Leserbriefe zur Rezension

Trotzdem lachen, schwer gemacht

Jörg Räwels Systemtheorie des Humors stimmt nicht auf Anhieb heiter

Von Friedrich W. Block


Jörg Räwel schrieb uns am 18.08.2005
Thema: Friedrich W. Block: Trotzdem lachen, schwer gemacht

Sehr geehrter Herr Block

Ist doch schön, wenn in den Zeiten des Internets der Kritiker auch recht einfach mit einer Kritik des Kritisierten bedacht werden kann - oder? - Man sieht es immer wieder: die moderne Gesellschaft hat auf Beobachtungen zweiter Ordnung umgestellt.

Nun ja, der Kritiker beginnt seine Kritik mit dem Kritikerstereotyp, dass bestimmte Literatur nicht berücksichtigt wurde, was, Schockschwerenot, zur Verärgerung führt: gerade nämlich die präferierte des Kritikers wurde nicht berücksichtigt! - Sei's drum (Präferenzen sind immer gefährdet idiosynkratisch zu sein). - Wenig später erkennt dann ja auch der Kritiker, dass sich der kritisierte Text innerhalb eines anderen (um mit Kuhn zu sprechen: gar inkommensurablen?) Paradigmas bewegt, als die traditionellen Theorien, der Text sich also an der "Genialität seines Meisters" zu messen hat - oder nüchterner ausgedrückt: sich der Text am Paradigma der Systemtheorie orientiert und dementsprechend in Bezug auf dieses Paradigma zu analysieren ist. (Nebenbei bemerkt: Der "Meister" ist ja zeitlebens mit ähnlicher Kritik bedacht worden: dass er traditionelle, dann eben "alt-europäische" (Luhmann!) (Handlungs-)Theorien ob der Überheblichkeit seine "Supertheorie" ablehnt. - Deshalb wohl des Kritikers Bezug auf Luhmann in hilfloser Anführungsstrich-Ironie)

Und hier nun fängt das Dilemma an. Der Kritiker müsste für eine fundierte Kritik ein Kenner der Luhmann'schen Systemtheorie sein. Ist er aber nicht. Wo Kenntnis nicht ist, behilft er sich denn - nun ja: unbeholfen, in verärgernder Überheblichkeit – mit Pauschalurteilen: die Theorie wird "nachbuchstabiert", Humor in vorhandene Theorie "eingepasst". Das offenbart nicht nur Unkenntnis der Luhmann'schen Systemtheorie, sondern, allgemeiner, bezogen auf Wissenschaftstheorie, auch Unkenntnis in der Methodologie der Theorienkonstruktion. Mit ähnlicher überheblicher Pauschalität würde sich die gesamte moderne theoretische Physik makroskopischer Entitäten auch als ein "Nachbuchstabieren" der allgemeine Relativitätstheorie eines "Meister Einstein" abqualifizieren lassen; auch hier würde es dann nur um ein „Einpassen“ von Sachverhalten in vorhandene Theorie gehen. - Doch auch in Unkenntnis des systemtheoretischen Paradigmas (aber zumindest Kenntnis der alternativen Ansätze) hätte der Kritiker beispielsweise wissen können, dass die "intensiv untersuchten Sachformen" Ironie, Sarkasmus und Zynismus zuvor noch nicht derart eng (innerhalb einer Kommunikationstheorie) aufeinander bezogen wurden; vielmehr Ironie und Sarkasmus konventioneller Weise oft als Synonyme verstanden werden.

Ein Rätsel bleibt dann allerdings die – ganz unbegründete - Behauptung des Kritikers, dass Varianz und Reflexivität (vom Kritisierten als zentrale
Begriffe des Humors eingeführt) gewissermassen als Abklatsch der Inkongruenztheorie zu gelten haben. Auch hier hätte man, wieder ganz ohne Kenntnis der Systemtheorie, zumindest sehen können, das die Begriffe "Inkongruenz" und "Varietät" in Ihrer Semantik - na ja: gewissermassen inkongruent sind?

Hätte sich der Kritiker, angesichts eklatanter Unkenntnis der Hintergrundtheorie, des Luhmann'schen Paradigmas, dann nicht, als einer Strategie, möglichst eng an den rezipierten Text halten, diesen möglichst genau lesen müssen? - Ja, eine mögliche Strategie, die hier allerdings - leider - nicht zur Anwendung gekommen ist. Denn ob "Reflexivität" Humor, wie der Kritiker nachfragt, tatsächlich von anderen Medien abgrenzt, oder wie es um das Verhältnis von Humor und Kunst bestellt ist, ist im kritisierten Text in zwei Kapiteln ausführlich, aber offensichtlich vom Kritiker unbemerkt diskutiert worden (Kap. 3.3.1 "Funktion"; Kap. 3.4.2 "Kunst/Humor/Moral"). Auch mit dem kritischen Einwand, dass es fragwürdig ist, Ironie, Sarkasmus und Zynismus als Sachformen dem Humor unterzuordnen, werden Türen eingerannt, die schon weit offen stehen. Schliesslich wurde Sarkasmus ganz explizit (vgl. Kap. 3.3.5 "Sachformen des Humors" - Ironie/Sarkasmus/Zynismus) eher dem Kommunikationsmedium der "Wertbeziehungen", also moralischer Kommunikation untergeordnet; die Ironie der Romantik wurde im gleichen Kapitel in die Nähe von religiöser Kommunikation gerückt.

Das die Bedeutung des Lachens als "symbiotisches Symbol" nicht erfasst wurde, zeugt einmal mehr von der ärgerlichen Unkenntnis systemtheoretischer Konstrukte. Der Kritiker schreibt: "Widersprüchlich, zumindest höchst kontraintuitiv ist auch die Konzeption des Lachens: Dieses müsse latent bleiben, sonst scheitere die Humor-Kommunikation - wenn also gelacht wird, funktioniert der Humor gar nicht?" – Die Unsinnigkeit dieser Frage (die insbesondere davon zeugt, dass nicht verstanden wurde, was in diesem Zusammenhang mit der allgemein notwendigen Latenz symbiotischer Symbole gemeint ist) hätte man sich auch durch einen einfachen Analogieschluss ersparen können. Wenn physische Gewalt (in Bezug auf Macht) und Sexualität (in Bezug auf Liebe) als symbiotische Symbole verstanden werden: Würde das dann, gemäss des Kritikers, heissen: Macht funktioniert nicht mehr, wenn (wie etwa nun im Irak) physische Gewalt angewendet wird; oder: Liebe funktioniert nicht mehr, wenn gepoppt wird? - Zu sehen ist daran zumindest: Das Verhältnis der symbiotischen Symbole zu ihren je betreffenden Kommunikationsmedien ist ein weitaus komplizierteres, als in der naiven Frage des Kritikers zum Ausdruck kommt.

Als Künstler sollte dem Kritiker durchaus klar sein, dass die Charakterisierung der Beschreibung der kulturellen Entwicklung, der Evolution des Humor als "holzschnittartig" ironischerweise (da eben vom Kritiker durchaus nicht als Lob intendiert) sehr angemessen ist. Durch einen Holzschnitt wird, mit wenigen Linien, gerade das Charakteristische eines Phänomens bezeichnet - was bei der Rekonstruktion von langen Zeiträumen, bei einem historischen Abriss eben auch gar nicht anders möglich ist. - Schön wenn ein derartiger "Holzschnitt" hier gelungen ist.

Weit entfernt vom Gelingen einer fundierten kritischen Analyse des Texts, ist doch schade, das dem Kritiker, ob seiner Verärgerung, noch nicht einmal gelungen ist, eine polemische oder sarkastische Kritik, dann also wenigstens einen kritisch-satirischen Text, der aufgrund eines provokant-kreativen Potentials Interesse hervorgerufen hätte, zu produzieren. So bleibt bei und nach Lektüre nur ein fader Geschmack der Langeweile hängen.

Mit kollegialen Grüssen („Die schärfsten Kritiker der Elche …“)
Jörg Räwel

PS: Sie schreiben, dass ich "am Schluss der Arbeit" "Informationsgewinn durch mehr theoretische Anstrengung" eingefordert hätte. -- Faktisch steht geschrieben: "Da nun aber die Massstäbe und Kriterien, die vorgestellter theoretischer Perspektive zugrunde liegen, klar geworden sind, sollte von Fremdbeobachtungen mehr Informationsgewinn zu erwarten sein." (S. 241) -- Es ist mir, wenn auch traurige Genugtuung, dass Ihre schludrige Lektüre hier derart offensichtlich wird. Getäuscht habe ich mich in diesem Fall aber doch: Denn es ist offensichtlich, dass hier durch eine - Ihre "Fremdbeobachtung" offensichtlich kein sonderlich grosser Informationsgewinn erfolgt ist.