ihr Zorn kommt, noch, wohin er sie führen soll. Der nächste Bruch, der nächste Überfall, der nächste Mord, der nicht einmal einen besonderen Grund braucht. Bezeichnend die kleine Episode um einen jungen Mörder, der den Mann tötet, der mit seiner Freundin schläft und damit herumprahlt. Er bringt ihn um, obwohl er die Frau, die ihm da ausgespannt wurde, nicht einmal besonders gemocht hat. Aber was bleibt einem ansonsten noch, wenn man bereits so tief gesunken ist? (Das ist mehr als „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“).

Pelecanos entwirft um seinen Helden Derek Strange ein einfaches Handlungskonstrukt: Der Polizist Strange kommt in Konflikt mit seinem moralischen Grundverständnis, als sein Bruder ermordet wird. Er will Rache und muss doch dem Recht Genüge tun. Spätestens seine Eltern mahnen ihn dazu – was den Konflikt des jungen Mannes noch verstärkt. Pelecanosʼ wahre Beispielfigur ist aber Dennis, der das Richtige spät tut, um daran zugrunde zu gehen.

Damit steht er nicht allein: Pelecanos führt in seiner Erzählung eine weitere Gruppe junger, allerdings weißer Männer ein, die gleichfalls im semikriminellen Milieu versinken und den großen Coup planen. Zwischenzeitlich fahren sie einen jungen Schwarzen zu Tode. Dass einer von ihnen weder rassistisch ist noch eigentlich den Coup mitträgt, nützt ihm am Ende allerdings nichts. Da er den Banküberfall als einziger überlebt, geht er für seine Kumpel in den Knast. Der Gute zu sein, nichts Falsches zu tun, aber sich nicht richtig entscheiden zu können, ist nicht minder fatal, als sich gegen seine Kumpel zu wenden. Weiße und Schwarze sind in diesem Milieu gleichermaßen hoffnungslos verloren. Es gibt nur einen Weg hinaus, und der muss früh betreten werden. Je später, desto weniger wahrscheinlich ist, dass es mit ihnen ein gutes Ende nimmt.

Das ist – nicht nur für einen Krimi – eine schwere Last, die sich Pelecanos aufgebürdet hat, doch er trägt sie ganz gut. Bis auf zwei Umstände, die etwas  zu durchsichtige Konstruktion und der gelegentlich umständliche Stil. Pelecanos fehlt die erzählerische Rasanz, die seinem brisanten Thema eigentlich innewohnt, und er lässt sich auch von der Breite, mit der seine Sache erzählt, mürbe machen.

Titelbild

George Pelecanos: Hard Revolution. Kriminalroman.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Gottfried Röckelein.
ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2017.
399 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783869137667

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