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Die Herzlichkeit der Vernunft

Von Ferdinand von Schirach / Alexander Kluge


Martin A. Hainz schrieb uns am 29.10.2017
Thema: Schutzimpfung gegen schlimmere Politiker

Die Dialoge Alexander Kluges gehören zum Reizvollsten der Gegenwartsliteratur. Improvisiert wird hier, von Frage zu Antwort oder Präzisierung der Frage oder Gegenfrage, ohne Leitstimme, fast jazzig. Auch das Gespräch mit Ferdinand von Schirach reiht sich in diese Dialoge wunderbar ein, der Kriminalist, Jurist und Autor leitet das Gespräch manchmal, manchmal wird er geleitet, meistens gibt es keine „Leitstimme".

Man kommt gemeinsam den Unter- und Auslassungen auf die Spur, das Böse sei „ein schneller Begriff", verlangsamend versteht man es. Das ist so etwas wie die implizite Poetik dieser Texte, die dem Übersichtlichen mißtrauen, den Problemen eher vertrauen, bis zu dem Versteck, das, wenn der Tag Terror wäre, eine „Tugend" sein müßte – gegen das „Blitzartige".

So wird der Prozeß gegen Sokrates durchdacht, „der erste Justizmord", vielleicht aber auch etwas anderes. Denn das (Wieder-)Etablieren der Bürgerlichkeit auch qua Prozeßordnung sei vielleicht ebenso darin zu sehen, zumal direkt nach dem Niedergang von Perikles' Athen gegen Sparta: „Die Bürger müssen jetzt alles tun, um ihren Staat zu sichern."

Das ignoriert Sokrates, wohl wissentlich; er droht und beschimpft die wie immer problematische Justiz: „Das ist natürlich nicht sehr klug. Richter zu bedrohen funktioniert fast nie." „Sokrates […] verteidigt sich nicht rechtlich, er verteidigt sich philosophisch", so resümiert das Risiko Sokrates', das dieser im Kauf genommen habe, Schirach. Man müsse darum trotz dem Problem des Prozesses dies konzedieren: Dieses „Athen (ist) nicht Nordkorea."

Doch auch Sokrates hat so nicht Unrecht, wovon die Diskutanten zur Demokratie als sich selbst heilender kommen, auch in diesem Falle: „Vielleicht ist der Idiot die Schutzimpfung gegen schlimmere Politiker", so Kluge zum nicht zu über- und nicht zu unterschätzenden Querulanten.

Ähnlich werden andere Problemfelder begrifflich verlangsamt, um voranzukommen, etwa bei der Frage, was Denken und was (oder exklusiv: wer?) intelligent sei, mit Verweis auf die Schach spielende Wolke bei Lem. Oder bei der Erzählung von Intensität. Wie von Intensivem zu sprechen sei, deutet Schirach an: „Indirekt kann man es erzählen."

Indirektheit ist das Kompositionsprinzip, das keines ist, sondern sich hernach entfaltet zu haben scheint, in einem höchst klugen und anregenden Bändchen.

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