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Aus dem Vorwort
Aus dem Langgedicht

Coming to Terms with a Child / Ein Kind kommt zur Sprache

von Henry Beissel

Beissel
Mit einem Vorwort von Martin Kuester
Verlag LiteraturWissenschaft.de. Marburg 2015
173 Seiten
ISBN 978-3-936134-45-2

Preis: 14,90

In diesem Langgedicht setzt sich der kanadische Dichter und Dramatiker Henry Beissel mit seiner Jugend im Dritten Reich und während des Kriegs auseinander, um sich und seinem  Enkel Rechenschaft abzulegen. In vierzehn Abschnitten beschreibt Beissel Stationen seines Lebens von ersten Kindheitserinnerungen an seine Eltern über seine Schulzeit in Nazideutschland bis hin zu seiner Tätigkeit als Dolmetscher für die Alliierten nach Ende des Krieges und zur Entscheidung, Deutschland den Rücken zu kehren und in seiner neu gefundenen Heimat Kanada Professor für englische Literatur zu werden. Der Text erscheint hier, mit einem Vorwort von Martin Kuester, in englischer und deutscher Sprache.

Das Buch ist am 9. März 2015 erschienen.

Stimmen zur englischsprachigen Erstausgabe von Coming to Terms with a Child:

„Vielleicht war ich noch nie so erschüttert wie jetzt. Ein schmerzliches Vermächtnis und eine unglaubliche Lebensleistung.“ — Susanne Forster

„… powerful and memorable …” — Wolfgang Bottenberg

„It is eloquent yet concise, emotional yet instructive. Congratulations on a superb opus.” — Robert Bériault

Aus enem Gespräch des Autors mit Heide Fruth-Sachs

Profile on Henry Beissel, with a few questions (by rob mclennan, open book ontario)



Zum Inhalt

In this long poem, Canadian poet and dramatist Henry Beissel, who was born in Cologne, Germany in 1929, reflects on his youth during the German Third Reich and the Second World War. Beyond coming to terms with his own past, Beissel’s intention is to explain this past to his recently born grandchild. The fourteen sections of the poem describe stations of Beissel’s life ranging from childhood memories beyond school attendance in Nazi Germany to his work as an interpreter for the Allied Forces after the war and, finally, his decision to leave Germany behind to become a professor of English literature in Canada. This edition brings together the poem’s original version in English with a German translation or re-interpretation, the writing of which brought to life many other memories and voices of the past.

In diesem Langgedicht setzt sich der kanadische Dichter und Dramatiker Henry Beissel, 1929 in Köln geboren, mit seiner Jugend im Dritten Reich und während des Kriegs auseinander, um sich und seinem vor kurzem geborenen Enkel Rechenschaft abzulegen. In vierzehn Abschnitten beschreibt Beissel Stationen seines Lebens von ersten Kindheitserinnerungen an seine Eltern über seine Schulzeit in Nazideutschland bis hin zu seiner Tätigkeit als Dolmetscher für die Alliierten nach Ende des Krieges und zur Entscheidung, Deutschland den Rücken zu kehren und in seiner neu gefundenen Heimat Kanada Professor für englische Literatur zu werden. Diese Textausgabe enthält nicht nur die englischsprachige Originalversion, sondern auch die vom Autor selbst verfasste deutsche Nachdichtung, bei deren Erstellung noch zahlreiche andere Erinnerungen und Stimmen lebendig wurden.

Autor

Henry Beissel (http://www.henrybeissel.com) is a poet, playwright, essayist, translator and editor who lives in Ottawa. His commitment to writing first came to national attention through the controversial political and literary journal Edge which he founded in Edmonton, Alberta, and edited from 1963 to 1969. Since then he has over thirty publications to his credit that have received high critical acclaim in Canada and abroad. He has been invited to read from his work all across Canada as well as in the USA, South and Central America, Europe, Africa, and China.  In honour of his 85th birthday Henry Beissel was honoured with a scholarship in his name for creative writing at the University of Toronto.

Henry Beissel ist Dichter, Dramatiker, Essayist und Übersetzer und lebt in Ottawa. Sein schriftstellerisches Engagement wurde in Kanada auf nationaler Ebene durch die kontroverse politisch-literarische Zeitschrift Edge bekannt, die er in Edmonton, Alberta, gründete und von 1963 bis 1969 herausgab. Seitdem hat er über dreißig Bücher veröffentlicht, die sowohl in Kanada als auch im Ausland große literaturkritische Aufmerksamkeit fanden. Er wurde zu Lesungen überall in Kanada und darüber hinaus in den USA, Süd- und Zentralamerika, Europa, Afrika und China eingeladen. Zu seinem 85. Geburtstag wurde Henry Beissel mit der Eirichtung eines nach ihm benannten Stipendiums für Kreatives Schreiben an der Universität Toronto geehrt.

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Heide Fruth-Sachs:

Interview with the Canadian Poet and Playwright Henry Beissel

(Writers in Conversation, Volume 2, no. 1 – February 2015)

[…]

H S-F: Henry, you are master of two languages, German and English. However, your poetic work is – with one recent exception – written in English. Did you ever have the feeling of being caught between these two languages?

H B: Well, it depends a little bit on what you mean by ‘caught’. I started writing as a child, in German. It was more in the manner of a diary. I was an outsider and I entrusted my great secrets to my diary, and that's how I began to write. I began to write in German. But then came the war – I was ten years old – and the war experiences and what happened in 1945 when the Americans came on my 16 th birthday and showed us movies about concentration camps, the existence of which we had known, but the incredible inhumanities and atrocities that were committed there were not known to us, certainly not to me. When I found out about them I was so revolted by everything German, because it seemed to me a betrayal of all the things that I believed in and that I have been taught to believe in too. I felt betrayed by everyone, my parents, my teachers, my priests, and I turned my back on Germany and on the German language. I couldn't get out of Germany fast enough. Germans weren't very welcome anywhere in the world right after the war. So it took me four years to get out to England in 1949. In the meantime I had been an interpreter for the Americans and then for the British, so in a way I felt that I emigrated inside Germany already in 1945. I went to England and there I met, in a Philosophy seminar, a Canadian who induced me to come to Canada.

[…]

Übersetzung dieser und weiterer Absätze aus dem Interview von Heide Fruth-Sachs

[...]

H S-F: Henry, Du bist in zwei Sprachen zu Hause, in Deutsch und in Englisch. Dein dichterisches Werk hast Du jedoch – bis auf eine Ausnahme im Jahr 2013 – in Englisch geschrieben. Hattest Du jemals das Gefühl zwischen den beiden Sprachen gefangen zu sein?

H B: Nun ja, es hängt ein wenig davon ab, was Du mit „gefangen“ meinst. Als Kind begann ich in deutscher Sprache zu schreiben. Mehr in der Art eines Tagebuchs. Ich war ein Außenseiter und vertraute meine großen Geheimnisse meinem Tagebuch an, so fing ich an zu schreiben, in Deutsch.

Aber dann kam der Krieg – ich war zehn Jahre alt – und die Kriegserfahrungen und was 1945 geschah, als die Amerikaner kamen, an meinem 16. Geburtstag, und uns Filme zeigten über die Konzentrationslager, von denen wir wussten; aber von den unglaublichen Unmenschlichkeiten und Gräueln, die dort begangen wurden, wussten wir nichts, ich auf keinen Fall. Als ich davon erfuhr, war ich dermaßen abgestoßen von allem, was sich deutsch nannte – denn es schien mir Verrat zu sein an allem, woran ich glaubte und auch gelehrt worden war zu glauben. Ich fühlte mich betrogen von jedermann, meinen Eltern, meinen Lehrern, meinen Priestern, und ich wandte Deutschland und der deutschen Sprache den Rücken zu. Ich konnte nicht schnell genug aus Deutschland wegkommen. Deutsche waren damals, unmittelbar nach dem Krieg, nirgendwo in der Welt besonders willkommen. Deshalb musste ich vier Jahre warten, bis ich 1949 nach England kam. In der Zwischenzeit war ich Dolmetscher bei den Amerikanern und dann bei den Engländern, also hatte ich das Gefühl, dass ich innerhalb Deutschlands gewissermaßen bereits seit 1945 emigriert war. Ich ging nach England und dort traf ich in einem Philosophie-Seminar einen Kanadier, der mich überredete, nach Kanada zu gehen. [...]

Langsam kam die Erkenntnis, dass einige der Beschuldigungen gegenüber den Deutschen vielleicht ein wenig einseitig waren, denn ähnliche Verbrechen, furchtbare Verbrechen, waren von Menschen an Menschen in vielen Teilen der Welt begangen worden. Ich hatte das Gefühl, dass Deutschland wenigstens versuchte, die Verantwortung für seine Verbrechen zu übernehmen, und versuchte, sie wieder gut zu machen, was mehr ist, als man von einer ganzen Reihe anderer Länder sagen kann, die ihre eigenen Verbrechen haben, für die sie einstehen sollten. So begann ich mich mit meiner deutschen Vergangenheit zu versöhnen, aber es dauerte 30 oder 40 Jahre, bevor ich in der Lage war, diese Vergangenheit in einer – wie soll ich sagen – ausgewogeneren Perspektive zu betrachten. [...]

In der Zeit, als diese Versöhnung sich vollzog, war ich fest verankert in der englischen Tradition, hatte mehrere Gedichtbände veröffentlicht, auch Essays und erfolgreiche Theaterstücke. Erst nachdem dieser Prozess abgeschlossen war und ich Deutschland wieder besuchte und wieder Deutsch sprach und feststellte, dass ich es noch sprechen konnte, begann ich mich manchmal zu fragen, ob ich recht daran getan hatte, Deutschland zu verlassen. Hätte ich bleiben sollen, um am Wiederaufbau und an der Genesung einer schwer zerstörten Nation, die sich selbst verwundet hatte, mitzuwirken, wie andere es getan hatten? All das hat natürlich auch mit Fragen der Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit von Sprachen zu tun, aber gefangen fühlte ich mich nie darin. [...]

Inhaltsverzeichnis

Contents / Inhalt

Henry Beissel: Poet and Witness of an Era / Zeitzeuge und Dichter (Martin Kuester) 7 / 9

1. Once upon a Time / Es war einmal 13 / 15

2. Country of Origin / Herkunft 17 / 20

3. It’s always Today / Es ist immer heute 25 / 28

4. Dancer from the Unknown / Tanz aus dem Dunkel 33 / 36

5. Never-ending Quest / Abenteuer ohne Ende 41 / 44

6. How Thorny the Path / Mühselig und beladen 51 / 53

7. Not a Fairy tale / Kein Märchenland 57 / 60

8. Pieces of the Puzzle / Teile des Unteilbaren 65 / 69

9. Hither and Thither / Hin und her 75 / 78

10. Cave Paintings / Wochenschau 85 / 91

11. O Music! / O Musik! 101 / 104

12. Danse macabre / Danse macabre 109 / 114

13. Descent / Flucht 121 / 124

14. Out of Darkness / Aus der Neuen Welt 129 / 133

Double Take: a postscript / Doppelt gesehen: ein Nachwort 139 / 143

Henry Beissel: A Short Biographical Note / Biograpische Anmerkungen 149 / 151

Poetry Collections by Henry Beissel 153

 

Aus dem Vorwort

Aus dem Vorwort von Martin Kuester

Henry Beissel: Poet and Witness of an Era

Henry Beissel was born in Germany in 1929, and he grew up in an era that even over seventy years later is still remembered as a time of horror: the era of National Socialism in Germany, an ideology that led Europe and the world into the Second World War and destroyed the lives of millions. Beissel did not want to identify or be identified with a country that had committed such crimes. He left Germany behind and chose to identify instead with his new home country, Canada, in which he became a professor of English literature and a poet and dramatist writing not in the language of Goethe but in that of Shakespeare.

It was only after his eightieth birthday that Beissel, who is still perfectly fluent in German (sometimes with a slight Cologne tint in his pronunciation), decided to write about his youth in Germany for his grandson Bennett and to compose a poem out of his memories. He chose a poetic form that according to critics has become a typically Canadian one: the long poem characterized by documentary as well as poetic aspects. When this poem, which originally was published by Black Moss Press in Windsor, Ontario, also met with a vivid response during Beissel’s readings in German schools and universities, the idea of a German-language version arose, and it is this version that is now published together with the original English poem in this bilingual edition. It is in no way a literal translation: Beissel states in his own postscript that during the process of translation other memories and voices surfaced and found their way onto the page. For this reason, we chose not to juxtapose the English and German version on pages facing each other – as in many bilingual editions – but rather to print the English and German versions of a chapter one after the other. Readers can thus remember the echoes of the English original when reading the German, but on the other hand, the awakened memories of Cologne and Germany during the Third Reich and the era of occupied postwar Germany can stand for themselves. Readers who do not speak English can concentrate on the German text only, whereas those who have a command of both languages are invited to compare the respective connotations and perspectives of the English and German versions.

As the intentionally ambiguous German title of the long poem suggests, it is a child whose story is told in this poem but also a child that finds its own language as well as a new one. This child is Henry Beissel, but not the Henry Beissel who remembers his past but above all the child that the octogenarian remembers and has to come to terms with. There is the perspective of the remembering I, but also that of the remembered it:

A child does not emigrate; it seeks
shelter in forgetting until the grown-up
comes to terms with it. There it stands now –
in a different city, by a different river,
on a different continent, and demands
that I give testimony about its unbelievable,
hardly imaginable past. I know
because I was there when it was there.

His home town of Cologne, a city that evokes connections with both ancient Rome and the Christian tradition, succumbed to the temptations of Fascism and the destruction inflicted by the war, and the only way the young man can escape the memory of this nemesis is by leaving the Old World behind and setting out for the New World.

The poem in which Beissel remembers Europe turns into a map on which his grandson can trace his path but on which the refugee himself has to track down his position and his identity whenever he feels that the nightmares of his European past are about to catch up with him.

[…]

Henry Beissel: Zeitzeuge und Dichter

Henry Beissel wurde 1929 in Deutschland geboren und wuchs zu einer Zeit auf, an die man sich auch nach siebzig Jahren nur mit Grauen erinnert. Es war die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, der Europa und die Welt in den Zweiten Weltkrieg führte und Millionen von Menschen das Leben kostete. Beissel konnte sich nicht mit dem Deutschland, das so viel Schuld auf sich geladen hatte, identifizieren und ließ das Land hinter sich, identifizierte sich stattdessen mit seiner neu gefunden Heimat Kanada, in der er zum Professor der englischen Literatur und zum Dichter und Dramatiker wurde, der nicht in der Sprache Goethes, sondern in der Shakespeares schreibt.

Erst nach seinem achtzigsten Geburtstag hat sich Beissel, der nach wie vor fließend Deutsch (mitunter mit einem „kölschen“ Einschlag) spricht, wieder dichterisch mit seiner Jugend in Deutschland beschäftigt und seine Erinnerungen für seinen Enkel Bennett in Form eines Langgedichts aufgeschrieben, einer Gedichtform, die nach Meinung führender Kritiker eine typisch kanadische ist, weil sie dokumentarische und poetische Aspekte zusammenbringt. Nachdem dieses Gedicht, das im Original 2011 bei Black Moss Press in Windsor, Ontario, Kanada erschien, auch bei Beissels Lesungen in deutschen Schulen und Universitäten auf großen Widerhall traf, entstand die Idee, eine deutschsprachige Fassung zu erstellen, die nun hier innerhalb einer zweisprachigen Ausgabe vorliegt. Hier handelt es sich allerdings nicht um eine wörtliche Übersetzung, da – wie Beissel in seinem Nachwort schreibt – sich beim Prozess des Übersetzens noch jeweils andere Erinnerungen und Stimmen ihren Bann brachen und ihren Weg zur Sprache fanden. Aus diesem Grunde stehen sich die englische und deutsche Version auch nicht auf der jeweiligen linken und rechten Buchseite gegenüber, wie es oft in zweisprachigen Ausgaben der Fall ist. Hier ist die deutsche Version eines Kapitels jeweils nach der englischen abgedruckt, so dass die Leserinnen und Leser zwar die Echos der englischen Ur-Version beim Lesen der deutschen Fassung noch im Ohr haben, aber andererseits die geweckten Erinnerungen an Köln und Deutschland im Dritten Reich und in der Besatzungszeit auch für sich alleine stehen können. Leserinnen und Leser, die des Englischen nicht mächtig sind, können sich auf den deutschen Text konzentrieren, aber solche, die beide Sprachen beherrschen, sind eingeladen, die jeweiligen Perspektiven der deutschen und englischen Version zu vergleichen.

In diesem Langgedicht kommt ein Kind zur Sprache, und dieses Kind ist Henry Beissel, doch es ist nicht der Henry Beissel, der sich erinnert, sondern vor allem das Kind, an das sich der Achtzigjährige erinnert und zu dem er sich bekennt und bekennen muss. Es gibt die Perspektive des Ich, aber auch die des Es:

Ein Kind wandert nicht aus: es versteckt sich
bis der Alternde sich zu ihm bekennt.
Da steht es nun – in einer anderen Stadt,
an einem anderen Fluss, auf einem anderen Kontinent,
in einer anderen Welt. Es fordert mich auf,
Zeugnis abzulegen vom Unglaublichen, kaum noch
Vorstellbaren: ich war ja dabei, weil es dabei war.

Die Heimatstadt Köln, die einerseits die Verbindung zur römischen Antike und christlichen Tradition herstellt, ist der Versuchung des Faschismus und der Zerstörung durch den Krieg anheimgefallen, und der Erinnerung an diese Nemesis kann der junge Mann, wenn überhaupt, dann nur durch die Flucht in die Neue Welt entkommen.

Das Gedicht, in dem sich Beissel an Europa erinnert, wird zur Landkarte, auf der der Enkel seinen Weg nachverfolgen kann, auf der aber auch der Flüchtling selbst sich erst wieder finden und wiederfinden muss, wenn er von den Albträumen der europäischen Vergangenheit eingeholt zu werden droht.

Dieses Buch verdankt seine Entstehung den engen Kontakten, die sich in den letzten Jahren zwischen dem Marburger Zentrum für Kanada-Studien und Henry Beissel entwickelt haben.  

[...]

 

Aus dem Langgedicht

Jugend in Köln

Aus “2. Country of Origin”

                                      Deluded by drill
and discipline they followed the false lead
of flags and marching bands herding the sheep
heroically to their slaughter and leaving Cologne
ingloriously in ruins – bombed into heaps of brick
scrap metal craters shells of homes broken doors
unhinged wall paper peeling across smashed tables
cracked kitchen sinks Dürer’s Praying Hands crushed
askew behind shattered glass collapsed floors
a toilet bowl open-mouthed as though petrified
at the height of a primal scream: ashes ashes
everywhere: the city 32 million cubic meters
of rubble where 262 air raids buried 20,000 dead –
and somewhere at the core of a tangle of memories
where fear confuses dreams with the real world
I search for an angle to see if what the child saw
was what it seems among the debris where the bruised
and battered dreams of a child turned into a nightmare.

Massacre of children and their mothers, of the sick
and the old, civilians mutilated to demoralize
the troops, dismembered, incinerated in numbers
ten times the days so far recorded in my life.
In the acrid incense of burning flesh a pathetic
God choked to death in his vomit, his blessings
cut to ribbons, his faith in rags of disbelief
as flames danced on the river whose dark waters
flowed silently under bridges linking firestorms.

To have survived this inferno is no more miraculous
than to have been born into it. The luck of a throw
of fate’s dice assigns to each of us a country of origin,
the luck of countless draws between male and female
lined up all the way back into precambrian mists.
It’s not always the fastest and most forceful sperm
that enters the egg; sometimes the dreamy-eyed
latecomer is admitted and the strongest shut out.
It seems that cells that have no mind have a mind
and meaning of their own. Every birth refutes
the law of probability by the caprice of conception
and survival. None of us should have come into being
in the first place, none could have been predicted.
Nor would I have chosen of all times and places
the time and place there and then. But you don’t
negotiate chaos. In the casino of life too the odds are
stacked against you. To escape flying bullets or bombs
warrants no pride and no merit: you can’t dodge them;
you wait and when you hear them, you’re safe.
Their whistle lets you know they’ve missed you.
Only silent shrieks kill, shrieks for the lucky to hear.

I was not always so lucky in my dreams. There
they assaulted me for decades and woke me
in fear and panic for without a sound they found
their target. I died a thousand deaths and lived
to see another dawn when the sun slapped my face
back into affirmation. Slowly the years grounded
the Lancasters and Flying Fortresses. An uneasy
armistice came to prevail in the land of my dreams
after I moved to a world where war was hearsay.

Here vast solitudes are invaded only by the wind
and the dark skies flash only with dying comets
and the ghostly dances of northern lights. Night
now brings forgetting, offers coveted oblivion.
The bloodthirsty beasts of war swoop down on me
in broad daylight instead. They bear different names:
Bosnia, Chechnya, Iraq, Rwanda, Afghanistan
and Gaza, each of them recalling reenacting reviving
the surreal scenes I witnessed in those years of terror
and tyranny so bone-chillingly beyond belief and bearance
I can no longer be sure what fevered fear projects
on the walls of memory and what I experienced,
what panic stampedes into images and what I saw
turn ten thousand childhoods into one long nightmare.

Aus „2. Herkunft“

Marschmusik und Fahnen, Pflicht und Disziplin
züchten Herdenvieh, das sich heroisch
zum Schlachthof führen lässt: so wurde Köln
heldenhaft zum Trümmerhaufen. Es hagelte
Bomben. Häuser brannten ab, standen als Gerippe
oder stürzten ein: zerbrochene Ziegel Backsteine
zerrissenes Metall, Krater statt Wohnung – das Stadtbild
aus den Angeln gehoben: schiefe Türen zerbrochene
Spiegel Fenster Tapeten in Fetzen Spülbecken
Treppen etagenweise eingestürzt Glasscherben zerschnitten
Dürers Betende Hände auf einem Schutthaufen
auf halber Höhe an brechender Wand weiß ein Porzellanklo –
ein offener Mund klotzig stumm im Urschrei erstarrt:
Asche Asche über alles über alles in der Welt

Köln als schwelende Ruine von 32 Millionen Kubikmetern
Bruch- und Brandresten. Schutthalden als Friedhof,
auf dem 262 Luftangriffe 20 000 Einwohner verscharrten.
Flak zerriss die Nacht in grelle Fetzen, Bomben sprengten
Häuser in die schwefelnde Luft, verstümmelten, verschütteten
Schreiende mit trommelfellberstendem Knall –
irgendwo im Kern eines Knäuels von Erinnerungen,
wo Angst Träume verwirrt mit der Wirklichkeit, suche ich
einen Blickwinkel um zu sehen ob was der Junge sah
das ist was es zu sein scheint. Irgendwie überlebte er,
scharrte sich frei, kroch aus den Trümmern
kindlicher Träume nackt, ohne Glauben, ohne Unschuld,
mit geschädigtem Gehör und überspitztem Gespür.

Ein Blutbad für Mütter und Kinder, kranke und greise
Männer und Frauen, ohne Waffen, Zivilisten massenhaft
erschlagen zur Zermürbung der Frontsoldaten verbrannt
verkrüppelt traumatisiert: so führt man heute Krieg.
Im bitteren Weihrauch verbrennender Menschen erstickte
in seinem Gekotze ein kläglicher Gott, sein Segen ein Fluch,
sein Glaube zerschlissenes Gerede, das vor dem allerjüngsten
Gericht der Bomberverbände verstummte, sich in Rauch
auflöste, der auf den dunklen Wassern des Rheins
einen flotten Feuertanz aufführte. Groß wurden da
die Kinderaugen, strahlend vor Abenteuer und Angst.

Diese Hölle überlebt zu haben ist ein Wunder nur
wenn dahinein geboren zu werden ebenso wunderbar
ist. Unser Schicksal ist ein Glücksspiel
der Mikroben, die trillionenfach jedem von uns
ungefragt Ort und Zeit der Geburt anweisen
und eine Eigenexistenz, die zu entfalten ist.
Zahllos sind die Würfel für uns gefallen;
ihr Spiel verliert sich in prekambrischen Nebeln.
Es ist nicht immer der schnellste und kräftigste
Samen, der ins Ei dringt; oft wird der verträumte
Spätkömmling eingelassen, der Tüchtigste abgewiesen.
Es ist als ob die Zellen, ohne Sinn und Willen,
doch ihre eigenen Wege gehen. Jede Geburt
widerlegt mit ihrer launischen Empfängnis
und den Zufällen des Überlebens
das Gesetz der Wahrscheinlichkeit.

Niemand war vor tausend Jahren denkbar. Es sollte
mich nicht geben. Dich auch nicht. Aber wenn schon,
dann hätt’ ich lieber selbst Ort und Zeit ausgesucht,
denn im Casino des Lebens stehen die Chancen
immer gegen uns. Der blitzschnellen Kugel
oder der zielsicheren Bombe entgehen ist kein Verdienst.
Entweichen gibt es nicht; du musst ganz einfach
warten und wenn du sie hörst, lebst du.
Ihr Pfeifen ist das Signal zur Weiterfahrt:
wer Glück hat hört es. Lautlose Schreie töten.

Das Kind hat sie gehört – die Bomben und die Schreie.
Aber in meinen Träumen hatte ich weniger Glück.
Noch Jahrzehnte nachdem in Europa Frieden
ausgebrochen war, griffen mich Tiefflieger
im Schlaf an oder die Nacht bebte im Dröhnen
feindlicher Bombergeschwader. Panischer
Schrecken weckte mich schweißgebadet: Bomben
und Kugeln hatten es auf mich abgesehen.
Tausendmal wurde ich tödlich verwundet – doch
aus dem Morgengrauen langte immer wieder
die Hand der Sonne und fuhr mir mit sanftem Licht
über die Wangen bis ich wieder auflebte.

Dann zog ich in eine Welt,
die Krieg nur vom Hörensagen kannte
und die Fliegenden Festungen griffen seltener an.
Die Jahre versagten auch den Lancasters den Anflug.
Im Land meiner Träume kam ein Waffenstillstand zustande.

Hier greifen nur Wind und Eis die Einsamkeit an.
Keine Panzer, keine Jabos. Die nächtlichen Himmel
leuchten nicht auf mit Flakgeschossen und Scheinwerfern
sondern mit rasch erlöschenden Sternschnuppen
und dem huschenden Tanz des Nordlichts.
Die blutrünstigen Bestien des Krieges fallen
jetzt im hellen Tageslicht über mich her
und beklemmen mich mit anderen Namen:
Bosnien, Tschetschenien, Irak, Ruanda, Gaza,
Afghanistan! Sie lassen groteske Szenen
jener Schreckensjahre der Tyrannei aufleben,
führen immer wieder den Totentanz
in Masken von Hass und Gier auf,
die der Urwald nicht kannte – bis ein Tier
ihn mit Keule und Speer erfand,
den totalen Krieg, den das Kind nie verstand.

Selbst der alte Mann ist geplagt
vom Widersinn, von der Heuchelei
der Gewalt und der Grausamkeit –
bis ich unsicher werde:
was wirft fiebrige Furcht auf die Leinwand
des Erinnerns und was hat das Kind erlebt?
Was hat panische Angst in Bilder umgesetzt
und was sah es tatsächlich auf Straßen und Plätzen,
in Wohnungen und Schulen, wo Zutrauen
erstickt und Kindheiten vergiftet wurden?