Leserbriefe zur Rezension

Verloren an der Oberfläche

Dagmar Burkhart versucht das Phänomen „Hautgedächtnis“ zu analysieren – und scheitert

Von Tobias Schmidt


Henrike Schmidt schrieb uns am 02.03.2013
Thema: Tobias Schmidt: Verloren an der Oberfläche

Dagmar Burkharts Buch über das Hautgedächtnis ist ein kluges Werk und eine inspirierende Lektüre, von leichter Hand geschrieben und mit einer überwältigenden Fülle an Beispielen, historischen Rückblenden und literarischen Fundstücken. Nach wiederholter Lektüre kann ich die in der Rezension geäußerte Kritik nicht nachvollziehen. Die Autorin geht in ihrer Darstellung bewusst eine Reihe von Risiken ein, nämlich die einer populären, leicht verständlichen und gut lesbaren Sprache einerseits, einer Einbeziehung unterschiedlicher Gegenstandsbereiche, von der Philosophie über die Literatur bis hin zur medialen Gegenwartskultur andererseits. Dabei setzt sie innerhalb ihres Themenfelds, der Haut als Kommunikationsmittel und Gedächtnisort, spannende neue Akzente. Insbesondere die vom Rezensenten kritisierte Überblendung von Haut-Falten und Narben im direkten Wortsinne und ihrer metaphorischen Übertragung auf ‚das Angesicht’ der Erde eröffnet im wahrsten Sinne des Wortes neue Einsichten. Zumal dieser thematische Weitsprung theoretisch und methodologisch in den einleitenden Vorbemerkungen sorgfältig vorbereit ist. Die Haut als Organ des Menschen wird eingebettet in kosmologische Weltmodelle, mit der Kleidung als zweiter, der Behausung als dritter und der Erde bzw. dem Kosmos als vierter Haut. Die Vielfalt an Beobachtungen und Einzel-Lektüren ist also in ein tragfähiges und kohärentes Konzept eingebettet, will man es denn sehen. Das extravagante Detail, für das die Autorin sicherlich eine Vorliebe hegt, ist immer in ein sicheres Wissen um die historischen und theoretischen Kontexte eingebettet. Wissenschaft muss das Populäre durchaus nicht scheuen. Und Semiotik ist nicht nur da drin, wo Signifikant drauf steht. Sondern da, wo zeichenbasierte Kommunikationsprozesse analysiert werden. In ansprechender und klarer Sprache, mit schönen und illustrativen Bildern.

Henrike Schmidt