Leserbriefe zur Rezension

Widersacher Hitlers oder wankelmütiger Versager?

Zwei sehr unterschiedliche Bücher über Papst Pius XII.

Von Benno Kirsch


Klaus Kühlwein schrieb uns am 17.01.2010
Thema: Benno Kirsch: Widersacher Hitlers oder wankelmütiger Versager?

Sehr geehrter Herr Dr. Kirsch,

ein Autor sollte keine öffentliche Auseinandersetzung mit einem Rezensenten beginnen, wenn ihm die Besprechung seines Buches sauer aufstößt. Es ist schlicht das Recht jedes Rezensen-ten, jede nur denkbar negative Wertung vorzutragen. Der Autor sollte das unwidersprochen hinnehmen.

Anders liegt der Fall, wenn der Rezensent einzelne Wertungsurteile auf falsche Tatsachenbehauptungen baut. Der Verriss eines Buches sollte „korrekt“ sein – darauf hat der Autor ein Recht. Dieses Recht bitte ich mir bei Ihnen aus.

Ich nenne vier falsche Tatsachenbehauptungen, die Sie zum Anlass nehmen, schwere Vorwürfe gegen mich zu erheben.

1.
Bei dem zentralen Problem der Reaktion Pius XII. auf die SS-Judenrazzia in Rom am 16. Okt. 1943 und deren Deportation nach Auschwitz zwei Tage später schreiben Sie:

[b:]„Für Kühlwein steht das Urteil fest: In den beiden Tagen, die der Deportation der Juden vorausgingen, hat Pius XII. nichts getan, um sie vor ihrem Schicksal zu bewahren.“ [:b]

Tatsächlich beschreibe ich im Buch korrekt jene drei Interventionen Pius XII. zum Stopp der angelaufenen Razzia, auf die die offizielle Pius-Verteidigung stolz verweist (Botschafter v. Weizsäcker, Stadtkommandant Stahel und Mgr. Hudal). Die letztgenannte Intervention stelle ich gemäß der Forschungslage als noch nicht vollständig geklärt dar.
Ich beschreibe die Interventionen keinesfalls widerwillig, sondern anerkennend und in voller Übereinstimmung mit dem historischen Forschungsstand.
Entweder haben Sie die betreffenden Seiten (36ff) gar nicht gelesen oder Sie weigern sich zu akzeptieren, dass ein pius-kritischer Autor auch pius-verteidigende Argumente vortragen kann. Vielleicht nehmen Sie mir aber nur übel, dass ich die beschriebenen Interventionen als diplomatisch untaugliche Versuche werte, eine Katastrophe zu verhindern, die ein anderes Eingreifen erforderte.
Anstatt sich mit meiner historischen und ethischen Wertung zu beschäftigen, zaubern Sie im Nu ein Totschlag-Argument aus dem Hut, das angesichts der Faktenlage nur Kopfschütteln über den Autor erzeugen kann.

2.
Bei einer anderen zentralen Frage haben Sie sich ebenfalls gezwungen gesehen ein Argument vorzuschieben, das man in meinem Buch vergeblich sucht. Konkret beziehen Sie sich auf den Punkt „ » Jüdische « Revolutionäre und ein Auto“ (S. 75ff), wo ich Nuntius Pacelli ausdrücklich gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz nehme. Mir unverständlicherweise schreiben Sie aber:

[b:]„… um Pius XII. beispielsweise als Antisemiten denunzieren zu können.“ [:b]

An keiner Stelle spreche ich davon, dass sich Pius XII. (genauer: Nuntius Pacelli) antisemitisch geäußert oder betätigt habe. Auch jenseits dieser Passage deute ich im Buch niemals auch nur ansatzweise eine solche Einstellung bei Pacelli/Pius XII. an. Im Gegenteil, ich verteidige Pius über das gesamte Buch hinweg gegen den plumpen Vorwurf antisemitisch gewesen zu sein.
Sie zitieren schließlich einen Satz vor mir: „Allerdings war solch fatale Denkungsart überall anzutreffen – gerade auch in theologischen und kirchlichen Kreisen. Pacelli kannte entspre-chende Auffassungen und Thesen sehr genau. In die Kontroverse mischte er sich aber nicht ein.“  Ihr Kommentar dazu: „Was bezweckt Kühlwein damit? Will er damit andeuten, dass Pacelli lediglich keine Beweise für seinen Antisemitismus hinterlassen hat? Und warum zitiert er auf derselben Seite völlig zusammenhanglos aus Hitlers »Mein Kampf«?“

Erlaubt es Ihr Schwarz-Weiß-Blick wieder nicht zu akzeptieren, dass ein piuskritischer Autor gegen ein klassisches Argument der Pius-Kritiker anredet?  
Vielleicht haben Sie aber erneut nicht genau hingeschaut, denn sonst hätten Sie das Hitler-Zitat nicht mit „Mein Kampf“ in Zusammenhang gebracht. Ich zitiere nicht aus „Mein Kampf“, sondern aus einem kleinen „Gutachten“ des völlig unbekannten demobilisierten Soldaten Adolph Hitler, das dieser im Spätsommer 1919 geschrieben hatte. Die antisemitischen Passagen darin sollte als Beispiel dafür dienen, welche unheilvolle „Stimmungslage“ im ersten Nachkriegsjahr weit verbreitet war und welche Saat gerade bei dem jungen Adolph Hitler aufging.

3.
Wie konsequent Sie Ihren Tunnelblick beibehalten nach dem Motto „Was nicht sein darf, kann auch nicht sein“, zeigt sich beim zentralen Argument der Pius-Verteidigung: Die Folgen des offenen Protestes der holländischen Bischöfe Ende Juli 1942.
Damals sahen sich die Bischöfe – angeführt vom Utrechter Erzbischof de Jong – in ihrem Gewissen genötigt, auf allen Kanzeln den Gläubigen ein Protestschreiben gegen die angelaufenen Judendeportationen kund zu tun. Dabei ließen Sie die Erpressung des Reichsstatthalters Seyß-Inquart außer Acht, der ihnen den perfiden Handel anbot: Wenn ihr schweigt, verschone ich eure kath. getauften Juden, andernfalls werden sie mit allen deportiert. Nachdem die Bi-schöfe dennoch protestierten machte Seyß-Inquart seine Drohung wahr.
Sie schreiben dazu über mich:

[b:][k:]„Allerdings versäumt er [Kühlwein] darauf hinzuweisen, dass dieser [de Jong]mit seinem öffentlichen Protest in Kauf nahm, dass nicht nur die Juden, sondern auch die „katholischen Nichtarier“ verschleppt wurden, was dann auch geschah, während die „evangelischen Nichtarier“ durch das Stillhalten ihrer Bischöfe gerettet wurden. Diese Information zu verschweigen ist unredlich.“ [:k][:b]

Sie müssen bei der Lektüre der entsprechenden Passage im Buch sehr abgelenkt gewesen sein. Wie sonst konnten Sie meine ausdrückliche und mehrfache Erwähnung der SS-Vergeltung an den getauften Juden überlesen oder gar nicht erst wahrnehmen (S. 202ff und 212). Auch wenn Sie es nicht glauben können, ich habe gar kein Interesse daran, vor diesem Ereignis die Augen zu verschließen. Es ist wichtig für meine Argumentation gegen Pius XII.
Ich werte nämlich die bischöfliche Inkaufnahme der Vergeltung als ethisch korrektes Verhalten.
Mir ist klar, dass das ein moraltheologischer Frontalangriff auf das zentrale Argument der Pius-Verteidigung ist: Nur durch stille und verdeckte Diplomatie unter Vermeidung einer offenen Konfrontation mit Hitler sei Pius in der Lage gewesen, unzählig Juden zu retten.
Ich behaupte: Dem ist nicht so!

4.
Ich komme zu einer grundsätzlichen Bemerkung, die Sie gleich zu Beginn Ihrer Rezension vortragen:

[b:][k:]„Das zweite Manko ist, dass Kühlwein [scheint] keine genaue Vorstellung von dem zu haben scheint, was er »Holocaust« nennt.“ [:k][:b]

Ich kann es nicht glauben. Sie werfen mir tatsächlich vor, dass ich durch die Buchkonzeption dem Leser eine ungenaue Vorstellung vom Holocaust vermittle, indem ich die Vernichtung des europäischen Judentums ausblende und die Deportation der römischen Juden ins Zentrum rücke. Das konkretisieren Sie im nachfolgenden Satz: „Denn anders als im Untertitel angekündigt, geht es ihm keinesfalls um Pius XII. und die Vernichtung des europäischen Judentums, sondern lediglich um einen Ausschnitt dieses monströsen Vorgangs: der Deportation von rund eintausend Juden aus Rom am 18. Oktober 1943, …“

Ich verwahre mich in aller Form gegen die Beschuldigung, in einer öffentlichen Schrift seinen Lesern den Holocaust verharmlost darzustellen. Sind Sie sich darüber im klaren, dass Sie mir dem Anschein nach nichts weniger als den Straftatbestand der „Volksverhetzung“ nach § 130 Abs. 3 unterstellen?
In Buch beschreibe und bewerte ich hinlänglich an verschiedenen zentralen Stellen die Verfolgung und millionenfache Vernichtung des europäischen Judentums. Das gilt insbesondere für das alles entscheidende Kapitel 6.

Zu Ihren Gunsten nehme ich an, dass Sie sowohl die Holocaust-Bemerkung als auch die anderen falschen Tatsachenbehauptungen im Eifer aus Unachtsamkeit und aufgrund einer so getrübten wie oberflächlichen Lektüre meines Buches formuliert haben.
Es wundert daher nicht, dass Ihnen die Gesamtaussage des Pius-Buches verschlossen blieb und Sie auch keinen Zugang zum metaphorischen Ausklang fanden. Leider!


Zur Hesemann-Rezension
Ich habe mich bislang jeder Kritik am Buch „Der Papst, der Hitler trotzte“ von Herrn Hesemann enthalten. Da Sie jetzt eine Sammelrezension verfasst haben und die lobenden Bemerkungen zu Hesemann als Munition gegen mein Buch verwenden, erlaube ich mir hier auch ein paar Anmerkungen zu Ihrer Hesemann-Besprechung.

Ich kann in Ihrer Hymne auf das Buch von Herrn Hesemann keine stichhaltigen Argumente erkennen, die meine besondere Kritik an Pius XII. widerlegen würde. Sie bestätigen ohne den Funken kritischer Nachfrage Hesemann Fleißarbeit bei der Zusammenstellung vatikanischer Hilfen und Interventionen zugunsten der verfolgten Juden. Selbst das in Ihren Ohren als „eigenartig verklausuliert“ klingende päpstliche Weihnachtswort (1942) verteidigen Sie im Sinne Hesemanns als „uneigentliches Sprechen“, das gleichwohl jeder auf diesem Erdball klar verstanden hätte. 1942 war nicht die Zeit uneigentlichen Sprechens, sondern schon längst die Zeit des eigentlichen Sprechens überfällig.

Auch den mehrfach zitierten Pressemeldungen in Hesemanns Buch über päpstliche Proteste gegen Judendeportationen und Aktionen zugunsten von Juden vertrauen Sie ungefragt. Dabei sollte sich ein aufmerksamer Rezensent fragen, was Pressemeldungen unklarer Herkunft, evtl. aus zweiter oder dritter Hand, in Kriegszeiten und von parteiischen Alliierten eigentlich wert sind.

Sie bestätigen Hesemanns Apologie Pius XII. Dieser Papst sei „der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort“ gewesen. „Nach der Lektüre des Buches fragt man sich sogar, wer besser als Pius XII. geeignet gewesen sein könnte, Hitler entgegenzutreten.“ Darf ein kritischer Rezensent so platt ein geradezu peinlich wirkendes Generalurteil abgeben ohne sich durch die eigenen und zutiefst ehrlichen Worte Pius XII. in seinem Testament irritieren zu lassen? Und dieses sehr selbstkritische, beinah verzweifelte Testamentswort, ist bei weitem nicht die einzige Wehklage Pius XII. über sich selbst.
Auch mitten im Sturm des Weltkrieges bekannte er oft sein Unvermögen eine klare Linie zu finden, sein Zaudern bestimmte Schritte zu tun und seine Gewissensqual, aus der er keinen Ausweg sah. Nein, Eugenio Pacelli war nicht der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das wusste er selbst am besten!

Ich will Papst Pius XII. wahrhaft Gerechtigkeit widerfahren lassen. Man leistet ihm einen Bärendienst, wenn er in geradezu kindlich-naiver Verehrung zum heroischen Helden gegen Hitler stilisiert wird. Er war lange ratlos und unsicher, er hatte sich heillos diplomatisch und moralisch verheddert und er klammerte sich lange wankelmütig, mit wager Hoffnung an den Strohhalm seines Schweigens. Erst unter dem Eindruck des ethischen Supergaus der Judendeportation in Rom brach seine fragile Selbstrechtfertigung zusammen.
Vergeblich hatte Pius XII. versucht mit den alten Mitteln stiller Diplomatie die Katastrophe aufzuhalten. Nachdem vor seinen Augen die Menschen nach Auschwitz deportiert worden waren, wandelte er sich dramatisch in einem Damaskuserlebnis.

Diese Grundthese von mir sehe ich durch Ihre Ausführungen in der Doppelrezension nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt.

Wie gesagt, Sie können mein Buch so heftig kritisieren wie Sie Lust haben. Das ist Ihr Recht als Rezensent. Mein Recht ist es jedoch, dass Sie dies in korrekter Weise tun.

Mit besten Wünschen
Ihr Klaus Kühlwein


Michael Hesemann schrieb uns am 24.02.2010 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Benno Kirsch: Widersacher Hitlers oder wankelmütiger Versager?

Sehr geehrter Herr Kühlwein,

es tut mir ja von Herzen leid, dass Ihr Werk keine bessere Rezension bekommen hat, aber statt sich zu fragen, ob es eine solche denn verdient hat, gehen Sie bloß auf den Rezensenten los. Das zeugt zumindest von einem Mangel an Selbstreflektion.

Sie bezeichnen also die doppelte Interventionsstrategie Pius XII. angesichts der von den Nazis angeordneten Deportation der Juden Roms als „diplomatisch untaugliche Versuche ... eine Katastrophe zu verhindern, die ein anderes Eingreifen erfordert.“

Tatsächlich waren diese Versuche jedoch sehr erfolgreich, denn sie haben dazu geführt, dass die befohlene Deportation der 8000 römischen Juden unverzüglich gestoppt wurde und immerhin 7000 Juden gerettet werden konnten.

Stattdessen kommen Sie ja in Ihrem Buch mit einem Alternativvorschlag, der eher an Don Camillo und Peppone als an die Realität der Nazi-Zeit erinnert: Der Papst hätte die Glocken Roms läuten können, dann wären die Juden schon von alleine freigelassen worden.

Die Frage ist allerdings, ob eine solche Eskalation tatsächlich zieldienlich gewesen wäre; sie hätte auch zu einer Gegenreaktion führen können, denn wenn die Nazis einmal Schwäche gezeigt hätten, hätten sie eine Signalwirkung für ganz Europa befürchten können. Die Folge: Es wären „jetzt gerade“ alle 8000 römischen Juden in den Tod geschickt worden.

Tragisch war das Schicksal der Juden nur deshalb, weil Eichmann, wohl als Vergeltung für die päpstliche Intervention, den Zug mit den 1007 römischen Juden nicht, wie geplant, nach Mauthausen fahren ließ, sondern ihn nach Auschwitz umleitete. Das zeigt, dass jede Intervention sich als zweischneidiges Schwert erweisen konnte. Das war der, zugebeben viel zu hohe, Preis, den Pius XII. letztendlich für die Rettung von 7000 Juden zahlen musste – was erklärt, weshalb er so sehr unter dem Eingeständnis der eigenen Machtlosigkeit im Angesicht des Bösen litt.

Der Tod der 1005 (es gab zwei Überlebende) römischen Juden in Auschwitz zeigt, ebenso wie die Reaktion der Nazis auf den Protest Bischof de Jongs in den Niederlanden, die Risiken und Folgen einer jeden Intervention auf. Daher musste auch Pius XII. begreifen, dass jedes offene Wort von höchster Gefährlichkeit war. Natürlich wäre ein offener Protest, eine Brandrede gegen die Nazis, eine große Geste gewesen; aber Pius XII. war nicht bereit, sie mit dem Leben Hunderttausender zu bezahlen. DAS war sein wahrer Gewissenskonflikt: Die Sorge, etwas falsch zu machen, was so vielen Unschuldigen Leib und Leben gekostet hätte. Deshalb entschied er sich schon 1942 für den Dreifachweg:
- Diplomatische Interventionen nur dort, wo sie erfolgversprechend sind, nämlich bei Hitlers Vasallenstaaten (Ungarn, Vichy-Frankreich, Slowakei, Rumänien).
- Jede Unterstützung von Bestrebungen zur Entmachtung Hitlers.
- Die größte Rettungsaktion der Geschichte, der über 850.000 Juden ihr Leben verdanken.

Sie werten das Verhalten Bischof de Jongs als „ethisch korrekt“. Natürlich ist es das. Hut ab vor seinem Mut. Und doch unterschrieb der damit für Zigtausende das Todesurteil. Was uns zur Kernfrage des Problems bringt: Was war wichtiger in dieser Situation? Zweckmäßigkeit oder Prinzipientreue? Reden oder Handeln? Hatte der Papst die Pflicht, offen anzuklagen, auch wenn er damit den Tod Hunderttausender in Kauf nahm, ohne jede Aussicht auf Erfolg? Oder war praktizierte Nächstenliebe, das Retten menschlichen Lebens, der bessere Weg?
Ich persönlich denke, Pius XII. hat sich richtig verhalten, weil ihm Menschenleben wichtiger waren als der Nachruhm der Geschichte!

Natürlich steht im Zentrum Ihres Buches die Deportation von Rom. Sie halten diese ja sogar für den einschneidenden Moment im Handeln und Denken Pius XII., fabulierten ja auch später etwas von einem „Damaskuserlebnis“ und einer „Jakobsnacht“ und machen Ihrem Publikum vor, Pius XII. habe vor diesen Tagen anders gehandelt als danach, was einfach nicht der Fall war, einmal abgesehen von der besonderen Lage in Rom. Wie Sie den Memoiren Rabbi Zollis entnehmen, sahen aber auch die römischen Juden vor dem 16. Oktober 1943 keine Notwendigkeit, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen; sie fühlten sich sicher. Dass sie es nicht waren, das war die furchtbare Erkenntnis des „Blutsabbats“ von Rom. Pius XII. reagierte sofort, indem er in Rom das anordnete, was er einen Monat zuvor schon für ganz Italien angeordnet hatte: dass die Klöster geöffnet würden um Juden zu verstecken!

Sie fordern schon für 1942 „eigentliche Sprechen“ und donnernde Anklagen, doch die Juden Europas können dankbar sein, dass Sie dies aus der sicheren Perspektive des 21. Jahrhunderts tun; im Jahre 1942 hätte Ihre Naivität unzählige Menschenleben gekostet.

Sie bestreiten den Wert von Pressemeldungen, ignorieren aber (oder wollen ignorieren), dass diese durch die über 5800 Dokumente aus dem Vatikanischen Geheimarchiv, die Pater Blet  et al. zwischen 1964 und 1981 in den elfbändigen „Actes et Documents du Saint Siege relatifs a la Seconde Guerre Mondial“ veröffentlichten, bestätigt werden. Ist Ihnen diese Dokumentensammlung etwa nicht bekannt? Dann, mit Verlaub gesagt, sind Sie nicht qualifiziert, eine Pius-Biografie zu verfassen!

Dort könnten Sie etwa in Bd. 8, S. 613 den Bericht des Nuntius in Frankreich, Erzbischof Valeri, an Kardinalstaatssekretär Maglione über die Deportationen in Vichy-Frankreich und auf S. 624 seinen Bericht über seine Intervention im Auftrag des Papstes lesen, was der von mir in meinem Buch zitierte Schweizer Pressebericht nur zusammenfasst (bzgl. belegt, was von dieser diplomatischen Intervention an die Öffentlichkeit drang).

Als Beleg gegen meine Darstellung führen Sie ausgerechnet das Testament des Papstes an. Offenbar ist menschliche Demut, die sich in diesem widerspiegelt, eine Ihnen fremde Charaktereigenschaft. Dass ein Mensch mit so hohen ethischen und moralischen Kriterien wie Pius XII. im Angesicht des Todes auch mit sich selbst streng ins Gericht ging, ist wohl nachvollziehbar – und gewiss kein Beweis für Ihr realitätsfremdes Konstrukt.

Nicht kindlich-naiv, wie Sie meine Pius XII.-Biografie „Der Papst, der Hitler trotzte“ abzukanzeln versuchen, sondern geradezu peinlich und lächerlich (oder soll ich, angesichts des ernsten Hintergrundes, sagen: tragi-komisch) ist wohl eher das kitschige Ende Ihres Buches, gipfelnd in Ihrem Szenario, der Papst hätte den Holocaust beenden können, wenn er, wie Don Camillo, die Kirchenglocken hätte läuten lassen. Ja, klar, so einfach wäre das gewesen, hätte Pius XII. doch einen so genialen Berater wie Herrn Kühlwein gehabt!

Zum Glück ist Ihr „Damaskuserlebnis“ genauso fiktiv wie die Karikatur des Papstes, die Sie anbieten, als „ratlos und unsicher ... heillos diplomatisch und moralisch verheddert“, „wankelmütig ... klammernd, mit vager Hoffnung an den Strohhalm seines Schweigens.“
Dass sich der selbe Pius XII. schon im Oktober 1939 (!) zu einem geheimen Pakt mit der deutschen Militäropposition bereiterklärte und sich damit an einer Verschwörung zur Beseitigung Hitlers beteiligte, das verschweigen Sie natürlich, weil es nicht in Ihr Zerrbild passt. Echte Historiker, wie Erich Kosthorst, sprechen dagegen von einer „staatsmännischen Tat hohen Ranges“. Und das völlig ohne Zaudern; Pius XII. verlangte gerade einmal eine Nacht des Gebets und der Reflektion, dann sagte er ohne jedes wenn und aber zu...