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Sympathische Verbrecher und Mörder

Analytische und empirische Untersuchungen zu emotionalen Wirkungen von ausgewählten Erzähltexten

von Katharina Bruch

Sympathische Verbrecher und Mörder
Verlag LiteraturWissenschaft.de (TransMIT)
Marburg an der Lahn 2015
172 Seiten
ISBN 978-3-936134-46-9

Preis: 14,90

Wie gelingt es der Literatur, Sympathie für Verbrecher und Mörder hervorzurufen, obwohl diese mit ihren Taten dem moralischen Empfinden der Lesenden nicht entsprechen? Katharin Bruch geht der Frage mit textanalytischen und empirischen Methoden nach - in exemplarischen Untersuchungen zu Erzähltexten von Friedrich Schiller, Heinrich von Kleist, Theodor Storm, Alfred Döblin und Ferdinand von Schirach. Das Buch ist ein innovativer Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Figurenanalyse und Emotionsforschung.


Zum Inhalt

Man leidet mit Werther, man bangt mit Tell um seinen Sohn und liebt mit Romeo und Julia. Literatur vermag in besonderem Maße zu emotionalisieren. Gerade literarische Figuren ziehen Leser in ihren Bann – sogar, wenn sie Verbrechen oder Morde begehen. Das Buch von Katharina Bruch geht der Frage nach, mit welchen Mitteln es Autoren gelingt, dass Figuren wie Schillers Christian Wolf (Der Verbrecher aus verlorener Ehre), Theodor Storms John Hansen (Ein Doppelgänger) oder Alfred Döblins Elli Link (Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord) den Lesern sympathisch sind, obwohl sie moralisch zu verurteilen wären. Die Erkenntnisse aus der analytischen Untersuchung werden dabei auch empirisch – anhand weiterer Erzähltexte (Heinrich von Kleists Der Findling und Ferdinand von Schirachs Einsam) – überprüft, mit Hilfe von Test-Lesern und ihren Antworten auf Fragen nach den emotionalen Wirkungen des Gelesenen.

Autorin

Katharina Bruch, geboren 1988, hat in Marburg Deutsche Literatur studiert. Derzeit ist sie bei der „Allgemeinen Zeitung“ beschäftigt, die zu der in Mainz ansässigen Verlagsgruppe Rhein Main gehört.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

 

1. Einführung: Weshalb sind uns Figuren sympathisch? 7

 

2. Analytische Untersuchungen zur Sympathiebildung bei Verbrechern und Mördern 17

 

2.1. Sympathische Einführung und die Wirkung des „primacy effects“ 17

2.2. Die Sympathielenkung des Lesers durch den Erzähler 24

2.3. Entlastung der Figuren durch die Mitschuld der Gesellschaft 33

2.4. Täter oder Opfer? – Steigerung der Empathie 48

2.5. Die Mordtaten als besonders schwierige Szenen für Sympathie 51

2.6. Entschuldigungen durch Autoritätsfiguren 63

2.7. Moralische Rehabilitierung durch Schuldbekenntnisse, Reue und Sühne 68

2.8. Kurzes Resümee der analytischen Ergebnisse 73

 

3. Empirische Überprüfung der emotionalen Wirkungen bei Verbrechern und Mördern 76

 

3.1. Zur Entwicklung der Fragebögen 76

3.2. Analytische Hypothesen zur emotionalen Wirkung von Einsam 79

3.3. Analytische Hypothesen zur emotionalen Wirkung von Der Findling 85

3.4. Stichprobenbeschreibung und Informationen zur Auswertung 100

3.5. Ergebnisse zu Einsam 102

3.6. Ergebnisse zu Der Findling 105

3.7. Vergleich der Probandengruppen in Bezug auf Der Findling 113

 

4. Epilog: Weshalb sind manche Mörder sympathischer? 117

 

Anhang 1: Antwortvorgaben 121

Anhang 2: Erläuterung zu den Fragebögen 122

Anhang 3: Fragebogen zu Einsam 123

Anhang 4: Fragebogen zu Der Findling 127

Anhang 5: Fragebogen zu allgemeinen Angaben 135

Anhang 6: Nachweis der Adjektive und der Beschreibungen des Erzählers 136

Anhang 7: Ergebnistabellen Einsam 138

Anhang 8: Ergebnistabellen Der Findling 147

Anhang 9: Statistisch relevante Unterschiede 163

Anhang 10: Reihenfolgeneffekt 165

 

Literaturverzeichnis 169

Leseproben

1. Einführung: Weshalb sind uns Figuren sympathisch?

Auch Mörder können sympathisch sein – So lautet der Titel eines Interviews in der Berliner Zeitung mit dem Gerichtspsychiater Hans-Ludwig Kröber. Gefragt danach, ob es denn auch sympathische Mörder gebe, antwortet dieser darin: „Manchmal denkt man, oje, was kommt da auf dich zu, und dann trifft man jemanden, der doch ganz anders ist. Überraschend ist, dass sie zum Teil wirklich sympathisch wirken, dass man das Gefühl hat, man kann auch emotional gut in Kontakt kommen.“ Was der Psychiater hier in Bezug auf reale Mörder beschreibt – dass er sich erstaunlicherweise manchmal Menschen emotional nahe fühlt, die eigentlich moralisch zu verurteilen sind –, passiert einem vielfach auch beim Lesen von Literatur. Man denke an Katharina Blum, die junge sympathische Frau und gleichzeitige Mörderin eines Zeitungsreporters. An den gutherzigen Tell, der am Ende mit Gessler den Mann ermordet, der ihn zum Schuss auf den eigenen Sohn gezwungen hat. Oder an den von seiner Umwelt ausgenutzten und bemitleidenswerten Woyzeck, der die untreue Marie ersticht. Doch wie ist das möglich? Wie kann man als Leser solche Figuren sympathisch finden? Und vor allem: Wie gelingt es überhaupt Autoren, sie zu Sympathieträgern zu machen?

[…]

Doch was heißt das überhaupt: Sympathie? Eine Klärung dieses und auch des Begriffs der Empathie muss notwendigerweise zunächst geleistet werden, bevor die damit evozierten emotionalen Wirkungen analysiert werden können. So bezeichnet „Empathie“ oder auch „Einfühlung“ im Allgemeinen die Fähigkeit, sich in die Gefühlslage anderer Menschen (und daher auch literarischer Figuren) hineinzuversetzen. Empathie bezeichnet also den „Vorgang, dass eine mentale Repräsentation eines fremden ‚inneren‘  Zustandes gebildet wird“, und stellt insofern eine Grundvoraussetzung dafür dar, dass man als Leser durch literarische Texte beziehungsweise die Figuren darin emotionalisiert wird. So kann „eine empathische Vorstellung – wiewohl selbst keine Emotion – […] Auslöser einer Emotion sein“, indem die Gefühlslage der Figur nicht nur kognitiv verstanden, sondern auch emotional nachvollzogen wird.  Um Empathie im Leser zu erwecken, eignen sich nach Fehlberg dabei alle „Textinformationen, die die Situation und den vor allem inneren Zustand einer Figur betreffen“, wobei die Darstellung von Figurenemotionen nach Anz zu den „emotionalisierende[n] Merkmale[n] von Texten“ gehört. Wie Winko ausführt, können diese dabei explizit oder implizit vorliegen. Im ersteren Fall ist die Identifikation der Gefühle27 für den Leser recht leicht, wenn „Figuren oder die Erzählinstanz […] über Emotionen [sprechen], seien es ihre eigenen oder die anderer Figuren, oder sie reflektieren abstrakt über Emotionen“. Werden Emotionen jedoch implizit ausgedrückt, indem sie nur indirekt „über die Handlung des Textes, das Verhalten der Figuren“ vermittelt werden, muss der Leser insbesondere sein Kode-Wissen heranziehen, um die Emotionen richtig identifizieren zu können. Um eine emotionale Wirkung zu erzielen, reicht es jedoch nicht aus, dass der Leser die entsprechende Emotion nur identifiziert, denn er ist erst dann „involviert, wenn er sie nachvollzieht“.

[...]

Da besonders die moralische Beurteilung einer Figur über Sympathie oder Antipathie entscheidet, wird so nochmals die Fragestellung dieser Arbeit deutlich: Wie können Verbrecher und Mörder überhaupt sympathisch sein, wenn sie doch eindeutig moralisch zu verurteilen sind?

[...]

Was die Sympathie mit einer Figur ausmacht, ist […] einerseits ihre moralische Beurteilung, die zu einer emotionalen Parteinahme führt, andererseits jedoch auch die Empathie mit der Figur, die wiederum das moralische Urteil positiv beeinflusst. Soll im Folgenden daher untersucht werden, wie Verbrecher und Mörder zu Sympathieträgern werden können, muss gerade dieses Zusammenspiel von moralischer Beurteilung und Empathie in den Fokus genommen werden.

Dass dabei „Aussagen über die emotionale Wirkung eines Texts auf einen […] konstruierten anthropologischen Modell-Leser […] freilich hypothetische Aussagen“ darstellen, darauf macht Mellmann aufmerksam. Sie betont jedoch gleichzeitig, dass dies „keinen Nachteil gegenüber der Formulierung statistisch begründeter Wahrscheinlichkeitsaussagen“ darstelle, sondern „im Gegenteil einen Gewinn“, da „erst eine elaborierte Theorie […] die Formulierung ausreichend differenzierter (und ausreichend riskanter) Hypothesen und damit einen rationellen Einsatz des aufwendigen Verfahrens experimenteller Prüfung [ermöglicht]“.

Genau dies stellt auch die Überlegung zur Konzeption dieser Arbeit dar. So werden im ersten Teil zunächst anhand dreier Erzählungen – Friedrich von Schillers Der Verbrecher aus verlorener Ehre, Theodor Storms Ein Doppelgänger und Alfred Döblins Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord – hypothetische Aussagen darüber getroffen, mit welchen Mitteln es gelingt, dass der Leser Sympathie mit Verbrechern und Mördern entwickelt. Zunächst rückt dabei die Einführung der Figuren in den Fokus und wie diese eine sympathische Grundhaltung des Lesers etabliert. Daran anschließend werden verschiedene Techniken vorgestellt, die einer Sympathiebildung und -aufrechterhaltung bei verbrecherischen und mordenden Figuren zuträglich sind, wie etwa die Beeinflussung des Lesers durch den Erzähler. Im zweiten Teil sollen anhand Ferdinand von Schirachs Einsam und Heinrich von Kleists Der Findling die emotionalen Wirkungen dann auch empirisch überprüft werden, um zum Schluss möglichst fundierte Aussagen darüber treffen zu können, wie die Nutzung der verschiedenen Techniken zu intensiveren emotionalen Wirkungen und damit auch zu größerer Sympathiebildung führt.

[Die Fußnoten im Buchtext wurden aus diesen Leseproben entfernt.]