Einleitung

5. Kunst und Öffentlichkeit

Man sagt der expressionistischen Literaturbewegung als ganzer einen geradezu illusionären Wirkungsenthusiasmus nach. Das Laute, Öffentliche, Plakative, Predigthafte, die expressioni­stischen Schlagworte »Bekenntnis«, »Schrei« und »Verkündigung« legen dies zweifellos nahe. So betonte Helmut Gruber am Publikumsbezug der Expressionisten den Willen, »die Öffentlich­keit wachzurütteln und zu mobilisieren«.[1] Die Neigung zu Rhetorik, Demagogie und Agita­tion suchte R. Hinton Thomas aus dem Motiv expressionistischer Autoren abzuleiten, »ihre Ideale bei einem größeren Publikum durchzusetzen«[2], Paul Raabe zog angesichts der Vielzahl öffentlicher Veranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen und Aktionen das Fazit, »unters Volk zu gehen und die Wand zwischen Autor und Leser einzureißen«[3] sei wirkungsästhetisch der Tenor des Expressionismus gewesen (s. den Abschnitt »Formen der Literaturvermittlung«). Im Blick auf die diachrone Entwicklung des Expressionismus lassen sich dabei drei Trends hervor­heben: die avantgardistische Esoterik und die Provokation des bürgerlichen Publikums, die Fik­tion einer Kunst für alle und schließlich die Wendung in die proletarische Öffentlichkeit. Der Glaube an die gesellschaftsverändernde und gemeinschaftsbildende Kraft der Kunst verführte aber zunehmend dazu, die Wirkungsbedingungen idealistisch umzukehren: »statt neuer Kunst aus einer verwandelten Gesellschaft hatte sich eine neue Gesellschaft aus verwandelter, visionä­rer Kunst zu ergeben«.[4] Um so enttäuschter sprach man am Ende vom »Fiasko des Expressio­nismus«, trotz konstruktiver Mühen den Bannkreis »ohnmächtiger Bildungsangelegenheit« nicht gebrochen zu haben; Rudolf Kayser, der dies formulierte, glaubte auch die Ursache der Wirkungsmalaise zu erkennen: Expressionismus war eine Sache der Intellektuellen, und »dieses […] Intellektuellen-Publikum zeigt gegenüber dem Geist eine ähnliche Problematik wie der moderne schöpferische Mensch selbst. Auch hier das Fehlen einer Gemeinschaft […] auch hier die Einsamkeit gegenüber dem Volk, der Masse […] Dadurch aber führt der Geist ein schmales, künstliches Sonderdasein und bleibt fern dem Wesen der Zeit und ihren Wirklichkeiten«.[5]