II.2.8.7 Journalistische Formate

Leseprobe

Von Stephan PorombkaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Porombka

2.8.7 Journalistische Formate

Aufklärung vs. Verblendung

Für die Schnittstellen zwischen Literatur und Journalismus hat sich die Literaturwissenschaft erst spät interessiert. Den eigentlichen Forschungsbeginn markiert am Ende der 1960er Jahre die Erweiterung des Literaturbegriffs. Mit ihr werden journalistische Texte als Gebrauchstexte klassifiziert, die maßgeblich an der Herstellung von Weltbildern beteiligt sind. Darüber hinaus entsteht ein neues Interesse am Journalismus im Zuge der Wiederentdeckung insbesondere jener Autoren und Texte aus der Zeit der Weimarer Republik, die sich dialektisch mit medialen Modernisierungsschüben auseinandersetzen und über die Einbindung der Massenmedien zur Aufklärung und Politisierung der Massen beitragen wollen.

Beide Zugänge folgen dem ideologiekritischen Impuls, den richtigen (aufklärenden) Journalismus vom falschen (die Wirklichkeit verzerrenden) Journalismus zu unterscheiden. Dabei geht es der Gebrauchstextanalyse um die Frage, wie die journalistischen Produktions- und Rezeptionsformen massenmedial und medienindustriell formatiert werden. Im Zuge der Analyse sollen zugleich die Bedingungen für die Vermittlung von Medienkompetenzen ermittelt werden, mit denen Zeitungsleser den journalistischen Verblendungszusammenhang durchschauen und neutralisieren können.

Weil die Literarizität – also die ›Erzähltheit‹ – journalistischer Texte dabei zwar erkannt, aber grundsätzlich unter Ideologieverdacht gestellt wird (weil sie einer zu übermittelnden Nachricht etwas hinzufügt, was eigentlich nicht zur Nachricht gehört), bleibt für genuin literaturwissenschaftliche Fragestellungen letztlich wenig Spielraum. So ist es kein Zufall, dass die entscheidenden Forschungsbeiträge zu journalistischen Formaten und ihrer Rezeption nicht von Literaturwissenschaftlern, sondern von Linguisten und Kommunikationswissenschaftlern vorgelegt worden sind.

Einflussreicher hat dagegen die literaturhistorische Wiederentdeckung und Wiederbelebung des literarischen Journalismus und der journalistischen Literatur der Weimarer Republik (und von dort ausgehend dann auch der Wiener und Berliner Moderne, des Vormärz und nicht zuletzt der Epoche der Aufklärung) gewirkt. Die Analyse der Texte konzentriert sich in diesem Zusammenhang auf das Ermitteln von textinternen Hinweisen auf avantgardistische literarische Ästhetiken und auf politisches Engagement. Für den Kanon herausgefiltert und mit eigenen Editionen gewürdigt werden dementsprechend jene Autoren und Texte, die sich im Mediensystem einen Spielraum verschaffen, mit dem sie dem System widerstehen können.

Da sich solche Texte seit dem Ende des 19. Jh.s am ehesten im Feuilleton finden, hat sich die Literaturwissenschaft in diesem Zusammenhang vor allem auf diesen Bereich der Zeitung konzentriert. Im Feuilleton wird an die Artikel nicht der Anspruch gestellt, den Prinzipien des Informationsjournalismus zu folgen und sich an die Kriterien einer objektiven Berichterstattung zu halten. In feuilletonistischen Texten wird mit einem subjektiveren Zugriff gespielt, durch den das Ich des Autors entweder explizit als Erlebens- bzw. Reflexionsinstanz erscheint oder aber durch den Text hindurch auch ohne Nennung eines ›Ich‹ spürbar wird.

Aufgabe der Textanalyse ist in diesem Fall, diesen Zugriff ebenso genau zu bestimmen wie alle anderen literarischen Mittel auch, die im feuilletonistischen Text zum Einsatz kommen können: Die Dramatisierung des Stoffes (also das Organisieren des Textes als kleiner Erzählung), die Fiktionalisierung (durch das Erfinden einer Rahmenhandlung oder das Einfügen erfundener Passagen), die Ironisierung (also die Einführung von mehrdeutigen Sprechweisen, die sich dem Gebot, den Leser klar zu informieren, entziehen), die Intertextualisierung (also die implizite oder explizite, immer aber spielerische Bezugnahme auf Ereignisse oder Themen, die in anderen Zeitungsteilen oder in anderen Medien behandelt werden), die Poetisierung der Sprache (also das Spiel mit sprachlichen Mitteln, durch das der Text vom Informations- und Objektivitätsgebot des Journalismus abgelöst wird) (vgl. Stegert 1998). [...]

Leseprobe aus  dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.