Nachdenken über Leni G.

Heinrich Bölls neuer Roman „Gruppenbild mit Dame“ (1971)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Heinrich Böll, der längst arrivierte Einzelgänger und der allseits sanktionierte Rebell, der repräsentative Außenseiter der bundesrepublikanischen Gesellschaft und ihr in Bonn und Ostberlin, in Rom und Moskau akkreditierter Ankläger, hat das einzigartige Kunststück vollbracht, ein Praeceptor Germaniae zu werden und ein rheinischer Schelm zu bleiben.

Autorität und Leichtsinn – das reimt sich natürlich nicht. Doch heutzutage, scheint es, sind Prediger nur noch erträglich, wenn sie sich zugleich als Spaßmacher bewähren. Damit hängt wohl Bölls Erfolg zusammen und auch sein internationaler Ruhm. Denn er hat der Welt zu bieten, was sie nach wie vor, bewußt oder unbewußt, von einem deutschen Schriftsteller erwartet und verlangt: Moral und Schuldbewußtsein. Indes, verweigert er ihr, was man gemeinhin für deutsch hält: das Gründliche und das Feierliche. Und gerade das, was die Welt bei den Nachkommen jener, die im Teutoburger Wald leider gesiegt haben, am wenigsten vermutet, findet sie bei Böll: Charme und Humor, eine nicht zu unterschätzende Portion Schalkhaftigkeit und auch rührende Schwäche.

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