Leserbriefe zur Rezension

Breite Tiefe

Burkhard Meyer-Sickendiek verteidigt das Grübeln gegen seine Verächter

Von Albert Coers


Thassilo Unser schrieb uns am 06.08.2010
Thema: Albert Coers: Breite Tiefe

In der Tiefe verlaufen

Die vorliegende Rezension Albert Coers entspricht wohl eher einer wohlwollenden Buchempfehlung als einer kritischen Besprechung und Wertung einer literaturwissenschaftlichen Veröffenlichung. Die These Meyer-Sickendieks von der psychologischen Pathologisierung des Grübelns als Motor depressiver Verstimmungen im späten 19.Jahrhundert ist so widersinnig, dass sie nicht unreflektiert hingenommen werden kann. Eine Krankheit entsteht doch nicht erst durch die Entdeckung ihrer Ursachen und Wirkungsmechanismen, sondern sie besteht ja wohl schon vorher und unabhängig von medizinischen Erkenntnissen. Ein eigenartiger Paradigmenwechsel: wissenschaftliche Erkenntnis pathologisiert. Die Psychologen sind demnach die Verursacher bipolarer geistiger Störungen welche aus dem Grübeln erwachsen. Genauso wenig nachvollziehbar ist die These vom Verlust über das Grübeln zu erzählen. Literatur funktioniert doch überhaupt nicht ohne die Beschreibung des tiefsinnigen Nachdenkens der handelnden Personen und der daraus entstehenden Emotionen und Motive ihrer Handlungen. Die literarische Gegenwart widerspricht der wundersamen Behauptung Meyer-Sickendieks, durch die Patologisierung des Grübelns sei die Fähigkeit vom und über das Grübeln zu schreiben verloren gegangen. Es scheint, Meyer-Sickendiek hat sich in der Tiefe des "Emotional Turn" verlaufen.


Eginhardt Huth schrieb uns am 11.01.2011
Thema: Albert Coers: Breite Tiefe

Der Autor Burkhard Meyer-Sickendiek vergleicht Äpfel mit Birnen. Was um Himmels willen hat tiefsinniges Nachdenken mit dem oberflächlichen, sich immer wieder zwanghaft um gleiche Gedanken drehenden, zermürbenden, oftmals krankmachenden Grübeln zu tun? Weder die Psychologie noch sonst irgend jemand hat jemals das tiefsinnige Nachdenken als patologisch bezeichnet oder "patologisiert". Die spekulativ forcierte These von "Patologisierung des Grübelns" nimmt Meyer-Sickendiek zum Ausgangspunkt für seine deduktive Suche nach Belegen dafür. Unter diesen Kontext betrachtet konnte das nur schiefgehen. Peinlich, dass Meyer-Sickendiek sein Konstrukt, im Klappentext nachzulesen, als "aus der Sicht der Kulturwissenschaft" begründet bezeichnet. Damit stellt er die ganze Breite der Kulturwissenschaften ohne Not in Widerspruch zu den Naturwissenschaften. Ein Buch welches dem Bemühen der modernen Literaturwissenschaft zur interdisziplinären Integration nur schadet und Kopfschütteln hinterlässt.