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Nikotin

Roman

Von Nell Zink


Karsten Herrmann schrieb uns am 04.02.2018
Thema: Nell Zink: Nikotin

Gefühlvoll, spöttisch und obszön

Mit ihrem ornithologisch grundierten Ehe- und Ent-wicklungsroman  „Mauerläufer“ fand die Debutantin Nell Zink vor gut einem Jahr in der Literaturkritik viel Beachtung als frische, originelle Stimme. Die 1964 in Kalifornien geborene Zink ist dabei sowohl literarisch wie geographisch eine Grenzgängerin: Nach ihrem Studium in den USA promovierte sie in Tübingen in Medienwissenschaft und lebt heute in Bad Belzig. Ihr Sujet findet sie aber in ihrem Geburtsland.

In „Nikotin“ erzählt Nell Zink von einem besetzten Haus in Jersey City und seinen schrägen Bewohnern. Zu ihnen stößt die junge Penny, die nach dem langsamen Tod ihres Vaters Norm kein Geld hat und Orientierung sucht. Das besetzte Haus ist das Haus ihrer Großeltern väterlicherseits und sie selbst ist die Tochter eines von ihrem Vater adoptierten Straßenmädchens aus Kolumbien, die jetzt als erfolgreiche Investmentbankerin arbeitet. Komplettiert wird die schräge Patchworkfamilie durch zwei Stiefbrüder von Penny.

Das von einer letzten Legion Raucher besetzte Haus „Nikotin“ gehört zu einem Kreis von weiteren besetzten Häusern mit verschiedenen Motti wie Alternative Energien, Veganes Essen oder Esoterik und in dieser Community versammeln sich Anarchisten, Hippies, Nerds, New Age-Jünger und eine große geschlechtlich-sexuelle Vielfalt von Hetereros über Bis und Transvestiten bis hin zu Queers und Asexuellen. Einer aus der letzteren Kategorie ist Rob, in den sich Penny verliebt und den sie mit Engagement zu verführen sucht. Doch das gemeinschaftliche und gutmenschbeseelte Leben im „Nikotin“ gerät in Gefahr, als Pennys macht- und geldgieriger Stiefbruder Matt ins Geschehen eingreift und alles durcheinanderwirbelt.

Nell Zink erweist sich auch in „Nikotin“ als eine äußerst originelle literarische Stimme, die furios auf einer Klaviatur zwischen tragikomisch, gefühlvoll, spöttisch, grotesk und obszön spielt und den Roman wie eine Srewball-Komödie immer schneller vorantreibt. Mit Lust und Ironie spiegelt sie dabei auch die sich ausdifferenzierenden intellektuellen Westküstendiskurse mit ihrem Kampf für Minderheiten- und Tierrechte, Antidiskriminierung, Gender  und überhaupt eine bessere Welt wieder. Doch diese gesellschaftspolitische und diametral zu Trump und seinen Wählern stehende Dimension gerät in der zweiten Hälfte des Romans aus dem Blick und alles dreht sich nur noch um Sex und Liebe zwischen den Protagonisten und den vielen Nuancen dazwischen. So reicht es nicht ganz für einen wirklich guten Roman, aber unterhaltsam und lesenswert bleibt „Nikotin“ allemal.


Nell Zink: Nikotin. Aus dem Englischen von Michael Kellner. Rowohlt, 400 S., 22,95 Euro

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