Einleitung

5. Verabschiedungen vom Expressionismus um 1920

Die Suche nach einem geeigneten »Stich- oder Schlagwort« zur Kennzeichnung der entschei­denden »künstlerischen Zeitfrage« um 1920 hielt Wilhelm Worringer damals in einem Vortrag für nicht weiter schwierig: »Es bietet sich von selbst an. Es heißt: Krise des Expressionismus. In diskreten Klammern dahinter: Ende des Expressionismus.«[1] Zu einem Zeitpunkt, als der Ex­pressionismus seine größte öffentliche Resonanz hatte, als sich die Dramen der jüngsten Auto­rengeneration auch die etablierten Theaterbühnen eroberten, die modernen Kunstausstellun­gen einen vorher nicht gekannten Besucherzustrom verzeichnen konnten, und noch bevor das expressionistische Kino sich eigentlich entwickelt hatte, sprachen besonders die Programmati­ker und Kritiker, die sich schon seit Jahren für die jüngste Kunst eingesetzt hatten, bereits von der »Krise«, vom »Tod«, vom »Ende« oder »Ausgang« des Expressionismus, zogen ihre Bilanzen oder gaben ihre rückschauenden Überblicke.[2] Schon 1918 konstatierte der renommierte Kunstkritiker Wilhelm Hausenstein: »Der Expressionismus ist bereits in dem Moment seiner historischen und sachlichen Vollendung angekommen; der Pendel hat durchgeschwungen; das Positive der Zukunft liegt offenbar in einer neuen und frommen Bescheidung auf die Natur […].«[3] Mit der Rede vom »Ende des Expressionismus« versuchte die ambitionierte Kunstkri­tik noch einmal ihre fortschrittliche Position zu behaupten. Ein »etablierter« Expressionismus vermochte nicht mehr dem avantgardistischen Rollenselbstverständnis der künstlerischen Intelligenz zu entsprechen. Wo mittlerweile so viele am Expressionismus Geschmack fanden, da war es nicht mehr originell, sich zu ihm zu bekennen, und nicht mehr nötig, für ihn publizistisch zu kämpfen. Und in der Tat setzte nach Kriegsende mit der Flut neuer expressionsismusfreund­licher Zeitschriften ein Prozeß der Konventionalisierung und Automatisierung ehemals inno­vativer und provokativer Denk- und Stilformen ein, der von denen, die die Richtung maßgeb­lich repräsentiert hatten, nicht zu Unrecht als »Mode«, »Geschäft« und »Verbürgerlichung« kri­tisiert wurde. Der Expressionismus lebte zwar bis weit in die zwanziger Jahre hinein[4], doch als »fortschrittliche«, »avantgardistische«, »innovatorische« Bewegung war er um 1920 tot. »Es gibt wenige, denen etwas einfällt und viele Expressionisten!« meinte schon 1918 Walter Hasen­clever.[5] Und Worringer stellte in dem erwähnten Vortrag 1920 fest: