Leserbriefe zur Rezension

Die heilige Emma von den Schlachthöfen

Emma Goldmans Autobiografie liegt in einer überarbeiteten Neuausgabe vor

Von Jörg Auberg


Veit Feger schrieb uns am 01.02.2011
Thema: Jörg Auberg: Die heilige Emma von den Schlachthöfen

Sehr geehrter Herr Auberg,

Ihre Buchbesprechung weckt den Eindruck:
Hier äußert sich einer,  der die Literatur zu Emma Goldman und zum Anarchismus KENNT!
Danke für Ihre informative Besprechung!

Ich gestehe: Ich wurde vor Jahren eher zufällig auf E. Goldman aufmerksam, las (unter anderem) das Buch von Candace Falk über sie und war ebenso von dieser Gestalt angetan wie einige andere Menschen.
Ich finde es durchaus richtig, dass Sie auch KRITISCHE  Blicke auf E. Goldman werfen, auf ihre “Widersprüchlichkeiten”.
So  ohne weiteres einsichtig wie IHNEN sind aber MIR nicht alle drei Bereiche, in denen Sie “Widersprüchlichkeit” erkennen (“Gewalt”, “Eros”, “Massenkultur”).
Mir ist noch nicht einsichtig, inwiefern zwischen Goldmans  Eintreten für die “vorbehaltlose Emanzipation der Frauen”  und andererseits ihrer Verliebtheit in Ben Reitman (und andere Männer) ein Widerspruch besteht. - Warum, so frage ich, darf eine Frau sich nicht für die (rechtliche, soziale, ökonomische) Unabhängigkeit und Gleichberechtigung von Frauen einsetzen und zugleich auf erotischem Gebiet abhängig von ihrem Geliebten oder auch ihrer Geliebten sein?! Liebe, denke ich, ist eigentlich immer auch eine Form der Abhängigkeit. Warum soll man nicht als Frau einerseits  für Emanzipation sein dürfen und  andererseits doch  “in der Beschwörung wilder Lust” “schwelgen” und “in  erotischer Rhapsodie ergehen”? (Diese Formulierungen klingen auch irgendwie etwas lustfeindlich...)

Als Anarchistin propagierte Goldman  “einen radikalen Egalitarismus, hatte aber andererseits starke Vorbehalte gegenüber der sich herausbildenden ‘Massenkultur' und begriff sich als Teil einer `demokratischen kulturellen Elite’, die einem traditionellen Kulturverständnis verhaftet blieb.”
Mir scheint, anders als Ihnen,  kein peinlicher Widerspruch vorzuliegen zwischen einem radikalen Egalitarismus, wenn es um Recht, Status, politische Macht geht,  und andererseits um “Kultur”. Es war in der abendländischen Geschichte immer eine verbreitete und diskutable Ansicht, dass die Qualität von Kultur (wozu auch die Naturwissenschaften zählen) nicht nur vom wissenschaftlich und/oder künstlerisch wenig gebildeten “Nutzer” bestimmt werden sollte, sondern auch von Kriterien, die ein Nutzer sich meist nur aneignen kann durch langes Bemühen um eine Kulturerscheinung (sei es Wissenschaft, sei es  KUNST). Anders formuliert:  Wenn in einer Gesellschaft nicht alle gleichförmig J. S. Bach und nicht alle einen Rapper gleich gut finden, dann ist das noch kein triftiges Argument für eine “Widersprüchlichkeit” in Goldmans Denken.
Veit Feger
Veit.Feger@t-online.de
http://veit-feger.homepage.t-online.de/