Leserbriefe zur Rezension

"Bravouröse" Wissenschaft?

Plagiatorisches und andere Peinlichkeiten in Willi Jaspers Buch zur deutsch-jüdischen Literaturgeschichte

Von Hans Otto Horch


Willi Jasper schrieb uns am 03.06.2004
Thema: Hans Otto Horch: "Bravouröse" Wissenschaft?

Ein „illegales“ Buch ?
Eine Antwort an Hans-Otto Horch

„Steif wie eine lateinische Deklination schreitet die deutsche Gelehrsamkeit einher und fällt jedes Mal zu Boden, sooft sie wagt, ein Kompliment zu machen.“ (Ludwig Börne)

Die Juni-Ausgabe der Internetzeitschrift literaturkritik.de  hat meinem Buch Deutsch-jüdischer Parnass eine Doppelkritik gewidmet, die unterschiedlicher nicht hätte sein können. Während Ursula Homann wohlwollend „ein faszinierendes Kapitel der Literaturgeschichte“ erkennt, erregt sich Hans-Otto Horch über „Plagiatorisches und andere Peinlichkeiten“.
Normalerweise könnte man sich als Autor dankbar zurücklehnen, da Pro und Contra die Diskussion und das Geschäft beleben. Doch das Thema des Buches und die ungewöhnliche Agressivität  der von Horch geführten Polemik (die Denunziation des „Plagiatorischen“ steigert sich bis hin zum Vorwurf des „Illegalen“) verlangen eine Replik.

Zu der so heftig monierten „plagiatorischen Arbeitsweise“ rechnet Horch an erster Stelle meine „geradezu schamlose Selbstbedienung aus bereits veröffentlichten eigenen Arbeiten“, die er mit einer für Geisteswissenschaftler erstaunlichen mathematischen Genauigkeit der Zeilenerfassung (bis auf Dezimalstellen hinter das Komma) registriert hat. In der Tat habe ich mich bemüht, Einzelaspekte meiner bisherigen Arbeiten über deutsch-jüdische Literaturbeziehungen hier in einen gemeinsamen Zusammenhang zu stellen. Ein solches Vorgehen verlangt größere gedankliche Anstrengungen als das zunftübliche Verfahren, einzelne Aufsätze unverbunden und unkommentiert zwischen die Pappdeckel eines „Sammelbandes“ zu packen.

Dort, wo es um den Vorwurf der „Aneignung geistigen Eigentums anderer Autoren“ geht – werden die „Belege“ deutlich abstrakter. Horch nennt  zehn Textkonstellationen, die er als  „Paraphrasierung“ oder Übernahme des „Duktus“ fremder Autoren  zu denunzieren versucht. In neun dieser Fälle finden sich nicht nur in meinem Text explizite namentliche Hinweise auf  jene Autoren, deren Werk im abgehandelten Kontext von Bedeutung sind  (und die auch im Register wiedergegeben sind), sondern auch entsprechende Zitat- Anmerkungen. Insgesamt –hier habe ich auch einmal gezählt – gibt es in meinem Buch immerhin 682 Anmerkungen mit nachgewiesenen Zitaten. In der Einleitung allerdings existiert tatsächlich eine von Horch detektivisch ausgespürte Passage , die nicht als Zitat kenntlich gemacht ist. Das ist bedauerlich und erklärt sich vermutlich aus der Tatsache, dass die Einleitung aus stilistischen Gründen generell auf Anmerkungen verzichtet. Da mir die Empfindlichkeit gewisser Zunftrepräsentanten bekannt ist, habe ich mich aber  bemüht, den „Forschungsstand“ möglichst vollständig zu dokumentieren.  Offensichtlich fehlt in den Anmerkungen und in der Literaturliste auch kaum ein wichtiges Werk – denn das wäre von Horch ganz sicher moniert worden. Allerdings teile ich vor allem im Hinblick auf  sogenannte „Sekundärliteratur“ die  Zweifel von Roland Barthes und Michel Foucault an der „Existenz unverwechselbarer, abgeschlossener der individuellen Sprachkraft ihrer Verfasser entsprungenen Werke“.

Grundsätzlich  muß unterstrichen werden, dass meine Publikation nicht für den engen Kreis der Fachgelehrten und entsprechender selbstreferentieller  Zitierkartelle geschrieben ist, sondern sich bewusst an den Lese- und Informationsbedürfnissen einer breiteren Öffentlichkeit orientiert. Horch nennt das „klischeehaft  und oberflächlich“ und will „(bestenfalls) eine populäre journalistische Einführung in das Thema“ zugestehen. Nun, mit dem Etikett „populär“ können der Autor, geneigte Leser und objektive Rezensenten gut leben.

Vor kurzem konstatierte Achatz von Müller in einem vielbeachteten ZEIT - Artikel: „Die Geisteswissenschaften sind nutzlos. Und sie schämen sich dafür.“ Auch Horch scheint nicht den philosophischen Narzismus eines Pierre Bourdieu zu teilen, der geisteswissenschaftliche Nutzlosigkeit für gesellschaftlich nützlich hielt.  Als Geisteswissenschaftler, dessen Fach sich in einer besonderen Krise befindet , schämt auch Horch sich offensichtlich für eine „entsprechende Alimentierung durch den Staat“. Ein wesentlicher Teil dieser „Alimentierung“ fließt bekanntlich in Form von Druckkostenzuschüssen in unverkäufliche Drittmittelprojektpublikationen. Mein Buch hingegen ist ein Versuch, aus dem alimentierten Elfenbeinturm auszubrechen. Man sollte das begrüßen und nicht befehden.

Wenn Horch den Propyläen-Verlag gleichzeitig schriftlich vor einer weiteren „Promotion“ meines Buches warnt und Briefe an den Rektor der Universität Potsdam und andere Institutionen ankündigt, dann steckt hinter seiner Erregung offensichtlich mehr als die bei germanistischen Stubengelehrten übliche Missgunst und das  für die Geisteswissenschaft typische Konkurrenzritual. Es riecht förmlich nach einer kampagnenartigen Parteinahme in einer innerinstitutionellen Auseinandersetzung, über die anderer Stelle informiert werden muß.  

Inhaltlich geht es ihm – so scheint es - vor allem um ein Zensuranliegen gegenüber dem „lacrimosen Ton“, den er aus meinen Büchern „seit langem“ kennt und den ich jetzt im Deutsch-jüdischen Parnass „erneut und lautstark“ anstimme, während die „internationale Forschung der jüdischen Geschichte und Kultur“ sich davon abzuwenden beginne. Dabei ist der Hauptgegenstand seiner Attacke nicht der Inhalt des Buches, sondern Formulierungen des Klappentextes, die nicht von mir stammen. So wird mir unterstellt, mit meinem „Mythos-Begriff“ Gershom Scholems These von der „Einbahnstraße“ als „entgültiges Siegel“ zu benutzen. Auch wenn ich ungern andere Entlastungszeugen anführe, möchte ich doch erwähnen, dass objektivere  Rezensenten zu ganz anderen Wertungen als Horch kommen:

„ Langweilig wird es auch deshalb nicht, weil Jasper ein  spürbares Interesse an der erzählten Geschichte hat. Es geht ihm nämlich auch um eine `Gegengeschichte´, die sich weder Gershom Scholems Verdikt, es habe nie ein deutsch-jüdisches Gespräch gegeben, noch dem neuen, merkwürdigen Shoah-Romantizismus, der sich am liebsten mit toten Juden beschäftigt, an den Hals wirft... Jasper erliegt nicht der Gefahr, Termini zu verwenden, die die Phänomene einschränken und damit zu einer Eindeutigkeit führen, die sie nie besaßen.“ (Thomas Meyer)

Horch, der sich bei seiner Fahndung nach „Plagiat“-Zeilen als pedantischer Erbsenzähler erweist, ist bei der inhaltlichen Auseinandersetzung nicht so genau. So polemisiert er zum Beispiel gegen  eine Kapitelüberschrift „Text im Territorium“, die in Wirklichkeit „Text und Territorium“ heißt.  Obwohl ich Einzelschriften von Horch, wie seine Studie „Die Literaturkritik der `Allgemeinen Zeitung des Judentums´“ mit Gewinn gelesen habe und auch in meinem Buch – wie er es nennt - „paraphrasierend“ zitiere, sind mir sein eigentliches Forschungsinteresse an der deutsch-jüdischen Geschichtsproblematik und entsprechende Schlußfolgerungen unklar geblieben.  Das scheint er selbst zu ahnen, wenn er die Notwendigkeit des „Grübelns“ über die Ergebnisse seiner „mindestens zwei Jahrzehnte intensiver Forschung zur deutsch-jüdischen Literaturgeschichte“ anspricht. Sein heftiger Einwand gegen meinen „lacrimosen Ton“ in der Beschreibung deutsch-jüdischer Geschichtsproblematik klingt wie ein Plädoyer für die ersehnte Normalität des Rückblicks. Seine in der Form mit Furor vorgetragene Kritik reduziert sich inhaltlich auf eine nichtsagende, scheinbar unideologische Blässe: „Jasper erkennt nicht, dass die große Leistung moderner deutsch-jüdischer Autoren gerade in ihrem Beharren auf einer zweifellos nicht konfliktfreien Interkulturalität besteht; stattdessen wird dieses `Zwischen´ meist negativ als existentielle Indentitätsproblematik gedeutet und als Unglück, nicht als Chance gewertet – ganz abgesehen davon, dass generell nie von ein eindeutiger `Identität´ die Rede sein kann, es sei denn, man verkürzt die Argumentation auf pure Ideologie.“  

Als Aachener Germanist und Schüler Schwerte/Schneiders  sollten Horchs Ohren sensibilisiert bleiben für den „lacrimosen Ton“. Auch die Verdrängungsgeschichte der Germanistik wurde alimentiert. Das zu vergessen wäre unmoralisch


Prof. Dr. Andreas Kilcher schrieb uns am 21.06.2004
Thema: Hans Otto Horch: "Bravouröse" Wissenschaft?

Leserbrief zu Willi Jaspers Deutsch-jüdischer Parnass und seiner Replik auf Hans Otto Horchs Rezension

Von Andreas Kilcher

In seiner Antwort auf Hans Otto Horchs Kritik seiner Geschichte der deutsch-jüdischen Literatur bemüht Jasper den klischeehaften Antagonismus von steifer, deutscher Gelehrsamkeit und genialischer Essayistik, von philologischer Pedanterie und freiem, publizistischem Schreiben. Jaspers Antwort auf den nicht gerade harmlosen Vorwurf des Plagiats gibt sich damit offensichtlich als eine Flucht nach vorn, indem er in der Einforderung von philologischer Redlichkeit den Muff von „alimentierter“ akademischer Elfenbeingelehrsamkeit sieht und dagegen (Börne und Foucault bemühend) eine publizistische, populär breit wirksame und gut verkäufliche (nämlich nicht mehr alimentierungsbedürftige) Vermittlung von Wissen stellt, in der Anführungszeichen und Fußnoten offensichtlich ebenso belanglos sind wie der Verweis darauf, daß man nicht alles selber erfunden hat, unelegant ist.

Nichts gegen Populärwissenschaft und ihren Anspruch auf Vermittlung von Fachwissen, und nichts dagegen, daß Jasper es vorzieht, als Publizist, und nicht als Universitätslehrer zu schreiben, wie er in seiner Antwort auf Horch in aller Klarheit deutlich macht. Nur hätte Jasper dann von seinem Buch nicht behaupten dürfen, die erste „wissenschaftlich fundierte Gesamtdarstellung der deutsch-jüdischen Literaturgeschichte“ vorzulegen. Aber nicht nur daran gemessen ist Horchs kritische Lektüre gerechtfertigt. Denn gerade wenn Jasper diesen wissenschaftlichen Anspruch in seiner Antwort an Horch zurücknimmt, mehr noch: ihn geradezu ideologisch demontiert, wird doch nur klar, daß Populärwissenschaft nicht dergestalt auf Kosten von Wissenschaftlichkeit gehen und sich schon gar nicht, wie es Jasper tut, geradezu polemisch gegen die Spielregeln der wissenschaftlichen Gemeinschaft stellen kann. Damit diskreditiert sie sich doch nur und der Eindruck, daß man mit Jaspers Buch nicht zufrieden sein kann, verstärkt sich unweigerlich. Eine solche Haltung ist denjenigen um so schmerzlicher, denen das Thema, nämlich die deutsch-jüdische Literatur, wirklich am Herzen liegt.


Moritz Reininghaus schrieb uns am 22.06.2004
Thema: Hans Otto Horch: "Bravouröse" Wissenschaft?

Hausfriedensbruch im Elfenbeinturm

Zu Aachen langweilen sich auf der Straß'
Die Hunde, sie flehn untertänig:
„Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird
Vielleicht uns zerstreuen ein wenig.“
(Heinrich Heine)

Hans Otto Horch hat vollkommen Recht, wenn er Jaspers These, der „Deutsch-jüdische Parnass“ schließe eine Forschungslücke, in Zweifel zieht. Das Problem ist nicht, dass es bislang keine Literatur zu diesem Thema gäbe, sondern, dass diese niemand lesen will. Nimmt man Hans J. Schütz’ Überblickswerk einmal aus, dann stößt man hauptsächlich auf Versuche, dem Phänomen der deutsch-jüdischen Literatur auf definitorischen Schleichwegen beizukommen. Jasper hat dies zu umgehen versucht – und es ist ihm gelungen. Dass ihm bei diesem Unterfangen keine Fehler unterlaufen seien, wäre vermessen zu behaupten. Sein größter Fehler war aber offenbar, überhaupt auf die tatsächlich schon seit längerem vor sich hin gärende, rein selbstreferentielle Scheindiskussion germanistischer Provenienz vom Schlages Horchs eingegangen zu sein. Wenn Jasper Horch hin und wieder lediglich paraphrasiert, dann zeigt dies, wie wenig er mit dessen Ansatz im Grunde am Hut hat. Statt Zeilen und Fußnoten zu zählen, hätte Horch besser Jaspers Versuch ernst nehmen sollen, eine – zugegeben teilweise lückenhafte – Gesamtdarstellung der deutsch-jüdischen Literaturgeschichte zu liefern. Wobei Jasper selbst keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Vielmehr wollte er einzelne Aspekte zu einem Netz verknüpfen und so Querverbindungen herstellen, die in den bisherigen Einzeldarstellungen zwangsläufig fehlen.
Verlässt man aber das Gebiet der Polemik für einen kurzen Augenblick, bleibt die Frage, was Horch zu einer derart maßlosen Ereiferung an wenig exponiertem Ort veranlasste. Gekränkte Eitelkeit, dass es einem „Kollegen“ gelungen ist, zuerst die mit Sehnsucht erwartete mehr oder weniger „vollständige“ Gesamtdarstellung über das Thema zu geben? Wohl kaum – kann doch das eher populärwissenschaftlich angedachte Werk einem auf die „Wissenschaftlichkeit“ fixierten Germanisten eigentlich kaum an die Nieren gehen.
Der von Horch geäußerte Vorwurf des Plagiats ist allerdings schwerwiegend und genauer zu prüfen, wurde vorerst aber von Jasper selbst hinreichend kommentiert und scheint außerdem nicht sonderlich stichhaltig. Betrachtet man Horchs Anschuldigungen genauer, reduzieren sie sich darauf, Jasper habe nicht korrekt zitiert. Außerdem stünde es dem Leser jederzeit frei, sich selbst bei den von Jasper in großem Maß angeführten Autoren zu informieren - wenn er denn Lust dazu hätte.
Natürlich ist Horch beizupflichten, wenn er das auch in renommierten Verlagen zunehmend schlampige Lektorat und den ausufernden Gebrauch der rechten Maustaste kritisiert. Dass er seinen Unmut über diesen Missstand aber ausgerechnet an Jasper exemplarisch auslässt, zeigt, dass es hier nicht um Kritik an der Wissenschaftlichkeit eines Buches, sondern um die systematische Demontage eines Wissenschaftlers geht: Spätestens seit seinem Buch über „Faust und die Deutschen“ gilt Jasper als Nestbeschmutzer der gesamten Germanistenzunft und durch seine Parteinahme für Klaus Briegleb im Zusammenhang mit dessen Buch über den Antisemitismus der Gruppe 47 stand das vernichtende Urteil wohl endgültig fest. Dass Jasper gerade mit seinem unermüdlichen Hinweis auf den Januskopf der deutschen Literaturwissenschaft, den SS-Germanisten und langjährigen Aachener Germanistikprofessor Schneider/Schwerte, bei dessen Schüler und Nachfolger Horch auf wenig Gegenliebe stößt, ist verständlich.
Wenn Horch sich allerdings schon auf die akademische Tradition beruft, dann sei hier angefügt, dass es innerhalb dieser nicht nur unüblich ist, nicht ausgewiesen zu zitieren, sondern auch an der Fakultät, an der man sich habilitierte, einen Lehrstuhl zu bekommen.
Wenn sein Zorn verflogen ist, wird Hans Otto Horch einsehen müssen, dass Jaspers Projekt – trotz seiner Mängel, über die in Ruhe zu reden nötig wäre – geglückt ist. Wollte er seine Leser doch aus seiner subjektiven Perspektive heraus dazu anregen, in die Diskussion einzusteigen und damit den literarischen deutsch-jüdischen Diskurs am Leben zu erhalten und sich eben nicht mit den (zweifellos gerechtfertigten und notwendigen) definitorischen Diskussionen zu begnügen, unter denen Autoren und ihre Texte bislang zu ersticken drohten.
Entgegen der deutschen akademischen Tradition ergreift Jasper in diesem Zusammenhang klar Partei für und gegen bestimmte Persönlichkeiten und scheut sich zugleich nicht, gefährliche oder auch nur bedenkliche Tendenzen in der Geschichte beim Namen zu nennen. Dass dies den ungerechten Zorn eines Germanisten erregt, ehrt Jasper und beweist zugleich, wie wichtig sein Anliegen ist.