Unzufriedenheit der „Hellenisten“. Die Sieben. Stefanus

Unzufriedenheit der „Hellenisten“. Die Sieben. Stefanus

(Apg VI 1) Damals, als die Zahl der Jünger sich mehrte, begannen die Hellenisten gegen die Hebräer[1] zu murren, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung benachteiligt würden.[2] (2) Da beriefen die Zwölf eine Versammlung aller Jünger und sagten: „Es will uns nicht gefallen, daß wir das Wort Gottes vernachlässigen sollen, um den Tischdienst zu besorgen. (3) Deshalb, liebe Brüder, seht euch nach sieben Männern aus eurer Mitte um, die in gutem Rufe stehn und voll Geist und Weisheit sind! Die wollen wir für dieses Amt bestellen, (4) uns selbst aber wie bisher ganz dem Gebet und dem Dienst am Wort widmen.“ (5) Die ganze Versammlung stimmte zu. Und wo wählte man Stefanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, Filippus Prochorus Nikanor Timon Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia.[3] (6) Man stellte sie vor die Apostel, und diese legten ihnen unter Gebet die Hände auf.

(7) Das Wort Gottes aber breitete sich immer mehr aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem nahm gewaltig zu. Auch viele Priester unterwarfen sich dem Glauben.

(8) Stefanus, voll Gnade und Kraft, tat große Wunder und Zeichen unter dem Volke. (9) Einige Mitglieder aber der Synagoge der Libertiner Cyrenäer und Alexandriner[4] und einige aus Cilicien und Asien Stammende stritten mit Stefanus. (10) Und da sie sich gegen die Weisheit und den Geist, mit dem er sprach, nicht behaupten konnten, (12) so hetzten sie das Volk und die Ältesten und Schriftgelehrten auf, schleppten ihn vor den Hohen Rat (13) und ließen falsche Zeugen[5] auftreten, die aussagten: „Dieser Mensch hört nicht auf, gegen die heilige Stätte und das Gesetz zu reden. (14) Wir haben ihn sagen hören: Jesus von Nazaret wird diese Stätte zerstören und die Gesetze ändern die Mose gegeben hat.“ (VII 1) Als nun der Hohepriester Stefanus fragte, ob sich das so verhielte, (2) antwortete dieser: (44) „Unsre Väter hatten in der Wüste die Stiftshütte, die Mose auf Gottes Befehl nach dem Vorbild, das er geschaut, gemacht hatte. (45) Sie nahmen sie unter Josua mit nach Kanaan und behielten sie bis zur Zeit Dawids. (47) Erst Salomo baute ihm ein Haus. (48) Aber der Höchste wohnt nicht in dem, was von Händen gemacht ist. Sagt doch der Profet: (49) „Der Himmel ist mein Thron, die Erde meiner Füße Schemel; was für ein Haus wollt ihr mir baun? was könnte mein Wohnsitz sein? (51) Ihr Halsstarrigen, unbeschnitten an Herz und Ohren; stets widerstrebt ihr dem heiligen Geist wie schon eure Väter. (52) Welchen Profeten haben diese nicht verfolgt? Ja, getötet haben sie die, die das Kommen des Gerechten verkündeten, dessen Verräter und Mörder ihr jetzt geworden seid, (53) ihr, die ihr das Gesetz durch der Engel Vermittlung empfangen und doch nicht gehalten habt.“ (54) Als sie das hörten, ergrimmten sie und knirschten mit den Zähnen. (55) Stefanus aber blickte voll heiligen Geistes zum Himmel auf (56) und rief: „Ich sehe die Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehn.“ (57) Da schrien sie laut, hielten sich die Ohren zu, stürmten wie ein Mann auf ihn los, (58) stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Dabei legten die Zeugen ihre Kleider ab zu den Füßen eines jungen Mannes namens Saul. (59) Während man ihn steinigte, rief Stefanus: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ (60) Dann sank er in die Knie, schrie laut: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ und verschied. (VIII 1) Saul aber war befriedigt über seine Ermordung. (2) Den Stefanus bestatteten fromme Männer und hielten große Totenklage um ihn.

(1) Damals kam es zu einer großen Verfolgung der Gemeinde zu Jerusalem. Alle, mit Ausnahme der Apostel, zerstreuten sich über ganz Judäa und Samaria.[6] (3) Saul suchte die Gemeinde zu vernichten: er drang in die Häuser ein, schleppte Männer und Frauen fort und lieferte sie ins Gefängnis. (4) Die Zerstreuten aber zogen umher und verkündeten die frohe Botschaft.

Erklärungen

[1] Der griechisch Sprechenden gegen die aramäisch Sprechenden. In Jerusalem lebten viele in griechischer Umwelt aufgewachsene Juden: auch untern ihnen hatten also die Apostel Anhänger gewonnen.

[2] Statt des Idealbildes von IV 34.35 erscheint hier die raue Wirklichkeit.

[3] Alle Sieben tragen griechische Namen, von den Zwölfen dagegen nur Andreas und Filippus! Sonach sind die Sieben offenbar sämtlich „Hellenisten“. Nach 3.4 wäre Ihnen nur die Wohlfahrtspflege, u. zw. Für die ganze Gemeinde, übertragen worden, damit die Apostel sich ganz der Verkündung des Worts widmen könnten. Im Folgenden aber erscheint keiner der Sieben als Wohlfahrtspfleger, sondern Stefanus nur als Verkünder des Worts und Filippus (in XXI 8 Evangelist genannt) als Missionar. So ist zu vermuten, daß das Murren der Hellenisten gegen die Hebräer nicht so sehr materielle als vielmehr geistige Ursachen hatte und daß die Sieben nicht als Wohlfahrtspfleger der Gesamtgemeinde, sondern als Obmänner der Hellenisten eingesetzt wurden, während die Hebräer Obmänner der Hebräer blieben. Die Hellenisten stammten ja aus einer anderen geistigen Welt: sie hatten infolge langer Berührung mit den Griechen manche Vorurteile der in Palästina aufgewachsenen Hebräer aufgegeben, übten wie Stefanus Kritik am Mosaischen Gesetz und am Tempelkult und werden Gemeindeveranstaltungen (Schriftverlesung, Predit usw.) in griechischer Sprache verlangt haben. Die materiellen Beschwerden werden die Führer der Hellenisten nur vorgeschoben haben, um ihren geistigen Forderungen die nötige Stoßkraft zu geben. So zeigen sich hier die ersten Anfänge einer Spaltung der Urgemeinde, die sich bald zu der zwischen Judenchristen und Heidenchristen vertiefen sollte. Nebenbei mag damals auch ein besonderes Amt für die Wohlfahrtspflege geschaffen sein: das der Diakonen.

[4] Die afrikanischen und wohl auch die kleinasiatischen Juden, die beide griechisch sprachen, waren also zu einem bzw. zwei Synagogenverbänden zusammengeschlossen. Wer die Libertiner waren ist unbekannt.

[5] In Wirklichkeit wird das, was die Zeugen aussagten, nicht ganz unbegründet gewesen sein: vgl. VII 44-49 und die gegen Jesus erhobene Anklage Mk XIV 58!

[6] In erster Linie wird die Verfolgung die Hellenisten getroffen haben; vgl. 5 und XI 20! In IX 26 sehen wir daß die Gemeinde weiterbestand.