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31.5.2003 14:36
 

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Betreff Konzertierte Aktion von Intellektuellen: Habermas, Derrida, Rorty, Eco, Vattimo u.a.
Autor Thomas Anz
Datum 31.5.2003 14:36
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Der Initiative von Jürgen Habermas verdankt sich eine bislang wohl einzigartige Intervention von Intellektuellen gegen die Irak-Politik der USA und für die Erneuerung Europas nach dem Krieg. In sieben europäischen Zeitungen erscheinen am gleichen Tag Artikel von Jacques Derrida und Jürgen Habermas (sowohl in «Libération» als auch in der «Frankfurter Allgemeinen»), Umberto Eco in «La Repubblica», Gianni Vattimo in «La Stampa», Fernando Savater in «El País», Richard Rorty in der «Süddeutschen Zeitung» und Adolf Muschg in der NZZ.

Über das Internet zugänglich sind:

Jügen Habermas und Jaques Derrida in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (in Auszügen):

Unsere Erneuerung. Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas

Derrida in seiner Vorbemerkung: "Jürgen Habermas und mir liegt es am Herzen, diese Analyse, die zugleich ein Aufruf ist, gemeinsam zu unterzeichnen. Wir halten es heute für notwendig und dringend, daß ungeachtet der Auseinandersetzungen, die uns in der Vergangenheit getrennt haben mögen, deutsche und französische Philosophen ihre Stimme gemeinsam erheben. Dieser Text wurde - man wird es leicht erkennen - von Jürgen Habermas verfaßt. Ich selbst konnte aufgrund persönlicher Umstände keinen eigenen Text schreiben, obwohl ich es gerne getan hätte. Ich habe gleichwohl Jürgen Habermas vorgeschlagen, daß ich diesen Aufruf mit unterzeichne."

Aus dem von Habermas verfassten Aufruf: "Zwei Daten sollten wir nicht vergessen: nicht den Tag, an dem die Zeitungen ihren verblüfften Lesern von jener Loyalitätsbekundung gegenüber Bush Mitteilung machten, zu der der spanische Ministerpräsident die kriegswilligen europäischen Regierungen hinter dem Rücken der anderen EU-Kollegen eingeladen hatte; aber ebensowenig den 15. Februar 2003, als die demonstrierenden Massen in London und Rom, Madrid und Barcelona, Berlin und Paris auf diesen Handstreich reagierten. Die Gleichzeitigkeit dieser überwältigenden Demonstrationen - der größten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - könnte rückblickend als Signal für die Geburt einer europäischen Öffentlichkeit in die Geschichtsbücher eingehen."

Richard Rorty in der Süddeutschen Zeitung:

Demütigung oder Solidarität. Für Amerika wäre es eine Tragödie, wenn Europa sich nicht gegen Washington behaupten würde

Der Artikel von Rorty ist der einzige Beitrag in dieser konzertierten Aktion, der von einem Intellektuellen aus den USA stammt. Und keiner der Artikel artikuliert seine Kritik an der Regierungspolitik der USA so entschieden wie dieser. Er zeigt, dass es um mehr als um Europa geht.

"Für Amerikaner, die entsetzt waren von der Willfährigkeit ihre Mitbürger (wie auch der Demokratischen Partei), Bushs Krieg gegen den Irak gutzuheißen, wäre es eine Tragödie, wenn sich die europäischen Staatsmänner dem amerikanischen Unilateralismus fügen würden."

"Sowohl in Europa als auch in Amerika gibt es viele Millionen Menschen, die klar erkennen, dass Amerikas Anspruch auf permanente Hegemonie trotz allem, was es für die Sache der menschlichen Freiheit geleistet hat, ein schrecklicher Fehler ist. Amerikaner, denen dies bewusst ist, brauchen alle Hilfe, die sie kriegen können, um ihre Mitbürger davon zu überzeugen, dass Bush ihr Land auf einen falschen Weg geführt hat. Die Konsolidierung der Europäischen Union zu einer starken, unabhängigen Macht in der Weltpolitik würde von diesem Teil der öffentlichen Meinung in Amerika nicht als Ausdruck eines ressentimentgeladenen Antiamerikanismus gewertet, sondern als eine völlig angemessene und unbedingt willkommene Reaktion auf die Gefahr, welche die derzeitige Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik für die Welt darstellt."

Adolf Muschg in der Neuen Zürcher Zeitung:

«Kerneuropa». Gedanken zur europäischen Identität

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Zu dem lange totgesagten Typus des "Intellektuellen" und seiner gegenwärtigen Wiederbelebung siehe auch das Schwerpunkt-Thema in der Mai-Ausgabe von literaturkritik.de!

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