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Die Konformisten des Andersseins

Von Norbert Bolz


Thomas Anz schrieb uns am 15.10.2016
Thema: Spaß statt Kritik? Norbert Bolz‘ Intellektuellenschelte gegen „Die Konformisten des Andersseins“

Jeder kennt sie: jene Zeitgenossen, die angestrengt versuchen, anders zu sein als die anderen. Sie wollen sich von der Masse abheben, auffallen, provozieren und möglichst individuell erscheinen. Doch führt dieses Bemühen zu neuen Anpassungen, zum Anschluß an kollektive Moden, zum Konformismus in bestimmten Gruppen und Milieus.
Das sind die „Konformisten des Andersseins“. So jedenfalls nennt sie der Philosoph Norbert Bolz schon im Titel seines jüngsten Buches. In bestimmten kulturellen Milieus, so die Kernthese, werden Abweichungen von der Norm in einem derartigen Maße gesucht, daß sie selbst zur Norm werden. "Die Individualitätswerte kompensieren wachsende Abhängigkeit und Ersetzbarkeit. Das Ziel dieser Individualität ist aber das aller allgemeinste: anders als alle anderen zu sein. Wir haben es hier also mit einer verfänglichen Spielart der Sei-spontan-Paradoxie zu tun: Weiche vom Gewohnten ab!"
Daran ist manches wahr. Doch was ist mit der Ausweitung der These zu einem Umfang von zweihundert Seiten beabsichtigt? Das Buch trägt den Untertitel "Ende der Kritik", und was von ihm einmal mehr verabschiedet wird, ist der seit der „Wende“ vor zehn Jahren zunehmend geschmähte Typus des kritischen Intellektuellen.
Die Linksintellektuellen sind die "Konformisten des Andersseins", die Bolz meint. Abgesehen davon, daß es sie so, wie sie von Bolz als Popanze seiner Polemik beschrieben werden, kaum noch gibt, ist das Niveau, auf dem das Buch ihnen hämisch zu Leibe rückt, oft kläglich. "Konsens ist Nonsens": Mit flotten Sprüchen wie diesem ist ihnen jedenfalls nicht überzeugend beizukommen. Und auch nicht mit solchen Sätzen: "Andy Warhol hatte recht: Die Welt ist schön, wo es McDonalds gibt. Jetzt ist auch Moskau schön." Die Alternativen zum linksintellektuellen Milieu, zu denen sich Bolz bekennt, nehmen nicht unbedingt für ihn ein. Neben Carl Schmitt beruft er sich auf Harald Schmidt: Dessen Show „beweist, daß es intelligenten Unsinn gibt - und ein Lachen, das ein Denken ist."
Kritisches Denken hingegen macht einfach keinen Spaß. Bolz beruft sich mit dieser Einschätzung auch auf Freud. Er kennt dessen Einsicht, daß kritisches Denken mit Anstrengung verbunden ist und daß es lustvoll sein kann, sich von dieser Anstrengung zu befreien. Freud nannte diesen Vorgang "Aufwandsersparnis". Der Ermattung von den Anstrengungen kritischen Denkens setzt Bolz die Erholung entgegen. Erschöpft von der "Akkordarbeit am Projekt der Moderne" haben wir Entspannung verdient. Und diese gewinnen wir, wenn wir endlich das, was ist, bejahen lernen, statt es ständig kritisch zu hinterfragen. Das zumindest legt Bolz nahe.
"Alle Kreter lügen", sagt der Kreter. Das berühmte logische Paradox läßt sich abwandeln: Kritiker sind Konformisten, kritisiert Bolz. Damit ist er selbst einer. Aus der Paradoxie der Normiertheit von Normabweichungen kann er sich auch nicht durch die Unterscheidung von "Konformisten des Andersseins" und "Nonkonformisten des Andersseins" befreien. Dem Rezensenten bleibt die Aufgabe, bei der Beurteilung ein gewisses Argumentationsniveau zur Norm zu erheben. Doch da schneidet Bolz im Vergleich zu manchem Gegner (vor allem Habermas) erschreckend schlecht ab. Und auch wenn man noch Originalitätsnormen verhaftet ist, kommt das Buch nicht gut weg. Das ist reichlich abgestandene Postmoderne der achtziger Jahre, die uns am Ende der neunziger noch einmal aufgetischt wird.
Die Postmoderne hatte gewiß unterschiedliche politische Spielarten und kann nicht pauschal als konservativ abgestempelt werden. In der Version von Bolz jedoch ist sie symptomatisch für das Bündnis einer alt- und jungkonservativen Allianz gegen Einstellungen, die eng mit der „68er Generation“ assoziiert sind.
In den politischen Konflikten der Gegenwart werden Generationenkonflikte allerdings nur vorgeschoben. Das läßt sich daran erkennen, daß es immer wieder Angehörige älterer Generationen waren, die sich in oft peinlicher und anbiedernder Weise auf die junge Generation beriefen. So verkündete im Dezember 1990 die Historikerin Brigitte Seebacher-Brandt in der FAZ die „Abwahl einer Generation“, der 68er Generation. Sie habe „in jenem Augenblick, der zur Epoche wurde“ (gemeint ist der Fall der Mauer), vollkommen versagt. „Ihr Erbe wird nicht weitertragen. Es ist versunken und der Blick nun frei – auf jene Generation, die 1989 und 1990 geprägt worden ist.“
Die Intellektuellenschelte kommt vornehmlich aus dem Kreis von Intellektuellen. Und die schärfsten Kritiker der 68er Generation gehören dem Alter nach eben dieser Generation an. Botho Strauß ist dafür nur ein Beispiel. Es verweist auf den Widersinn all dieser Generationenkonstrukte.
Die Äußerungen von Brigitte Seebacher-Brandt standen nach der Wende am Anfang einer ganzen Reihe ähnlich gearteter, die bis heute nicht abgebrochen ist. Die hämischen Versuche, die Generation von Günter Grass anläßlich des Literaturnobelpreises in Rente zu schicken oder gar zu Grabe zu tragen, gehören dazu ebenso wie die intellektuell unbedarften Anstrengungen, eine neue „Generation Berlin“ aus der Taufe zu heben. Und auch das Buch von Bolz gehört in diese Reihe. Mit ihr versucht sich eine intellektuellenfeindliche Konformität mit dem Bestehenden zu etablieren. Intellektuelle sollten sich dagegen wehren, statt, um ihr Anderssein zu beweisen, an ihrer Selbstabschaffung mitzuwirken.
(Die Rezension ist zuerst erschienen in: Die Woche, 10. Dezember 1999)

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