Leserbriefe zur Rezension

Eindeutige Bemerkungen

Hermann Heidegger und das „Zeit“-Feuilleton haben sich verirrt

Von Max Beck


Joachim Landkammer schrieb uns am 25.08.2015
Thema: Max Beck: Eindeutige Bemerkungen

Ja, das mag man alles so denken und auch noch aufschreiben und dann auch noch publizieren. Aber interessant ist es genauso wenig wie es originell ist. Schlimmer aber: es ist nicht ganz durchdacht und intellektuell unredlich, wenn das denn heißen würde, daß man zu jedem "Ja" oder "Nein", das man denkt (schreibt/veröffentlicht) auch immer das "Aber" dazudenken (...schreiben/veröffentlichen) sollte. Das sei hier andeutungsweise nachgeholt: ja, der offenbar weltkriegstypisch zwangsmilitarisierte Sohn des Philosophen ist kein besonders glaubwürdiger Verteidiger seines Vaters, wahrscheinlich schon aus Gründen professioneller Unzuständigkeit nicht. Aber: muß man ihm deswegen das Wort verbieten? Hat er nicht das Recht, aus seiner wie immer partiellen familiären Sicht seinen "Senf" zur öffentlichen Debatte dazuzugeben? Man muß diesen ja nicht ernster nehmen als andere sippenhaftenden Apologien. Ja: die Verwendung des Wortes "Halbjude" ist hoch fragwürdig. Aber: bei der Rekonstruktion von historischen Haltungen wird man auch das "technische" Vokabular der Zeit benutzen müssen, und man kann Heidegger junior zwar vorwerfen, daß er jede Verwendung dieses Worts mit einer distanzierenden Klausel á la "wie das damals hieß" hätte einklammern müssen, aber nicht, daß damit nicht die (ja nachprüfbare, wichtige) These aufgestellt worden wäre, daß Heidegger senior damals Kontakt zu als regimefeindlich eingestuften Personen hatte. Ja, das macht ihn noch lange nicht zum Regimekritiker, es ist auch noch keine Widerlegung seines Antisemitismus, aber: doch offenbar eine Differenz zu den 100%igen Nazis, die es ja auch gab. Also: ein schwaches Argument, aber kein völlig vernachlässigbares. Und ja: natürlich ist Heidegger nicht nur Antisemit, sondern auch anti-modern, wie das eben Antisemiten oft waren. Aber: vielleicht ist er ja erst in zweiter Linie Antisemit, weil er in erster Linie und mit gewichtiger philosophischer Begründung eben anti-modern ist. Auch das "entlastet" ihn natürlich keineswegs, aber es fühlt sich etwas schwerer an, diese fundamentalkritische Haltung zu widerlegen; denn während es nicht nur richtig, sondern auch relativ leicht ist, heute "gegen Antisemitismus" zu sein, ist es bedeutend schwerer, ein rückhaltloser Freund der "Moderne" zu sein. Die Auseinandersetzung mit Heideggers Antisemitismus müßte aber dann genau den Weg über die Infragestellung seines Antimodernismus gehen; wer diesen Weg scheut, macht es sich gern mit dem Antisemitismus-Verdikt viel zu leicht, zumindest: leichter als es eben ist.
Ja: ein vermutlich überflüssiger Text des Sohnemanns. Aber: warum es ein Problem sein soll, daß in der ZEIT neben vielen kritischen Stimmen (davon sicher auch einige überflüssige) auch diese zu Wort kommt, und zwar "ohne Distanzierung", also wohl ohne die pädagogische Warnung der Redaktion "Achtung Achtung, Sie verlassen jetzt den politisch korrekten Sektor", erschließt sich nicht: "alles ein ganz demokratischer Diskurs, versteht sich", sagen die Autoren süffisant. Ja, aber: genau das ist es.


Dr.Armin Erlinghagen schrieb uns am 25.08.2015
Thema: Max Beck: Eindeutige Bemerkungen

„Aber er hat ja gar nichts an!“ sagte endlich ein kleines Kind.
Die apologetischen Einlassungen Hermann Heideggers zu Gunsten seines Vaters Martin Heidegger (wie in mehreren Presseorganen, zuletzt in der ZEIT veröffentlicht) können nicht unwidersprochen bleiben. Nach gründlicher Lektüre von bisher drei der vier veröffentlichten Bände von Heideggers sog. „Schwarzen Heften“ (1931–39; 1942–48) gelange ich – als Schüler eines Heidegger-Schülers, als kritischer Leser der Schriften Heideggers, als langjähriger Philosophielehrer und Ausbilder von Philosophielehrern, gleichwohl  n i c h t  professioneller Philosoph – bei der Beurteilung der Sache zu anderen Ergebnissen:

1) Die akademische Philosophie macht es sich allzu leicht, wenn sie die Diskussion von Heideggers „Schwarzen Heften“ auf die Frage nach dessen Antisemitismus beschränkt, jedenfalls auf diese fokussiert. In Frage steht, folgt man Heideggers eigenen philosophischen Prämissen, nicht der Antisemitismus Martin Heideggers als Person, sondern der nationalsozialistische Charakter seiner Philosophie, deren inhärenter Antisemitismus in der Tat ein untergeordneter Aspekt dieser Philosophie ist – kein „randständiger“ allerdings, wie von Heideggers Sohn behauptet, sondern ein signifikanter.

2) Die von Hermann Heidegger angeführten Argumente gegen den vielfach behaupteten Antisemitismus Martin Heideggers fallen kaum ins Gewicht. Unabhängig von dem zweifelhaften Wahrheitsgehalt der genannten Punkte im Einzelnen – seine Argumente stehen nicht auf dem Stand der historischen Forschung, seiner Argumentation mangelt es an logischer Plausibilität – gehören sie zu jenem Typus vermeintlicher Entschuldigungen, durch die selbst prominente Akteure des Holocaust sich darauf berufen, sie hätten persönlich „nichts gegen Juden gehabt“ und mit dem jüdischen Nachbarn oder Kollegen  „einen freundlichen Umgang gepflegt“ o. ä. Was besagt beispielweise die geltend gemachte Freundschaft von Heideggers Ehefrau mit einer „Halbjüdin“, wenn jene durch die Briefe ihres Ehegatten sich als glühende Anhängerin Adolf Hitlers erweist, so dass, beispielsweise, die angeblich mangelnde nationale Gesinnung Karl Jaspers’ auf den Einfluss seiner jüdischen Ehefrau zurückgeführt wird? Oder: Stellt ein Antisemit von echtem Schrot und Korn seinen Antisemitismus erst dadurch unter Beweis, dass er gegen die Attraktivität einer schönen und klugen Jüdin gefeit ist? Oder: Muss auch noch der Name des Philosophen Karl Löwith, der als einer der ersten eine viel beachtete Kritik der Heideggerschen Philosophie formulierte, zur Widerlegung von Heideggers Antisemitismus herhalten, nur weil der Exilierte als Person großmütig genug war, nach dem Kriege den Kontakt mit seinem akademischen Lehrer wieder aufzunehmen? Für die Opfer des Holocaust und die Überlebenden ist es von geringem Interesse, ob Heideggers wiederholten Ausfälle gegen alles Jüdische („der Jude Fränkel“ u. a. m.) antisemitischer oder antijudaistischer Herkunft sind oder ob sein Ressentiment gegen Juden rassistisch oder „seynsgeschichtlich“ motiviert ist: Ohnehin werden, da der Meisterdenker das Schicksal des sog. Weltjudentums in seinsgeschichtlicher Perspektive den diversen „Machenschaften“ der Neuzeit subsumiert, die Akteure der industriellen Massenvernichtung der Juden samt ihren Vordenkern jeder persönlichen Schuld enthoben, weshalb es Heidegger denn auch überflüssig erschienen sein mag, die Opfer des Holocaust zu beklagen – ganz im Gegensatz zu dem an der Ostfront geopferten „deutschen Blut“.

3) Die (teils inhaltlichen, teils strukturellen) Korrespondenzen zwischen zentralen Versatzstücken der nationalsozialistischen Ideologie und Heideggers Philosophie, auf die u. a. bereits Günther Anders hingewiesen hat, sind unübersehbar und m. E. nach Vorlage der „Schwarzen Hefte“ auch kaum mehr bestreitbar. Bewundernswert ist die Treffsicherheit, mit der Karl Jaspers als ausgewiesener Psychopathologe aufgrund der späteren Schriften Heideggers bereits in den 60er Jahren solche in den „Schwarzen Heften“ manifest werdenden Korrespondenzen namhaft machte, wenn er „die Denkungsart derer, die den Nationalsozialismus mit Enthusiasmus ergriffen – das Diktatorische, das Behauptende, das sich überlegen Dünkende, das eine allein Wahre, die Neigung zum Absurden, die primäre Aggressivität, Verneinung, der Machtwille [...] in der Philosophie Heideggers und seiner Anhänger [...]“ namhaft macht („Notizen zu Martin Heidegger“. 1978, Notiz 251). Alle diese Merkmale der späteren Philosophie Heideggers und ähnliche sind in den „Schwarzen Heften“ vielfach belegbar. Gewöhnlich wird dabei so verfahren, dass vorgefundene nationalsozialistische Konstrukte wie „Volk ohne Raum“ nicht, wie zu erwarten, kritisiert, sondern durch die angeblich einzig angemessene, nämlich „seynsgeschichtliche“ Interpretation allererst legitimiert werden – eine Art Nationalsozialismus de luxe –, so wie denn auch der exaltierte Nationalismus und Chauvinismus der Nazis durch die Sonderrolle, die Heidegger der deutschen Sprache zuweist, nur in sublimierter Form wiederkehren. In der Tat unterscheidet sich das Denken Heideggers in der Sache nur graduell – durch die elaborierte Form ihrer Begründung nämlich – von dem Antiintellektualismus, Immoralismus und Voluntarismus Adolf Hitlers, wie sie spätestens durch Hermann Rauschnings „Gespräche mit Hitler“ bekannt wurden (Auszüge in „Die Wandlung“, H. 8/1946). Der Inbegriff der Gewaltsamkeit von Heideggers Denken,

– das in autistischer Manier sich selbst von den Regeln der Logik dispensieren zu können meint;
– das sich selbst als unkritisierbar konstituiert;
– das nichts außer dem von ihm selbst dekretierten engen Corpus kanonischer Schriften gelten lässt,
– das wortreich Schweigsamkeit postuliert –

liegt in dessen Umgang mit der deutschen Sprache, mit der er, wie totalitäres Handeln mit Menschen und Sachen überhaupt, nach Gutdünken verfahren zu können meint. Die Hässlichkeit der von dem angemaßten Dichter Heidegger produzierten sprachlichen Grotesken – usurpatorische Eingriffe in unser aller Sprache – ist das Signum ihrer Unwahrheit.

4) Die akademische Philosophie, die in Teilen ein halbes Jahrhundert lang die Investitur des philosophischen Kaisers Martin Heidegger inszenierte und seine Inthronisation zum „Ausnahmephilosophen“ zelebrierte, verschließt sich, so weit ich sehe, beharrlich der nach der Publikation seiner Notizhefte unausweichlich gewordenen Einsicht, dass dieser Kaiser nackt ist, seine Blößen notdürftig bedeckt durch ein Lumpenkleid – Patchwork – aus den Versatzstücken alttestamentarische Prophetenbücher, früheste griechische Philosophie, Hölderlin, Kierkegaard, Nietzsche (alle höchst eigenwillig interpretiert), darüber hinaus: süddeutsche Heimatliteratur, journalistische Polemik (oftmals nazistischer Herkunft), sowie mehr oder minder zufällige Lesefrüchte disparater Natur, im Bedarfsfalle auch Karl Marx. Die in Teilen der Forschung stereotyp wiederkehrende Behauptung des außerordentlichen Rangs von Heideggers Philosophie, angeblich ausgewiesen durch die Wirkungsgeschichte seines Denkens, sollte im Hinblick auf die „Schwarzen Hefte“ einer Revision unterzogen werden (warum sollte der Autor philosophischer Schriften frei sein von jenen Affekten und Ressentiments, durch die seine philosophischen Notizhefte allenthalben geprägt sind?). Handelt es sich bei der Rede seit Mitte der 30er Jahre propagierten Rede von dem „letzten Gott“, der kommenden Rückkunft der verlorenen Einheit mit dem „Seyn“, noch um Philosophie und nicht vielmehr um eine säkulare Prophetie? Überhaupt: Wie können die gängigen Deutungen von Heideggers früher Philosophie Bestand haben, wenn der Autor selbst die vorliegenden Interpretationen zu einem einzigen Missverständnis erklärt und seine frühe Philosophie, deren rhetorischen Gestus ausgenommen, retrospektiv im Sinne seiner späten Philosophie umdeutet?


Dr. Daniel-Pascal Zorn schrieb uns am 30.08.2015
Thema: Max Beck: Eindeutige Bemerkungen

Insgesamt eine sehr zu begrüßende Kritik der Äußerungen Hermann Heideggers, die deutlich macht, wie unsinnig sein apologetischer Versuch ist und wie verräterisch seine Verwendung von Begriffen wie "Halbjude".

Allerdings muss ich feststellen, dass der Text genau da anfängt herumzueiern, wo es um Heideggers Kritik am NS geht - denn die gibt es natürlich (die Frage ist: in welcher Hinsicht?). Da muss man auch nicht von irgendwelchen "historische[n] und philosophische[n] Falschbehauptungen" schwadronnieren, um dann die vorher vertretene These nochmal zu wiederholen. Unglücklich ist es dann auch, von einer "Pirouette" zu sprechen, wenn man selbst gerade eine vollzogen hat.

Bei Heidegger wie auch sonst muss man m. E. fragen: In welcher Hinsicht? In welcher Hinsicht ist er "Antisemit"? Und in welcher Hinsicht ist sein Antisemitismus in den Gesamtkontext des NS einzuordnen? In welcher Hinsicht versteht er "Nationalsozialismus" und in welcher Hinsicht kritisiert er ihn? Aus historischer Sicht sind seine Äußerungen z. B. in Briefen ziemlich durchschnittlich antisemitisch für einen Anhänger der konservativen Revolution. Während die Bemerkungen zum "Weltjudentum" - hier liegt Hermann Heidegger nicht ganz falsch - sich zwischen antisemitischer Verschwörungstheorie und einem Pappkameraden "Judentum" hin und her bewegen, der mehr Chiffre für ein Denkproblem als Abbild des rassenideologischen Antisemitismus ist. Wenn man dann weiß, dass Heidegger seit Beginn seiner Vorlesungen solche Pappkameraden verwendet hat, bekommt die Sache einen etwas anderen Drall.

Das entschuldigt ihn keineswegs (wie Ideologien wie Wolin, Kellerer oder Faye immer wieder behaupten), aber es zieht eben dort Differenzen ein, wo ein Ideologiekritiker einfache Bestätigungen seiner einfachen Unterstellung sehen will. Denn wenn man im ideologiekritischen Bestätigungsfehler (Stichwort: Jargon der Eigentlichkeit) alles als Bestätigung der Gegenthese - "Heidegger war Antisemit. Punkt." - liest, tut man der eigenen Kritik keinen Gefallen. Hier hätte ich mir eine differenziertere Auseinandersetzung gewünscht, wie sie ja dank Luca Di Blasi, Peter Trawny oder Donatella Di Cesare vorliegt.

Auch die bissige Bemerkung gegen den "geneigten Leser", dem der "kritische Leser" gegenübergestellt wird, bleibt etwas unklar - denn natürlich muss man einen Autor erst einmal verstehen, bevor man ihn kritisiert (sonst landet man eben im Bestätigungsfehler der Ideologiekritik) - und umgekehrt kann man nicht von Vorneherein den Autor von jeder Schuld freisprechen. Ich empfehle dann immer, den Umstand zu bedenken, dass man ein und denselben Text aus mehreren Perspektiven lesen und die dann vergleichen kann. Das ist meistens klüger und übrigens auch produktiver, als sich auf ein false dilemma von "zustimmend" vs. "ablehnend" einzulassen.

Unangenehm für die - wie gesagt - ansonsten durchgängig zustimmungswürdige Kritik ist, dass sie denselben Fehlschluss wie Hermann Heidegger im Negativen wiederholt: apology bzw. guilt by association. Denn genausowenig, wie der Umstand, dass man jüdische Freunde hat, einen vom Vorwurf des Antisemitismus entlastet (weil es keinen kausalen Zusammenhang geben muss zwischen dem einen und dem anderen), ist es überzeugend, fortlaufend die rechten Postillen zu erwähnen, in denen Hermann Heidegger seine Meinung veröffentlicht. Man wiederholt den Argumentationsfehler des Gegners - und stellt damit die "kontra" gerichtete Ideologiekritik mehr aus, als das eigene bessere sachliche Argument.

Der letzte Satz verrät dann leider das gesamte sachliche Argument mit einem Streich - wenn man nämlich, die eigene moralische These a priori gesetzt, alle, die eine gegenläufige These vertreten, zu umfangreicher Abbitte verpflichten will. Das versteht nicht, dass die Verantwortungsübernahme, die hier gefordert wird, bereits durch die Nennung des Gastautors stattgefunden hat - und verrät zudem den latenten Wunsch, solche Meinungen gar nicht mehr zu Wort kommen zu lassen. Genau das widerspricht dann aber genau der Stärke dieser Kritik - denn sie ist nur möglich und kann als solche wertvoll sein, WEIL die Meinung Hermann Heideggers veröffentlicht wurde. Wer den Gegendiskurs um jeden Preis stillstellen will, macht sich zudem selbst jenes totalitären Denkens verdächtig, das er damit eigentlich kritisieren will (das ist eben die Crux einer Ideologiekritik, die z. B. Adorno nie ganz eingeleuchtet hat).

Das nächste Mal würde ich etwas weniger mit Unterstellungen und mehr mit dem gegebenen Textbefund arbeiten. Mich hat schon das Argument gegen Hermann Heideggers Apologie-Fehlschluss und sein LTI-Vokabular in diesem Kontext überzeugt - man muss dieses überzeugende Argument nicht durch eigene Fehlschlüsse schwächen.