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Die Farben des Nachtfalters

Von Petina Gappah


Edith Werner schrieb uns am 27.07.2017
Thema: Petina Gappah: Die Farben des Nachtfalters

Erinnerungskonstrukt, afrikanisch

Wie funktioniert Erinnerung? Wie trügerisch ist sie? Können wir uns auf unser Gedächtnis verlassen, um herauszufinden, was wirklich mit uns geschehen ist? Vor dem Hintergrund ihrer simbabwischen Heimat bindet Petina Gappah philosophische Gedankenspiele mit Elementen des Spannungsromans zusammen.

Eine junge Frau schreibt in der Todeszelle eines Gefängnisses der simbabwischen Hauptstadt  Harare ihr Leben auf. Sie soll ihren weißen Wohltäter Lloyd, der sie ihrer armen schwarzen Familie abgekauft hat, als sie ein Kind war, ermordet haben. Sie selbst ist auch weiß, aber anders als Lloyd. Sie ist eine weiße Schwarze, und damit doppelt isoliert, sind doch Albinos alles andere als wohlgelitten in ihrem schwarzen Umfeld. Wer arm ist, braucht jemanden, der noch schlechter dran ist, um sich abgrenzen zu können. Über all dies wird der Leser nicht im Unklaren gelassen, denn Petina Gappah konstruiert und theoretisiert mehr als sie erzählt.

Die  Protagonistin schreibt sich in ihrer Zelle ihr vergangenes Leben zusammen. Aus Erinnerungsbruchstücken baut sie sich ihre Identität, und sie selbst heißt Memory. Schon die Neunjährige war für ihren professoralen Ziehvater Mnemosyne. Wir verstehen den allzu deutlichen Hinweis und sind verstimmt. Memory, der Originaltitel, ist in der sorgfältigen deutschen Übersetzung auf Anregung der Autorin zu Die Farben des Nachtfalters geworden. Da ist Vladimir Nabokov nahe, und das Nabokovs Erinnerungsbuch entnommene Motto lässt uns nicht im Zweifel über die angestrebte intertextuelle Verwandtschaft. Es wird überhaupt viel gelesen in Memory, was zu mancherlei literarischem name dropping einlädt.

Petina Gappah versammelt alle Elemente einer dramatischen Story. Da sind der weiße, wohlhabende Pygmalion, das Mädchen aus einer nicht nur armen, sondern auch zerrütteten schwarzen Familie, der Mord, das schlimme Gefängnis. Die Autorin gibt der schon oft erzählten Geschichte zwar mit dem Erinnerungsmotiv den besonderen Twist, aber sie löst nicht ein, was sie verspricht. Das Geschehen, die Personen bleiben plakativ. Der reißerische Schlussgalopp bis zur Auflösung der Whodunit-Frage wirkt aufgesetzt.

Den linguistisch interessierten Leser mögen die in Schona, der Sprache von Simbabwes Mehrheitsbevölkerung, belassenen Wendungen reizen. In einem Hörbuch könnten sie eine Klangdimension beitragen, die hier fehlen muss. Stilistisch changiert der Roman zwischen gerade heraus erzählter Handlung und etwas überfrachteter Selbstreflektion der Heldin. Sie weiß mindestens soviel von Literatur, Kunst und Philosophie wie ihre Autorin. Manchmal nur blitzt der schnelle Witz auf, der Petina Gappahs Kurzgeschichten ihre grausame Heiterkeit verliehen hat.

Dem Romanerstling ging der bisher nicht ins Deutsche übersetzte Erzählungsband An Elegy for Easterly voraus, für den die Autorin den Preis des Guardian für ein erstes Buch erhielt. Die dort enthaltenen Schlaglichter auf die Absurditäten und Zumutungen des Lebens in Simbabwe versprachen mehr. Vielleicht liegt Petina Gappah die Kurzform eher. Ein neuer Erzählungsband der Juristin, die ihre Tätigkeit bei der ILO in Genf zugunsten des freien Schreibens vorübergehend auf Eis gelegt hat, ist gerade auf dem englischsprachigen Markt erschienen: The Rotten Row. Deutschsprachige Verlage scheinen Romane mehr zu lieben als Kurzgeschichten, schade.

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