Leserbriefe zur Rezension

Die 500-Jahr-Feier der Reformation hat einen Haken

Martin Luther, der Begründer des Protestantismus, war Antisemit

Von Jan Süselbeck


Markus Heitkämper schrieb uns am 26.01.2017
Thema: Jan Süselbeck: Die 500-Jahr-Feier der Reformation hat einen Haken

Sehr geehrter Herr Dr. Süselbeck,

haben Sie ganz herzlichen Dank für Ihren jüngsten Beitrag in „literaturkritik.de“!
Endlich wird, frei von küchenpsychologischer Apologetik, die Frage nach den theologischen Grundlagen der Judenfeindschaft Luthers in größerem Rahmen aufgeworfen.
Dies taten bislang leider nur sehr Wenige, etwa von der Osten-Sacken oder Klaus Wengst - einer meiner theologischen Lehrer.

Noch einmal: Chapeau / Kol HaKawod!

Ihr
Pfarrer Markus Heitkämper, Pfarrer, Ev. Vorsitzender der Essener GCJZ


Tanja Dückers schrieb uns am 01.02.2017
Thema: Jan Süselbeck: Die 500-Jahr-Feier der Reformation hat einen Haken

Jan Süselbecks profunden Beitrag "Die 500-Jahr-Feier der Reformation hat ihren Haken. Martin Luther, der Begründer des Protestantismus, war Antisemit“ habe ich mit großem Interesse gelesen.
Ich habe viel dadurch gelernt. Dass Luther sich derart drastisch geäußert hat („Pestilenz“ etc.) hatte ich nicht gewusst, auch war mir das Ausmaß seiner Vorläuferschaft für den stärker biologisch verankerten Judenhass ab Ende des 19. Jahrhunderts nicht bekannt. Auch die Idee der Kontrastbetonung ist als soziologisch sehr interessant, nicht nur in Bezug auf Luthers Haltung gegenüber den Juden. Mir haben auch die deutlichen Worte gegenüber der Katholischen Kirche im zweiten Absatz sehr gefallen.
Mich hat damals sehr aufgeregt, wie die Kath. Kirche versucht hat, den Missbrauchsskandal zu vertuschen - im Jahr 2001 hatte Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation die aus den Bistümern bekannt werdenden Missbrauchsfälle flugs unter das Secretum Pontificium gestellt, also unter strengste Geheimhaltung, weil er den Ruf der Kirche fürchtete. Immer war dieser Ruf wichtiger als der einzelne Mensch, als die vielen betroffenen Menschen ... unglaublich dieses Kirchensonderrecht, auch dass des Missbrauchs überführte Priester einfach nur irgendwo anders hin anderswo hin versetzt wurden - habe damals (2010) einen Beitrag für die ZEIT Online geschrieben, dem viele Kommentare folgten, in denen die Kirche auch noch verteidigt wurde.
Ich war zu dem Zeitpunkt schon aus der Kath. Kirche ausgetreten (mein Vater stammt aus dem Rheinland, daher bin ich als in Berlinerin katholisch gewesen - dort gehört man einer nur 5 % der Bevölkerung umfassenden Minderheit an), aber ich freute mich über die Austrittswelle, die der Offenlegung des Skandals folgte. Leider stelle ich doch bei vielen Leuten fest, dass sie in dem Moment, in dem sie Kinder bekommen, plötzlich anfangen, diese taufen zu lassen und  eine familienduselige, im Grunde angstgesteuerte (mein Nest…) Rückkehr zur Kirche an den Tag legen. Unser Sohn hat kein Problem damit zu sagen: „Die Uroma ist unter der Erde“. Wertfrei wächst man deshalb noch lange nicht auf.
Die am meisten verfolgte Gruppe „aus religiösen Gründen“ ist weltweit nicht die der Christen, sondern die der Atheisten (hierzu ein Beitrag von mir aus dem Deutschlandradio). Ich selber habe eine Schwäche für Mariendarstellungen, Gedichte von Hildegard von Bingen, Orgelmusik und Anderes (Kirchenfenster) - manches, insbesondere dem Bereich der Ästhetik Zuzuordnendes, ist doch geblieben, nach dem Austritt. Aber ich würde nicht mehr Mitglied der Katholischen Kirche sein wollen.


Dietz Bering schrieb uns am 02.02.2017
Thema: Jan Süselbeck: Die 500-Jahr-Feier der Reformation hat einen Haken

Werter Herr Süselbeck,

gerade habe ich Ihre ausführliche Rezension über mein Luther-Buch gelesen. Ich will mich für sie herzlich bedanken - auch, wenn Sie ja nicht in allen Punkte zustimmen können. Aber, von den bisher erschienenen Besprechungen ist die Ihre doch die gehaltvollste und ernsthafteste. Meine Grundthese  ist ja so neuartig, kommt aus so unverhofftem Winkel, dass sie den meisten nur als abwegig erschienen ist. Ich dagegen bleibe mit aller Entschiedenheit bei meiner Grundthese von einer völkerpsychologischen Verwandtschaft zwischen Juden und Deutschen, insbesondere zwischen Juden und dem  Protestantismus. Ich vertrete das ja schon seit 1982 - nur der Begriff der "Kontrastbetonung" ist neu.
Es gibt übrigens eine neues, beachtenswertes Zeugnis für meine These. Ich schreibe es Ihnen hier hin, damit sie gewappnet sind, falls ganz Radikale auf Sie zukommen mit dem Vorwurf, glatten Unsinn hätten Sie für erwägenswert gehalten. Also Lyndal Roper schreibt in ihrer nun wirklich volltönend gerühmten Luther-Biographie:
"Trotz seines Hasses gab es aber einige Aspekte in Luthers Theologie, die dem Judaismus sehr nahe waren, und viel-leicht war es gerade diese Nähe, die diese Gewalt in seinen Angriffen entfesselte." (S. 503) Und noch dezidierter in einem mehrseitigen Interview in der ZEIT:
Frage:  "Warum dieser Hass?" Antwort: "Er mag in der Nähe, in den Ähnlichkeiten mit dem Judentum begründet sein: Auch Luther lehnte ein Nachdenken über das Leben nach dem Tode ab; auch Luther betonte, wie entscheidend es sei, die Bibel zu lesen; auch Luther betonte die Natürlichkeit des sexuellen Lebens. Er wollte der bessere Jude sein, die Auserwähltheit auf seine Seite bringen. Das ist die furchtbare Linie in der Tradition des Protestantismus." Ich kann nur staunen!

Dass Sie deutlich sagen, ich setze mit der Kontrastbetonung ein universales Prinzip an, ist mir natürlich besonders willkommen, denn bisher ist mir ja angedichtet worden, ich interpretierte Luther pur nach der deutsch-jüdischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Eben diese kann allerdings mit Hilfe des neuen Begriffs der Kontrastbetonung auch widerspruchsfreier erklärt werden: Man muss die deutliche Verwandtschaft jüdischen und deutschen Art  nicht mehr leugnen oder als Irrtum hinstellen (wie Scholem und seine Anhänger), sondern kann konzedieren: Es existierte wirklich ein Irrtum, aber nicht einer über die faktisch gegebene Verwandtschaft, sondern darüber, dass aus eben dieser doch wohl Gutes und auf keinen Fall mörderische Abwehr entstehen könne.  

Haben Sie Dank, dass Sie sich mir so ausführlich zugewandt haben. Dass dieser "wir-Stil" passee ist -  mir eine Neuigkeit, aber es kann ganz gut sein. Er mag noch aus der Zeit stammen, als die Universitäten nicht dazu abgestellt waren, die Studenten zu einer gut funktionierenden Ich-AG auszubilden und eben gemeinschaftliche Bildung hintanzustellen. Da macht sich eben doch mein Alter bemerkbar. Jedenfalls: Danke für den Tipp; ich will mir das  für die Zukunft noch einmal durch den Kopf gehen lassen.  
Mit bestem Gruß
Dietz Bering
Universität zu Köln
Institut für deutsche Sprache und Literatur I.
e-mail: dietz.bering@uni-koeln.de