Einleitung

b) Die Kinodebatte

Zu einer Herausforderung des literarischen Expressionismus, der im Zeichen großstädti­scher Modernität und betonter Innovationslust angetreten war, entwickelte sich der Stumm­film.[1] Er schien das Neue und Weltstädtische schlechthin zu repräsentieren und das ohne­dies durch Publikumskrise, widersprüchliche Konzepte und Selbstdeutungsprobleme der Schriftsteller gezeichnete Literatursystem zu bedrohen. Der objektiv angelegte Konflikt zwi-[474]schen Kunstprinzip und Medienreiz evozierte bald eine kontrovers geführte Kinodebatte.[2] Der Kino – wie man damals noch sagte – galt bald als »die neue, wortlose Literatur«[3], die mit der ihr eigenen sensationellen Neuheit, visuell-unmittelbaren Wirkung und anspruchslosen Volkstümlichkeit in den Bann zog. Doch wirkte die Beliebtheit des Kinematographen zunächst verunsichernd auf die Autoren: »Der kleine Mann, die kleine Frau kennen keine Literatur«, no­tierte Alfred Döblin, »nunmehr schwärmt er in die Kientopps«.[4] »Typisch ist die Entwicklung in Berlin«, stellte eine erste soziologische Studie über das neue Medium fest, »wo zu den 34 Variétés, die es im Jahre 1908 daselbst gab, im Laufe der Jahre noch 300 Kinematographen hin­zukamen«.[5] Immer weniger verfing die Geste ästhetischer Distanz zur Trivialität der abgefilmten Sujets, Hanns Heinz Ewers predigte den Intellektuellen gar: »Geht in den Kientopp«.[6] Der Abbau ästhetizistischer Vorurteile klingt auch noch bei Kurt Pinthus nach, der als einer der, ersten aus dem Umkreis der Frühexpressionisten der »zappelnden Leinwand« das Image des un­künstlerischen Spektakels nahm; er betonte, »daß auch die wertvolleren Menschen unserer Zeit gern im Kino jene komprimierten Handlungen, stenographisch-mimetisch aufgezeichneten dramatischen und grotesken Ereignisse betrachten«.[7]