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Stellt euch vor, ich bin fort

Roman

Von Adam Haslett


Karsten Herrmann schrieb uns am 11.02.2018
Thema: Adam Haslett: Stellt euch vor, ich bin fort

Schmerzender Nachklang

In dieses Buch muss man sich erst tief hineinbohren, bevor es einen richtig packt. Bei mir war es auf Seite 106 so weit, als Haslett schreibt: Michael hatte „etwas von einem Mystiker. Es war, als blickte er gelassen ins innerste Herz der Dinge, in dem Wissen, dass es für das, was er sah, keine Worte gab.“ Aber hinter dieser Gelassenheit ist Michael von Ängsten und Befürchtungen geplagt und seine Krankheit wie auch schon die seines Vaters John bilden das schwarze Herz dieses immer intensiver werdenden Romans.

Adam Haslett erzählt über zwei Generationen die Geschichte der Familie von John und Michael: In den sechziger Jahren lernt die Amerikanerin Margaret in London John kennen, der in einer alten vornehmen Welt aufgewachsen ist und hinter dessen geschmeidiger Fassade die Angst sein Leben zerfrisst. Das Paar siedelt in die USA über und bleibt in Boston hängen, wo es die drei Kinder Michael, Celia und Alec bekommt und John die Familie mehr schlecht als recht über Wasser hält. Auch ein Rückkehrversuch nach England schlägt fehl und zurück in den USA verschärft sich ihre Lebenssituation. John macht sich schwere Vorwürfe, dass er seine Familie ständig enttäuscht. Er fühlt sich „als Mörder“, als „ein Lebensdieb“ und sucht den letzten Ausweg: „Was ich versuche, ist unmöglich. Mich von ihnen zu verabschieden, ohne zu sagen, dass ich gehe.“

Und wie von John befürchtet, steckt die Angststörung auch in Michael und zerfrisst nun sein Leben. Nur die Musik – von Disco über Funk bis zu Techno – übertönt die Angst. Michael studiert Literatur und vertieft sich in die Leiden der amerikanischen Sklaven und die postkolonialistische Literatur und Theorie. Der Schmerz der Welt ist sein Schmerz und bald können ihm nur noch immer erhöhte Dosen verschiedenster Psychopharmaka helfen: „Mit einem Mal lag die Welt nicht mehr in den Fesseln des Grauens.“

Während Michael in Psychopharmaka versinkt, starten seine Geschwister Celia und Alec in ihr Berufsleben als Psychotherapeutin und als Journalist und finden auch in der Liebe ihr Glück. Aber dann setzt Alec alles auf eine Karte, um Michael von seiner Medikamentenabhängigkeit runterzubringen.

Adam Haslett erzählt seine Familiengeschichte wechselnd aus den Perspektiven der anfänglich fünf Familienmitglieder. Er entwickelt tiefgründige Charaktere mit Ecken und Kanten und spürt ebenso den Spannungen und Verwerfungen in diesem Familienkosmos wie auch den Glücksmomenten und einer tiefen inneren Verbundenheit nach. Mit aller Kraft versucht die Mutter Margret ihre „Welt zusammenzuhalten“, doch wie ein schwarzes Loch lauern die Krankheit und der Tod in ihr.

„Stellt euch vor, ich bin fort“ ist ein packender Familienroman jenseits aller Klischees und Romantisierung. Er zeigt sich auf der Höhe der Zeit und ihrer höchst individuellen Lebensentwürfe. Er ist einfühlsam, aber auch tough und tragisch. Und so gibt es auch kein Happy End, aber einen langen schmerzlich grundierten Nachklang.


Adam Haslett: Stellt euch vor, ich bin fort. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Rowohlt, 462 S., 22,95 Euro.

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