Leserbriefe zur Rezension

Legende vom Glück ohne Ende

Kalifornische Ideologie in Pixars Animationsfilm „Alles steht Kopf“

Von Nils Demetry


Jan F. schrieb uns am 09.12.2015
Thema: Nils Demetry: Legende vom Glück ohne Ende

Beim Lesen deines Textes und der abschließend gestellte Frage der Anforderungen in der heutigen – und im Film erzählten – Zeit fiel mir der soziologische Begriff der „reflexiven Moderne“ nach Beck und Giddens ein.

Durch den Umzug und die neue Jobsituation für Rileys Vater sieht sich die ganze Familie dem „embedding“ ausgesetzt: also dem Wegfall normativer Parameter wie den Erfolgssymbolen Einkommen, Karriere und Status. Für Rileys besonders weitreichend ist außerdem der Verlust des sozialen Umfelds. Auf die Entfernung reißt der Kontakt zu ihrer besten Freundin dann auch schließlich ganz ab.  

Interessant finde ich dann, wie Beck in Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne quasi auf deine Frage seinerseits mit Gegenfragen schließt.

Wegen der permanenten Risiken für das Individuum stellt er nämlich plakativ die Frage nach dem Subjektsein in einem neuen und labil geschichteten Kontext: „Die Konse- quenz ist, daß die Menschen immer nachdrücklicher in das Labyrinth der Selbstverunsicherung, Selbstbefragung und Selbstvergewisserung hineingeraten. Der (unendliche) Regreß der Fragen: ‚Bin ich wirklich glücklich?‘, ‚Bin ich wirklich selbsterfüllt?‘, ‚Wer ist das eigentlich, der hier ‚ich‘ sagt und fragt?‘“

Ob man jetzt einverstanden ist mit den sich stellenden Anforderungen, ist kein relevanter Gedanke nach Beck: „Die Entscheidungen über Ausbildung, Beruf, Arbeitsplatz, Wohnort, Ehepartner, Kinderzahl usw. mit all ihren Unterunterentscheidungen können nicht nur, sondern müssen getroffen werden.“

Was heißt das jetzt für Riley? Sie findet ja schließlich – auch in der Tradition typischer Coming-of-Age-Stories – ihr persönliches Glück: sie spielt wieder Eishockey, lernt dort einen Jungen kennen und ihre Eltern finden endlich Zeit, sie anzufeuern – ich hoffe, meine Erinnerung trügt nicht. Vielleicht ist die Schlussszene nicht mehr als eine dramaturgische Momentaufnahme, im Kontext des Genres aber sicher das Bild des Aufbruchs in eine bessere Zeit.

Wie die Entwicklung der ökonomischen Familiensituation aussehen wird, bleibt konkret unbeantwortet, meine ich. Ein gutes Zeichen ist vielleicht, dass der Vater Zeit und Muße besitzt, zum Eishockeyspiel seiner Tochter zu gehen.

Kleiner Gedanke noch zu deiner aufgeworfenen Frage der (unbewussten) sexuellen Orientierung Rileys: Ist nicht auch heute noch das Eishockeyspielen in weißen heterosexuellen Gesellschaften wie der nordamerikanischen ein vermehrt männlich kodierter Sport?