Vorbemerkungen des Herausgebers

Scherenschnitte-Simone-FrielingEin Jahr vor Marcel Reich-Ranickis Tod veröffentlichte Uwe Wittstock ein Gespräch mit ihm – über das Altern, den Tod und über viele literarische Werke, die sich damit auseinandersetzen. Reich-Ranicki erinnerte dabei auch beifällig an Philip Roth. Der „große amerikanische Schriftsteller“ habe einmal gesagt: „Das Alter ist ein Massaker.“ Und der Kritiker fügte die Bemerkung hinzu: „Die Akademie in Stockholm soll sich schämen, dass sie ihm noch immer nicht den Nobelpreis gegeben hat.“ In den Jahren zuvor wurde der Kritiker im Rahmen der in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ veröffentlichten Reihe „Fragen Sie Reich-Ranicki“ wiederholt gefragt, ob es nicht endlich Zeit sei, Philip Roth mit dem Nobelpreis für Literatur zu ehren. Am 18. März 2007 antwortete er darauf:

Immer wieder werde ich gefragt, ob dieser oder jener Autor nicht den Nobelpreis verdient habe. Ich finde solche Fragen ärgerlich, weil sie zu nichts führen. Weder kann meine zustimmende Antwort die gewünschte Nobelpreisverleihung zur Folge haben, noch die ablehnende Antwort den eventuell geplanten Nobelpreis verhindern.

Ich schätze Philip Roth außerordentlich und habe den Preis für ihn schon mehrfach mit vielen schönen Worten beantragt und damit nichts erreicht. Seit einigen Jahren gehöre ich der Jury des Internationalen Kafka-Preises in Prag an. Ich habe mir Mühe gegeben, diesen Preis Roth zu verleihen. Dies ist denn auch geschehen. Roth hat den Preis erhalten, er hat ihn angenommen, ist aber zur Preisverleihung nicht gekommen. Wenn ich mich recht entsinne, hat er mitgeteilt, man solle den Preis in der amerikanischen Botschaft in Prag abliefern. Na ja …

Gründe, sich gelegentlich über ihn zu ärgern, fand Reich-Ranicki auch in etlichen Romanen Roths. Aber seine Wertschätzung des Autors blieb über Jahrzehnte hinweg erhalten und steigerte sich bei der Lektüre der von ihm zuletzt rezensierten Bücher. Am Ende seiner letzten Besprechung stehen die Sätze:

1993 schrieb ich, daß ich Philip Roth zwar für einen hochintelligenten, einen außergewöhnlichen Autor halte, doch nicht ganz sicher bin, ob er ein wirklich großer Romancier ist. Jetzt, nach den Romanen „Der menschliche Makel“ und „Das sterbende Tier“, glaube ich zu wissen: Er ist einer der größten Schriftsteller unserer Zeit.

Die meisten Artikel Reich-Ranickis über Roth sind in seinem 2004 erschienenen und mittlerweile vergriffenen Buch „Über Amerikaner“ nachgedruckt worden. Wir veröffentlichen sie nun erneut mit freundlicher Genehmigung seiner Erben in einer kommentierten Sammlung – zunächst online als Sonderausgabe von literaturkritik.de, die für Abonnenten unserer Zeitschrift frei zugänglich ist, etwas später in einer erweiterten Ausgabe als E-Book und gedruckt.

Nachtrag am 24. Mai 2018: Zwei Tage nach dem Tod von Philip Roth wurde die Ausgabe mit Auszügen aus Sendungen des „Literarischen Quartetts“ und Beiträgen aus der Serie „Fragen sie Reich-Ranicki“ der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ erweitert. Die angekündigte E-Book- und gedruckte Buch-Ausgabe liegt jetzt vor und kann auf der Seite http://literaturwissenschaft.de/buch/marcel-reich-ranicki-ueber-philip-roth.html bestellt werden.

Thomas Anz

Aus Marcel Reich-Ranicki: Über Philip Roth. Hg. von Thomas Anz. Sonderausgabe von literaturkritik.de. Verlag Literaturwissenschaft.de Marburg