Leserbriefe zur Rezension

Verliebte (alte) Männer und ein liebendes Paar

Paul Strand und Alfred Stieglitz, John Updike und Philip Roth verehren natürliche weibliche Schönheit

Von Dirk Kaesler


Veit Feger schrieb uns am 14.01.2011
Thema: Dirk Kaesler: Verliebte (alte) Männer und ein liebendes Paar

Verehrter Herr Kaesler,

mit großem Vergnügen und herzlicher Zustimmung las ich Ihren aktuellen Monatlichen Beitrag... fast bis zum Schluss.
Zwischendrin stutzte ich mal, als ich von einer "Hingabe an die geliebte Person" las, "die heute ihresgleichen sucht".
Ich empfand: Hier nimmt der Autor den Mund verdammt voll.
Wie will er sich dieser angeblichen  Hingabe so sicher sein?
Wie will er sie messen?
Kann er das wirklich an FOTOS erkennen? -
Wie kann er locker von "Hingabe" reden, wenn diese Hingabe  zeitlich so klar begrenzt war wie im Fall Stieglitz - O'Keeffe?

Meine Empfindung, dass der Autor Kaesler keinesfalls an einem Minderwertigkeitskomplex leidet, verschärfte sich, als ich den bekenntnishaften Schluss der Monatskolumne las: Wenn Sie, Herr Kaesler, der Autorin Alice Schwarzer "Verleumdung" unterstellen.
Warum übrigens "grandiose Verleumdung". Ist das nicht ein Oxymoron? :-)
Sollte damit der harsche Klang des Vorwurfs "Verleumdung" gemindert werden? -

Der Autorin Schwarzer unterstellen Sie, Herr Kaesler, dass sie "nie die große Zärtlichkeit und die grenzenlose Verehrung weiblicher Schönheit" erkannt habe, wie sie der Autor Kaesler selbstredend erkennt.
Der Autorin Schwarzer wird unterstellt, sie habe das, was eben doch stimmt, nicht erkennen WOLLEN!

Nun, vielleicht wollte auch der Autor Kaesler in jenen Newton-Frauen-Fotos eben etwas erkennen, das SEINEM Empfinden zupass kam. Alle unsere Erkenntnisvorgänge, eigentlich trivial,  sind mit einem WILLENSakt verknüpft; wir sind keine tabulae rasae, in denen sich die "Wirklichkeit" eben so spiegelt.
Ich darf von mir gestehen, dass ich die Fotos, die Helmut Newton von Frauen aufnahm, eben so gut wie Alice Schwarzer  immer schon, lang vor jener vom Feminismus befeuerten Kritik,  als äußerst "Macho" empfand. Was nicht bedeuten muss, dass Herr Newton im direkten Umgang mit Frauen ein Macho war - auch wenn das vermutet werden darf :-)

Verehrter Herr Kaesler, haben Sie schon beobachtet, dass eine dieser von Newton fotografierten Frauen mal lächelt, dass sie  sich  zu FREUEN scheint, dass sie  in der Liebe ihres Verehrers GLÜCKLICH wirkt?
Dieser Anschein von Gelangweiltheit ist  ein Nachteil, den ich auch bei den  Fotos empfinde, die Alfred Stieglitz von seiner angeblich geliebten Georgia aufnahm. Frau O'Keeffe  sieht auf keinem dieser Fotos - für MEIN Empfinden - sehr glücklich aus

Wenn ich Philip Roths Roman "Das sterbende Tier" den Intentionen des Autors angemessen empfunden  habe, so ist ein wesentlicher Zug an dieser sympathischen Frauensperson ihre FRÖHLICHKEIT! Consuela Castillo strahlt Glück und FREUDE aus!
Kann man das von Frau O'Keeffe oder den Models von Herrn Newton sagen??

Ich rate ein weniger Selbstgewissheit an, wenn es um GESCHMACKSfragen geht.
Mit freundlichen Grüßen
Veit Feger, Veit.Feger@t-online.de


Heinz Steinert schrieb uns am 23.01.2011
Thema: Dirk Kaesler: Verliebte (alte) Männer und ein liebendes Paar

Lieber Dirk, sehr geehrter Herr Feger,
wenn wir hier über den Austausch von Geschmacksurteilen hinauskommen wollen, müssen wir den Gegenstand halt kontrolliert interpretieren und das, wie es Sozialwissenschaftlern ansteht, im Sinn einer Interaktionsästhetik, also ausgehend vom vorausgesetzten Arbeitsbündnis.
Beim Gegenstand "Aktfotos von professionellen Fotografen" ist für die Situation die Tatsache (oder jedenfalls Möglichkeit) der Veröffentlichung entscheidend. Damit wird die Darstellung jedenfalls zu einer Inszenierung für die Voyeure, denen das Bild verkauft werden soll. Das gilt ganz besonders, wenn die Modelle ebenfalls professionell arbeiten. Das Ergebnis lässt sich dann nicht aus einem persönlichen Verhältnis zwischen dem Fotografen und den Modellen verstehen. Die haben nämlich keines, vielmehr ein geschäftliches: Sie produzieren arbeitsteilig ein Bild, das verkauft werden soll.
Helmut Newtons Big Nudes sind, in diesem Rahmen von Arbeitsbündnis betrachtet, für den Betrachter abweisend oder – noch stärker – sie kümmern sich nicht um ihn. Das ist die Darstellung einer Oberschicht-Körperästhetik voll Verachtung für den Voyeur. (Das mag manche davon wiederum anmachen, zugegeben. Aber das kann nicht das Kriterium für Pornografie sein, denn dafür genügt bekanntlich auch eine Strichzeichnung an der Klowand.) Diese Zurückweisung des Voyeurs eröffnet vielmehr die Möglichkeit einer Reflexion auf die Situation: Besonders unterstrichen wird das von der Dopplung der Bilder, in denen die Gruppe von Modellen einmal bekleidet, einmal nackt dargestellt wird. Oder von dem bekannten komplizierten Bild von der Gesamtsituation, auf dem neben dem Modell und schwer zuordenbaren weiteren Beinen der Fotograf mit abgebildet ist und seitlich seine Gemahlin, die interessiert zusieht.
Interessant sind die Fotos von irgendwelchen Promi-Frauen oder Aristokratinnen, die sich – offenbar für ihre Subkultur – genau so von dem bekannten Fotografen darstellen und inszenieren lassen. (Übrigens gibt es auch Newton-Fotos dieser Art von Männern.) Der subversive Teil besteht dann darin, diese Fotos über die Subkultur hinaus zu verbreiten, diese Bilder von Oberschicht-Nackten für Hinz und Kunz zugänglich zu machen. Den hat aber nicht Helmut Newton zu verantworten, sondern das ist das kulturindustrielle Verhältnis zu Promis, dass sie die Kontrolle über ihre Intimitäten verlieren und dass wir sie boshaft entblößt sehen wollen. Die Big Nudes stellen genau das dar und weisen unsere Zudringlichkeit noch einmal zurück. Sie sind eine Reflexion über fotografische Akte und das voyeuristische Verhältnis zu ihnen.
Schwieriger wird es, wenn diese Profi-Fotografen ihre Geliebten als Modelle einsetzen. Wenn wir das wissen, halten wir in den Aktfotos ein "liebevolles" Verhältnis für möglich und vergessen die Tatsache der Veröffentlichung, durch die Dritte einbezogen werden. Nun hat Liebe bekanntlich mit Schönheit, noch gar mit der Model-Schönheit der Modefotografie nichts zu tun. Die Objektivierung im ästhetisierenden Anschauen widerspricht der Beziehung "Liebe". (Ein "interesseloses Wohlgefallen" ist ziemlich das Gegenteil von Liebe und Leidenschaft.) Liebe reagiert auf Nacktheit entweder, wenn sie in aggressiver Entblößung besteht, mit freundlichem Bedecken oder schamhaftem Wegsehen, oder aber, wenn sie erotisch ist, mit eigener Entblößung und was daraus folgt – sicher nicht aber mit Festhalten dieses Zustands in einem Foto, das auch noch veröffentlicht wird. "Liebevolle" Aktfotos – wenn wir die Existenz der Institution "Aktfotografie" samt Veröffentlichung für ein großes Publikum als gegeben akzeptieren – müssten also etwas von dieser Schamhaftigkeit oder aber Erregung der Person, die fotografiert, ins Bild bringen können. Das ist so widersprüchlich, dass es fast nicht möglich ist.
"Us and them" mit beid- und gegenseitiger Entblößung ist in der Tat die beste Annäherung, die ich kenne. Dabei geht es freilich nicht um Schönheit, sondern um das Verhältnis von zwei Personen, die beide professionell und auch sonst dauernd fotografierten und deren Beziehung nicht zuletzt von dieser Tatsache bestimmt war. Das darzustellen gelingt nicht in einem Bild, sondern nur in Serien und Sammlungen. Und es hat, anders als bei Strand und Stieglitz (wo vielleicht die Weichzeichner und sonstigen Filter helfen, die Ungehörigkeit der Veröffentlichung zu "verschleiern"?), mit "Schönheit" nichts zu tun.  
Die Veröffentlichung der Schönheit der Geliebten ist bekanntlich ein Manöver in der Konkurrenz der Männer – man denke an den König Kandaules, der dadurch (zurecht) die Geliebte verliert (und auch noch das Leben, das ist vielleicht etwas übertrieben).
Mit besten Grüßen
Heinz Steinert