II.6.7 Musikwissenschaft

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Von Christine LubkollRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christine Lubkoll

6.7 Musikwissenschaft

Die Berührungspunkte zwischen Musik und Literatur sind so vielfältig (vgl. I.9.3), dass sich im Dialog zwischen Literatur- und Musikwissenschaft verschiedene Spezialgebiete herauskristallisiert haben. Sie lassen sich auf das folgende, in der Forschungsdiskussion weitgehend etablierte Schema beziehen, mit dem Steven Paul Scher unterschiedliche Arten des Zusammenwirkens beider Künste beschrieben und systematisiert hat. [Abbbildung im Buch]

Albert Gier hat in seiner einschlägigen Einführung zum Thema ›Musik und Literatur‹, auf dieses Schema Bezug nehmend, die vorrangigen Kompetenzbereiche der zuständigen Disziplinen benannt: Während Erscheinungsformen von ›Literatur in der Musik‹ und alle Arten von Vokalkompositionen (›Musik und Literatur‹) in erster Linie musik- wissenschaftlich untersucht würden, sei allein der dritte Gegenstandsbereich (›Musik in der Literatur‹) ein Aufgabengebiet der Literaturwissenschaft. 83 Allerdings muss festgehalten werden, dass in der jüngeren Forschung zunehmend ein fruchtbarer interdisziplinärer Austausch stattfindet und dementsprechend diese Untersuchungsfelder in einer doppelten Perspektive und dialogisch verhandelt werden.

Den Anfang machten hier jene Musik- und Literaturwissenschaftler, die den Konnex von Literatur und Musik als Teilgebiet der Komparatistik betrachteten (Scher 1984; auch schon Brown 1948). Neuerdings werden Beziehungen zwischen Literatur und Musik im theoretischen und methodologischen Reflexionshorizont der interart studies84, der melopoetics85 und der Intermedialitätsforschung86 diskutiert. Neben die schon länger etablierten gemeinsamen Forschungsfelder wie die Verbindung von allgemeiner Ästhetik, Musikästhetik und Literatur, das Musiktheater und die Liedforschung treten in jüngster Zeit vor allem systematische Fragen nach dem Verhältnis von Musik und Sprache und damit nach der Vergleichbarkeit bzw. der Interaktion musikalischer und literarischer Ausdrucksformen und Kompositionsprinzipien. Dabei spielen semiotische, strukturanalytische, narratologische, funktionsästhetische, hermeneutische und pragmatische Perspektiven eine wesentliche Rolle.

Ästhetik

Die Verbindungen zwischen Literatur und Musik werden schon lange im Rahmen der allgemeinen Ästhetikreflexion diskutiert. Dies hängt damit zusammen, dass sich – wie Carl Dahlhaus gezeigt hat – die neuzeitliche Musikästhetik zunächst aus dem in der Aufklärung vorangetriebenen Vergleich zwischen den Künsten entwickelt hat (Dubos, Batteux, Rousseau, Sulzer), dann aber um 1800 vor allem aus dem literarischen Diskurs entbunden wurde. Die empfindsame und die romantische Musikästhetik, die Vorstellung von der Musik als eigentlicher ›Sprache des Herzens‹ und die romantische ›Idee der absoluten Musik‹, sind – so Dahlhaus – in erster Linie Erfindungen der Literatur und entspringen weniger der musikalischen Praxis ihrer Zeit. [...]

Leseprobe aus  dem Handbuch Literaturwissenschaft. Sie können den Handbuch-Artikel nach Anklicken der Zeile „Leserbrief schreiben“ rechts unten auf dieser Seite kommentieren.