Leserbriefe zur Rezension

Darf es einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ geben?

Eine schleichende Kulturrevolution

Von Dirk Kaesler


Martin Overath schrieb uns am 03.04.2010
Thema: Dirk Kaesler: Darf es einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ geben?

Leidtragende der "Verständigung" (= new deal) nach § 257c StPO sind die Schöffen, auch wenn sie an den Absprachen beteiligt werden. Mit fehlenden Aktenkenntnissen degenerieren sie zu Statisten der frühzeitigen Flurgerichtsbarkeit. Was nicht verständigungsfähig ist, wird mit dem bisherigen "Rechtsgespräch" ausgehandelt.


Georg Sieber schrieb uns am 13.04.2010
Thema: Dirk Kaesler: Darf es einen „Handel mit der Gerechtigkeit“ geben?

„Die schleichende Kulturrevolution?“

Dirk Kaesler ist ein unerbittlicher Beobachter – da hilft es der Revolution wenig, wenn sie statt des artgerechten Sturmschrittes den tückischen Schleichgang einlegt. Sehr zu Recht misstraut Kaesler dem gerichtlichen Deal, der hierzulande erst neuerdings eine Art von gesetzlicher Anerkennung findet (§ 257c StPO) - und eben auch in bestimmten Fällen den Genugtuungsinteressen des Opfers entgegenstehen kann.

Differenzierung und Ausdehnung der von einer Straftat ausgelösten Interessenlagen berühren allerdings die Rechtslogik zu geringfügig, als dass ein Durchbruch des Systems zu befürchten(oder zu erhoffen)wäre. Überdies stehen dem möglichen Vorteil für das Opfer erhebliche Nachteile für die Rechtssprechung selber gegenüber. Der größte Nachteil dürfte hier in der Stärkung des Geständnisses liegen. Ausgerechnet das tatsächlich von subjektiven Einflüssen unkontrollierbar verformte Geständnis wird im Deal zur konkreten Währung, die sogar in Teilsummen handelbar ist. Wer auch nur eine einzige Geständnisgenese miterlebt hat, muss sich angesichts dieser Aufwertung die Augen reiben.  

Es ist vorstellbar, dass der stringente Vollzug der sperrigen StPO von Beteiligten als so belastend wahrgenommen wird, dass ihnen verständigungsbedingte Abstriche bei der Wahrheitsfindung leicht hinnehmbar erscheinen. Die Mitwirkung eines Opfers oder der Schöffen an der Verständigung wird aber wohl noch belastender werden als der konventionelle StPO-Vollzug. Eine entsprechende gesetzliche Regelung würde wahrscheinlich dazu führen, dass die Revolution über kurz oder lang vom Schleichgang dann doch in den Rückwärtsgang schaltet.