Im Fahnenrausch

Genauigkeit, Gelassenheit – Ludwig Harigs Erinnerungen (1990)

Von Marcel Reich-RanickiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcel Reich-Ranicki

Der 1927 geborene und, um es gleich zu sagen, höchst sympathische Schriftsteller Ludwig Harig begann seine Laufbahn in den sechziger Jahren mit experimentellen, angeblich avantgardistischen und jedenfalls humorlosen und langweiligen Texten. Sie sind längst tot, ohne je gestorben zu sein. Denn es waren Totgeburten. Wenn man sich an diese unglückseligen Arbeiten überhaupt noch erinnert, dann nur deshalb, weil ein so sinnlicher, lustiger und temperamentvoller Mensch wie Harig sehr bald an seinen öden Produkten (ähnlich wie deren wenige Leser) gelitten hat und glücklicherweise auf der Suche nach ganz anderen Ufern war.

Die Harig-Forscher – jawohl, die gibt es schon – behaupten freilich, ohne sein dürres und steriles Frühwerk wäre unser Autor nie bei den prallen Büchern seiner Reifezeit gelandet, der lange Umweg sei nötig gewesen. Ich glaube davon kein Wort, niemand wird mir einreden, man müsse erst viele Jahre vergeuden, um dann Prosa in der Nachfolge von, sagen wir, Jean Paul, Keller oder Raabe zu verfertigen.

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