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B. Traven – Die unbekannten Jahre

Von Jan-Christoph Hauschild


Christoph Ludszuweit schrieb uns am 01.05.2018
Thema: Des Rätsels letzter Schluss? Zu Jan-Christoph Hauschild: B. Traven – Die unbekannten Jahre

Zur Entmythisierung des Traven-Mythos, das "größte literarische Geheimnis des [letzten] Jahrhunderts“ (die Londoner „Times“)

Ist mit Jan-Christoph Hauschilds Teilbiografie über B. Traven alias Ret Marut alias Otto Feige das Rätsel und die Herkunft des Autors nun wirklich gelöst?


von Christoph Ludszuweit


Die bereits 2012 erschienene, bis auf einige Rezensionen und Zeitungsartikel nur wenig beachtete quellengestützte Teilbiographie ist das Ergebnis einer durchaus verdienstvollen und auch erfolgreichen dreijährigen Forschungsarbeit. Sie beschreibt das Leben und Werk des Gewerkschafters, Schriftstellers, Schauspielers und revolutionären Journalisten Otto Feige, der sich ab 1907 Ret Marut und ab 1924 als Schriftsteller Traven Torsvan nannte. Aus Archiven trägt Hauschild akribisch bislang kaum bekannte Details zusammen, die in mühsamer Recherchearbeit gewonnenen werden konnten - lückenlos sind die zahlreichen, oft winzigen Puzzleteile freilich nicht.
In der Literaturkritik stieß die Fleißarbeit des Travenforschers Hauschild auf ein geteiltes Echo, innerhalb der Travenforschung allerdings auf einige Skepsis und Kritik.
Für Johann Georg Lughofer etwa auf der einen Seite "verifiziert (Hauschild) mit beeindruckendem Detailreichtum und großer Indiziendichte die These des britischen TV-Journalisten Will Wyatt aus den 1970er–Jahren: Hinter dem Pseudonym Ret Marut, dem späteren B. Traven, steckt Otto Feige, ein Maschinenschlosser aus Schwiebus. Diese Überzeugung präsentierte Hauschild zwar schon 2009 in der „F.A.Z.“, doch führte dies noch zu starken Zweifeln, die mit dieser Teilbiografie nun ausgeräumt sein dürften.“
Durchgesetzt hatte sich in den letzten Jahrzehnten die schon von Oskar Maria Graf und Erich Mühsam in den 1930er Jahren geäußerte und gemutmaßte Anschauung, dass es sich bei B. Traven um den individual-anarchistischen Publizisten und aktivem Mitarbeiter an der Münchner Räterepublik namens Ret Marut handelte. Bereits 1966 belegte der DDR-Literaturwissenschaftler Rolf Recknagel diese These erstmals ausführlich. Nach Travens Tod, bestätigte dies auch die Witwe des Schriftstellers.
Jan-Christoph Hauschild, seit 1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heinrich-Heine- Institut in Düsseldorf, blickt in seinem 700 Seiten starken Wälzer hinter die Maske eines ‚Virtuosen des Verschwindens’, eines Maskenträgers und ‚Liebhaber(s) des Halbschattens’, auf der Suche nach der Herkunft des deutschstämmigen Autors B.Traven/ Ret /Marut, den er nun als Otto Feige endgültig identifizieren zu können meint.

2009 gelang Hauschild ein interessanter Fund – dieser Exkurs sei gestattet. Er entdeckte im Bundesarchiv in Berlin bei seinen Nachforschungen zum Lebenslauf B. Travens eine als Schreibmaschinen -Manuskript aufgetauchte Detektiv-Story Travens mit dem Titel "Der Täter wird gesucht". Sie war bisher nur aus den Briefen des Autors bekannt.
Traven hatte die Erzählung 1925 aus seinem Exil im mexikanischen Tampico an seinen Hausverlag, die Büchergilde Gutenberg nach Berlin geschickt. Dort sei das Werk kaum beachtet und vom Verlag an das Feuilleton der SPD-Tageszeitung "Vorwärts" weitergereicht worden, so Hauschild.
Das Manuskript sei zusammen mit weiteren ungedruckten Schriften von Joseph Roth und Stefan Zweig, in Briefstapeln "verschwunden".
Die Dokumente mit verschiedensten SPD-Parteiunterlagen hatten trotz der Zerstörungen während des Kriegesdurch die Zeit überdauert und gelangten schließlich ins Berliner Bundesarchiv. Hauschild war bei seinen Recherchen aufgefallen, dass in Travens Schriften auffallend häufig öfter das Ruhrgebiet erwähnt wird. Als Reaktion auf gut zwei Dutzend Briefe an Stadtarchive im "Revier" sei er dann überraschend im Archiv der Stadt Gelsenkirchen fündig geworden.
Ab Sommer 1906 war Otto Feige höchstoffiziell dort gemeldet. Der gelernte Maschinenschlosseer war dort als kulturell besonders ambitionierter Leiter der Geschäftsstelle des Metallarbeiterverbandes tätig, bis Feige im Herbst 1907 "verschwand" und dann als Autor und Provinz-Schauspieler Ret Marut wieder auf der Bildfläche bzw. auf der Bühne erschien.
Laut Hauschild hilft uns seine in Gelsenkirchen nun also zweifelsfrei nachweisbare intensive Beschäftigung mit zeitgenössischem Theater, Musik und Literatur "zu verstehen, wie aus dem brandenburgischen Arbeitersohn der weltgewandte Schriftsteller B. Traven hat werden können".
Skepsis ist allerdings geboten, wenn er kühn behauptet, er habe nun weitgehend lückenlos die Herkunft Travens geklärt und ihm sei der Nachweis gelungen, dass Travens Wunsch nach Anonymität keineswegs „eine Geste der Bescheidenheit“ war: „Die Verdunkelung seiner proletarisch-künstlerischen Vergangenheit sollte sein Etablierung als Abenteuerschriftsteller mit reichem Erfahrungshorizont erleichtern.“

Hauschild rekonstruiert – bienenfleißig wie einst der ‚Nestor der Travenforschung’, der LeipzigerTravenforscher Rolf Recknagel, welcher schon vor einem guten halben Jahrhundert erstmals die Identität von Ret Marut und B. Traven fundiert untermauert hatte – mit Auswertung seiner Erkundungen bei den Behörden im Ruhrgebiet weitgehend präzise die ersten Lebenstationen eines Autors, der sich kein Gesicht geben wollte. Denn lebenslang beanspruchte B. Traven sein Recht auf Anonymität und nahm damit lt. Hauschild das vorweg, was der amerikanische Politaktivist und Mitbegründer der Youth International Party Abbie Hoffmann 1968, ein Jahr vor Travens Tod in Mexiko, zu einem Leben außerhalb des etablierten System aufrufend, als Parole ausgab:
„Destroy your name, become unlisted, go underground!“

Nun beansprucht Hauschild ziemlich vollmundig, die Lebensstationen des rätselhaften Autors bis zu seiner Flucht nach Mexiko durch umfangreiche Archivrecherchen so lückenlos dokumentiert zu haben, dass sich die Zweifel der Mehrheit der Travenforscher wohl zerstreuen würden – wirklich? Weit gefehlt. Er konstatiert mit leicht bitterem Unterton, dass die Literaturwissenschaft sich „mit anhaltendem Eifer“ um Traven bemühe – wer sich mit Travens Rezeptionsgeschichte beschäftigt, kommt aber zu anderen Schlüssen. Lange Zeit wurde das Werk Travens sogar streng in die mit dem Makel des Trivialen behaftete Schublade ‚Abenteuerliteratur’ geschoben. Von der einst von uns ‚bürgerliche Literaturwissenschaft’ genannten Fachwelt wurde es jahrzehntelang schlicht ignoriert- Erst im Zuge der 68er Bewegung kam es zu einer Art Wiederentdeckung und –aneignung im deutschsprachigen Raum. Heute hat sein Werk unbestrittenen einen gesicherten Platz in der deutschen, amerikanischen und mexikanischen Literaturgeschichte. Seine überaus erfolgreichen Bücher, ein gutes Dutzend Romane, von 1926 bis 1960 erschienen, fanden weit über dreißig Millionen Leser weltweit und wurde in über zwanzig Sprachen übersetzt. Er zählte zu den Lieblingsautoren von Albert Einstein, Willy Brandt und Kurt Tucholsky. Seine Erzählungen und Romane sind inzwischen auch Gegnstand von internationalen und interdisziplinären Konferenzen.
Hauschild beobachtet dennoch ein „"Misstrauen an seinem Werk". Grund dafür sei unsere literarische Überlieferung: In den deutschsprachigen Ländern gelte "das Exotische seit jeher als Grund des Trivialen“.

Mit seiner Behauptung, dass die deutsche Literatur "keine koloniale Tradition" kenne, liegt er jedenfalls deutlich daneben. Hätte er etwa die diesbezüglichen Untersuchungen eines H.C. Buch zur Kenntnis genommen, der seit Jahrzehnten zur ‚Poetik des kolonialen Blicks’ in der deutschen Literatur forsch und veröffentlicht, wäre ihm diese Fehleinschätzung kaum unterlaufen. Allein der Blick auf die reichhaltige deutsche Kolonialliteratur zum ehemaligen Deutsch-Südwestafrika hätte ihn eines Besseren belehren müssen.
Ein weiteres Felhlurteil Hauschilds ist in seiner stark überzogenen Kritik an der internationalen Travenforschung enthalten, vor allem an K.S. Guthke, der bislang die umfangreichste Travenbiographie vorgelegt hatte, die - leicht überarbeitet - später auch noch als Taschenbuch erschienen ist. So wenn er meint, „dass sich die meisten Travenologen zu Erfüllungsgehilfen von Travens Verdunkelungsstrategie machten und er ihnen "eine Mischung aus Ahnungslosigkeit, Ignoranz und Verstocktheit" vorwirft. Leicht süffisant vergleicht er die bisherige biografische Travenforschung mit dem Berliner Ensemble unmittelbar nach dem Tode Brechts: „
"Der Intendant-Regisseur ist gestorben, aber die Inszenierungen finden in seinem Geist und mit Hilfe seiner Anweisungen statt, sie sind museal.“
Fast jeder Protagonist der Travenforscher bekommt sein Fett ab – und diese Passagen haben machmal etwas Kleinmütig-Verzagtes.
Die Ergebnisse seiner Auswertung von deutschen Archiven bringen ihn jedenfalls dazu, eine Hypothese zu untermauern, die bereits 1977 der BBC-Journalist Will Wyatt in seiner TV-Dokumentation mit dem Titel ‚'A Search for B. Traven' äußerte: Nachdem Travens Witwe eine Freigabeerklärung erteilt hatte, stellte Wyatt Anträge auf Akteneinsicht beim State Department, bei FBI und CIA, weiterhin beim britischen Home Office in London. Er konnte in jenen Akten, die 1923/1924 zum Fall Marut angelegt worden waren, sein Geständnis lesen, er heiße in Wahrheit Feige und sei in Schwiebus geboren, wo laut ihm laut einer Auskunft des dortigen Standesamtes bestätigt wurde, dass dort im Jahre 1882 ein Hermann Albert Otto Max Feige geboren worden sei. Später stellte sich heraus, dass das Kind zunächst den Namen seiner ledigen Mutter ‚Wienecke’ erhalten hatte; erst drei Monate später erfolgte mit der Eheschließung seiner Mutter mit dem Töpfer Adolf Feige die Anerkennung der Vaterschaft durch seinen Erzeuger.

Hauschild bezeichnet die Argumente der Gegner von Wyatts These innerhalb der Travenforschung als „"fadenscheinig" und insgesamt haltlos. Nun meint er, definitiv des Rätsels Lösung vorlegen und belegen zu können.
Danach wurde Traven am 23. Februar 1882 als Otto Feige in Schwiebus geboren, wo er bei den Großeltern aufwuchs. 1896 absolvierte er eine Ausbildung zum Maschinenschlosser in Schwiebus (heutiges Polen), wo er bis Oktober 1902 als Maschinenschlosser arbeitete. Von Oktober 1902 bis Herbst 1904 absovierte er seine Dienstzeit im Königlich Preußischen Westfälischen Jäger-Bataillon Nr. 7 in Bückeburg, arbeitete danach als Betriebsschlosser im niedersächsischen Wallensen und war für den Deutschen Metallarbeiterverband tätig.
Am 6. August 1906 meldete er sich polizeilich in Gelsenkirchen an und begann seine publizistische Arbeit bei der ‚Metallarbeiter-Zeitung’. Im Oktober 1907 meldete er sich in Gelsenkirchen ab und begann unter dem Namen Ret Marut mit seiner Schauspielertätigkeit, die ihn durch zahlreiche Provinzen Deutschlands führte.
Am 20. März 1912 wurde seine Tochter Irene Zielke in Danzig geboren. Im August 1912 meldete er sich in Düsseldorf an, wo er am Schauspielhaus Düsseldorf einen Drei-Jahres-Vertrag erhielt.
Im November 1915 meldete er sich in München an, wo er sich am10. Juli 1917 als Inhaber eines Zeitschriften- und Buchverlages in die Gewerbeliste eintragen ließ. Am 1. September erschien Heft 1 des ‚Ziegelbrenner’. Alle weiteren Lebensdaten zu Ret Marut sind inzwischen schon seit langem relativ gut erforscht. Hauschilds Daten dazu erhalten im Wesentlichen nicht viel Neues.
Beweiskräftig sind für Hauschild vor allem die nun aus verschiedenen Lebensphasen des Autors vorliegenden, im Mittelteil abgebildeten Fotografien und Handschriften des Autors. In den Gesichtern von Otto Feige, Ret Marut und B. Traven erkennt er eine gleichbleibende Geometrie, um – sozusagen als Höhepunkt seiner kriminalistischen Recherchen - zu betonen: „Auch die Plastik der Ohrmuschel, die beim Menschen nicht weniger ausgeprägt ist als sein Fingerabdruck, erlaubt eine eindeutige Identifizierung.“

Referate auf den letzten internationalen Traven-Kongressen beschäftigten sich (m.E. auch aus gutem Grund) in Stockholm 1999, in Eutin 2003 und in Marbach 2010 zumeist lieber mit der Werkanalyse als mit der Klärung noch offener biographischer Fragen.

Wenn Hauschild beansprucht, mit seiner Arbeit, den letzten Beweis für die These Will Wyatts angetreten zu haben, dass Ret Marut in Wirklichkeit ursprünglich Otto Feige aus Schwiebus war, 1882 als Sohn eines Töpfers und einer Fabrikarbeiterin geboren, dann kann dies trotz einiger wertvoller Fundstellen als ziemlich vermessen bezeichnet werden.
Er versucht dann noch, Maruts schon lange weitgehend bekannten Aufenthalte bis zur Verhaftung in London zu eruieren, aber auch hier bleiben noch viele Fragen offen - aus dem Untergrund heraus gab Marut ja noch Flugblätter und Zeitschriften heraus. Mit der Ankunft „"Traven Torsvans" in Mexiko 1924 endet allerdings Hauschilds Arbeit.
Hauschilds Hauptargumente stützen sich auf die bloße zeitliche Übereinstimmung des Abtauchen Feiges und des Auftauchens Maruts, auf Travens Londoner Geständnis und auf die Vertrautheit des rätselhaften Autors mit deutschen Landstrichen, in denen Feige lebte. Er sieht Parallelen zwischen den publizistischen Gehversuchen und Äußerungen Feiges und Maruts finden sich inhaltliche und stilistische Parallelen. Höchste Beweiskraft hat für ihn aber ein Schriftvergleich und die Übereinstimmung in der Gesichtsgeometrie für den Forscher, vor allem die nun aus verschiedenen Lebensphasen des Autors vorliegenden, im Mittelteil abgebildeten Fotografien und Handschriften des Autors. In den Gesichtern von Otto Feige, Ret Marut und B. Traven erkennt er eine gleichbleibende Geometrie, um – sozusagen als Höhepunkt seiner kriminalistischen Recherchen - zu betonen: „Auch die Plastik der Ohrmuschel, die beim Menschen nicht weniger ausgeprägt ist als sein Fingerabdruck, erlaubt eine eindeutige Identifizierung.“

Insgesamt lässt sich als Verdienst Hauschilds festhalten, dass er sich zweifellos mit neuen Erkenntnisse über die frühen Jahre Ret Maruts für die internationale Travenforschung verdient gemacht hat, besonders auch durch intensive Nutzung von bislang kaum erforschten Dokumentenkopien der B. Traven Collections an der University of California, Riverside. Die dort aufbewahrten Sammlungen (Archive of Ret Maruth & Der Ziegelbrenner, B. Traven Collection odf Gerd Heidemann, Edgar Pässler Archive) scheinen eine Fundgrube zu sein, wenn man versuchen will, zahlreiche Forschungslücken zu schließen, die immer noch vorherrschen.
Dennoch sollte er – bei aller kriminalistischer Forschungslust –  bedenken, was Torsten Seifert in seinem spannenden, 2017 mit dem Blogbuster-Preis der Literaturblogger ausgezeichneten Roman ‚Wer ist B. Traven?’ dem Autor in den Mund legte:

"Als seine Asche über dem Rio Jatate im Dschungel von Chiapas aus einem Flugzeug geschüttet wird, prallt ein Knochen, der nicht gänzlich verbrannt war, an die Scheibe der Chessna. So, als wollte Traven einen letzten Gruß senden und sagen: ‚"Macht’s gut und zerbrecht euch nur weiter den Kopf über mich. Aber was ihr auch anstellt - die letzten Geheimnisse werdet ihr niemals erfahren.’"

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