Einleitung

f) Selbstentfremdung und Geistigkeit

Geist werde Herr, fordert der Titel einer 1920 erschienenen Aufsatzsammlung Kurt Hillers und verwendet damit einen zentralen Topos der zeitgenössischen Kulturkritik.[1] »Geist« wird für die literarischen Intellektuellen der zehner Jahre zu dem Schlagwort schlechthin. Mit ihm versuchen sie eine Vielzahl zugleich kulturkritischer und poetologischer Forderungen auf einen allgemeinen Begriff zu bringen, dessen inflationärer Gebrauch die bislang von der Expressio­nismusforschung kaum geleistete Rekonstruktion seiner Bedeutungsmöglichkeiten[2] schwer macht. Expressionismus und »geistige Kunst« galten damals weithin als dasselbe, sowohl im Selbstverständnis der Programmatiker als vor allem auch in der Expressionismuskritik der zwanziger Jahre. »Nun kann man freilich das Wort Geist nicht mehr aussprechen, ohne des Ex­pressionismus zu gedenken, der es verdorben hat«, schrieb 1922 Robert Musil.[3] Und der jun­ge Brecht definierte den Expressionismus als »Heraus- oder Übertreibung des Geistes, des Ideel­len«[4] und kritisierte ihn darin als zu abstrakt und wenig vital.[5] Der eigenen Abhängigkeit vom expressionistischen Vitalismus war er sich dabei nicht bewußt.