Leserbriefe zur Rezension

Stinkefinger der Liebe

Über Helmut Kraussers neuen Roman „Einsamkeit und Sex und Mitleid“

Von Heide Lutosch


Helmut Krausser schrieb uns am 24.11.2009
Thema: Heide Lutosch: Stinkefinger der Liebe

Die Rezension von Heide Lutosch über meinen jüngsten Roman ist voller Behauptungen, die ich nicht unkommentiert lassen möchte.

Der Titel "Einsamkeit und Sex und Mitleid" könnte als Parodie auf den Text der deutschen Nationalhymne gelesen werden. Muß aber nicht. Vielen Lesern fiele das gar nicht auf. Könnte auch metrischer Zufall sein. Wie kann man also behaupten, ich würde hier die LAGE DER NATION erörtern?  
Ein großes Wort für eine Sammlung komischer (warum wird das so selten erwähnt?) trauriger und grotesker Geschichten. Ich wolle GEMEINSCHAFT UND SCHICKSAL? Wie klingt das denn? Hätte ich je irgendwo einen moralischen Zeigefinger erhoben? Es ist weiterhin von esoterisch verbrämtem Nationalismus die Rede. Als dezidiert antinationalistischer Autor, der aber auch überhaupt nichts mit Esoterik zu tun hat, muß ich diese Äußerung zurückweisen. Je eher die deutsche Nation in Europa aufgeht, desto lieber ist mir das.  Der angeblich pathetische Schlußsatz ist in seiner Überzogenheit nicht mehr pathetisch, sondern schwer ironisch, anders ergäbe er keinen Sinn, gemeint ist natürlich
die Liebe des Autors zu seinen Figuren. Angeblich viermal wird in
diesem Buch einer Frau sexuell etwas angetan, (oder sie wünscht sich das wenigstens) was daraufhin verharmlost wird. Mir fällt auf Anhieb nur eine Stelle ein, wo sich die Beteiligten trotz einer vollzogenenen Vergewaltigung im Schlafsack später ineinander verlieben. Soll vorkommen. Das Buch enthält haufenweise Figuren starker und durchsetzungsfähiger Frauen (die auch den Männern einiges antun) und man muß schon mit einer sonderbaren Brille lesen, um da etwaige misogyne Tendenzen zu entdecken.
Weiterhin wird moniert, daß hier einmal ein deutscher Doktor einem
sprachunbegabten Türken aufs Maul hauen darf. Einige Sätze später wird gefragt, worin in diesem Buch die Satire bestehen soll. Praktisch wird mir hier auch noch Ausländerfeindlichkeit nachgesagt. Als wäre das alles nicht lustig, vielmehr lächerlich genug, wird gefragt, ob der Umstand, daß sich eine Sarah Stern per masochistischer Praktik einen Lustgewinn verschafft, ein schlecht versteckter Antisemitismus oder ein kalkulierter Skandal ist. Seltsamer Skandal, der weder mir noch meinem
Lektor noch sonstwem bisher aufgefallen ist. Ich habe einen Thomas entworfen, dann ihm eine Frau namens Sarah (der heute ungefähr viertbeliebteste Name) an die Seite gesetzt und keinen Moment daran gedacht, daß damit für manche Ohren ein klingender Name entstehen
könnte. Thomas Stern hieß nämlich bis kurz vor Drucklegung noch Thomas Stein, bis man mich darauf hinwies, daß es derzeit einen Prominenten diesen Namens gibt.  Weshalb genau dabei aber irgendetwas antisemitisch gemeint sein könnte, kann ich nicht ahnen. Sarah Stern ist eine sympathische und selbstbestimmte Figur, die sich im wahrsten Sinne des Wortes aus der Banalität ihrer Existenz einen Weg zum Orgasmus freischießt.
Warum ich mich mit dem ungeheuerlichen Vorwurf des Antisemitismus auseinandersetzen muß, in einer Zeit, da ich mit meinem nächsten Buch den (sicher nicht kommerziell erfolgversprechenden)  Versuch unternehme, der Musik des jüdischen, von den italienischen Faschisten verbotenen Komponisten Alberto Franchetti, wieder Gehör zu verschaffen, ist mir ein Rätsel. Wie leichtfertig geht die Rezensentin hier mit meinem Ruf um? Da hört jeder Spaß auf.
Frau Heide Lutosch scheint mehr zu interpretieren als zu lesen. Sie redet von einem pädophilen Lateinlehrer. Der Lateinlehrer ist aber, wie ganz deutlich klar wird, eben nicht pädophil, tut mir leid. Auf die vielen kleineren sachlichen Fehler will ich nicht eingehen. Das Einzige, was mich an dieser Kritik gefreut hat: daß von jemandem bemerkt wurde, wie sich hier ebensoviele Paare finden wie trennen. Dieses Buch ist in der Tat nicht rabenschwarz, sondern von einem durchaus versöhnlichen Ton getragen.

Mit schönen Grüßen

Helmut Krausser


Peter Engel schrieb uns am 01.12.2009
Thema: Heide Lutosch: Stinkefinger der Liebe

Wer als Autor nicht weiß, daß der Name Sarah Stern stark jüdisch konnotiert ist, der sollte lieber die Finger vom Verfassen solcher Romane lassen, zu deren Personal eine Frau dieses Namens gehört. Das kann nur daneben gehen. Sollte er sein Nichtwissen lediglich  vortäuschen, dann wäre der Vorwurf der Ignoranz durch den einer unsauberen Spekulation zu ersetzen.


Dr. Eckhard Ullrich schrieb uns am 11.12.2009 als Antwort auf einen Leserbrief
Thema: Re: Heide Lutosch: Stinkefinger der Liebe

Natürlich hat eine Rezensentin alles Recht der Welt, gleich in den ersten Absatz ihrer Buch-Belöffelung alles zu legen, was sie im Oberseminar über hochwertige Literatur im Unterschied zu minderwertiger gelernt hat. Im Land, das E von U scheidet, in dem historische Hebammen-Romane sieben Minuten und zwölf Sekunden nach der Veröffentlichung schon sechsstellige Verkaufszahlen vorweisen, während selbst der neue Hardcover-Walser nach Jahresfrist im Ramschkatalog landet, muss die alte Keule immer mal wieder geschwungen werden. Ob filmisch tatsächlich die Steigerung von episodisch ist, wage ich tapfer zu bezweifeln, ob Kraussers Buch so oder so ist, weiß ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass allein die krude Wortmeldung eines Stern-Deuters reicht, es interessanter zu machen, als es vielleicht vorher war oder gar sein sollte.
Dr. Eckhard Ullrich
Ilmenau