Der leidende Genießer

Ein Roman, der keiner ist: Philip Roth und seine „Täuschung“ (1993)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Ob er, dieser Jude und Amerikaner, dessen viele Bücher uns schon seit über dreißig Jahren erfreuen, verwundern und auch ärgern, den wir, offen gesagt, gelegentlich schon zu allen Teufeln gewünscht haben, ob er also, Philip Roth, der demnächst sechzig Jahre alt wird, ein wirklich großer Schriftsteller ist, dessen bin ich mir immer noch nicht sicher. Aber ein außergewöhnlicher, ein hochintelligenter Autor, der unbeirrt seinen Weg geht und uns eine Überraschung nach der anderen bereitet, ist er mit Sicherheit.

Zuletzt haben wir in deutscher Übersetzung seine „wahre Geschichte“ (so der Untertitel) „Mein Leben als Sohn“ erhalten, einen beinahe schlicht, jedenfalls ganz ohne Raffinesse geschriebenen, einen erschütternden und, wie mir vorerst scheint, unvergeßlichen Bericht vom langsamen Sterben des Vaters von Philip Roth. Das neue Buch, „Täuschung“ betitelt – neu freilich nur für uns, denn in den Vereinigten Staaten wurde es vor bald drei Jahren veröffentlicht –, ist von ganz anderer Art: weder erschütternd noch unvergeßlich, doch keineswegs schlicht, vielmehr pfiffig und streckenweise äußerst raffiniert. Und, um es gleich zu sagen: sehr lesenswert.

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